Fachkräfte in Berlin: »Auch Arbeitgeber müssen investieren«

Eine Jobmesse vernetzt Jobsuchende mit Fluchterfahrung mit Berliner Unternehmen

  • Thuy-An Nguyen
  • Lesedauer: 4 Min.
Geflüchtete Menschen, die auf Arbeitsuche sind, können bei der Jobmesse der IHK Arbeitgeber kennenlernen.
Geflüchtete Menschen, die auf Arbeitsuche sind, können bei der Jobmesse der IHK Arbeitgeber kennenlernen.

Integration verläuft von zwei Seiten. Davon ist Aliasghar Saba überzeugt. Während von Menschen mit Fluchterfahrung erwartet wird, dass sie in ihrem Ankunftsland die neue Sprache lernen, erfordert eine gelungene Integration auch Bemühen von der anderen Seite. »Gesellschaftliche Integration ist nicht ohne berufliche Integration möglich«, sagt Saba, der als Personalreferent den Pflegedienst KIS auf einer Jobmesse vertritt.

Die Jobmesse, die Geflüchtete mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt bringen will, findet am Mittwochvormittag im Ludwig-Erhard-Haus in Berlin-Charlottenburg statt. Veranstaltet wird sie von der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer sowie den Berliner Jobcentern. Auch Arbeitssenatorin Canzel Kiziltepe (SPD) ist auf der Messe anwesend, bei der rund 4500 Teilnehmende gezählt werden. Laut Angaben der Veranstalter sind das mehr als doppelt so viele Teilnehmende wie in den Vorjahren. Gerade für Geflüchtete auf Arbeitsuche sei es schwer, praktische Tipps und Informationen zu finden, betont Senatorin Kiziltepe. Eine Jobmesse sei daher der »perfekte Ort«. Sie helfe Geflüchteten bei der Integration und sie helfe bei der Bewältigung des Fachkräftemangels. Damit reagiere die Messe auf zwei enorm wichtige Herausforderungen unserer Zeit, sagt Kiziltepe.

Der Pflegedienst KIS ist beständig auf der Suche nach Fachkräften und zeigt sich offen dafür, allen Interessierten eine Chance zu geben – unabhängig von ihren Sprachkenntnissen. Das Unternehmen ist gerade dabei, drei neue Pflegekräfte einzustellen, deren Deutschkenntnisse anfangs noch nicht fortgeschritten waren. Natürlich sei die sprachliche Basis eine wichtige Voraussetzung, um in der Pflege zu arbeiten, sagt Aliasghar Saba. Noch viel wichtiger sei bei der Auswahl von Bewerber*innen jedoch, dass sie das »Herz am rechten Fleck« hätten.

Deshalb bietet KIS den Interessierten im ersten Schritt oft die Möglichkeit, zunächst zwei Wochen zu hospitieren. Klappt das gut, bezahlt das Unternehmen den Bewerber*innen einen Basis-Sprachkurs, sagt Saba. »Bei uns brauchen sie keinen Basiskurs vorab haben. Die Einarbeitung in fachliches Wissen erfolgt dann auch nicht innerhalb einer Woche, sondern in sechs Monaten Praktikum«, erläutert der Personalreferent. Auf diesem Weg habe das Unternehmen, das insgesamt 150 Angestellte beschäftigt, bereits drei neue Pflegefachkräfte gewonnen. »Auch Arbeitgeber müssen etwas investieren, wenn sie auf der Suche nach Fachkräften sind«, so Saba.

Fachkräfte werden auch beim Unternehmen Beton & Rohrbau händeringend gesucht. Die Firma verlegt oder repariert Abwasserrohre und braucht dafür Maschinenbauingenieur*innen, Tiefbaufacharbeiter*innen und Kanalbauer*innen. Aktuell beschäftige das Unternehmen vier Auszubildende, sagt Verwaltungsmitarbeiterin Claudia Charrabé. Sie könnten aber ohne Probleme noch sechs weitere Azubis einstellen. Leichter sei es, Bürofachangestellte als Nachwuchs zu finden. Besonders schwierig sei es dagegen mit Leuten für die Baustelle, weil draußen gearbeitet werde.

Sprachbarrieren sieht das Unternehmen jedoch als große Hürde: Gerade bei der Arbeit auf der Baustelle sei die Kommunikation mit den Kolleg*innen wichtig, es müsse ein Grundverständnis der deutschen Sprache geben und Fachvokabular müsse beherrscht werden, so Charrabé. Für Beton & Rohrbau sind daher abgeschlossene Sprachkurse notwendige Voraussetzung. »Wir raten interessierten Bewerber*innen stets, ihre Sprachkenntnisse zu intensivieren«, sagt Charrabé. Eine Finanzierung von Kursen für Anwärter*innen schließt das Unternehmen jedoch aus. »Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit 100 Beschäftigten und können das einfach nicht stemmen«, bedauert Charrabé. Auf der Messe ist etwa eine Bauingenieurin aus der Ukraine auf sie zugekommen. Da sie jedoch kein Deutsch spreche, gebe es aktuell keine Einstiegsmöglichkeit für sie. »Wir bleiben aber mit ihr in Kontakt.«

Einfallsreich zeigt sich das Feinkost-Unternehmen Lindner mit Standorten in ganz Berlin, das ebenfalls mit einem Stand auf der Messe vertreten ist. Es beschäftigt laut Personalreferent Sven Heuschkel knapp 750 Mitarbeitende mit bis zu 25 unterschiedlichen Nationalitäten. Gesucht werde Nachwuchs im Einzelhandel, als Kaufleute, in der Küche, als Bäcker*innen oder im Lager.

Mangelnde Sprachkenntnisse sind Heuschkel zufolge kein Ausschlusskriterium. In der Produktion etwa sei ein Einstieg auch ohne B1-Level möglich, hier ließen sich Sprachbarrieren gut umgehen, meint Heuschkel. Um das Funktionieren von Arbeitsprozessen sicherzustellen, benutzt die Firma Bilder, mit denen Mitarbeitende angeleitet werden. »Auf diesem Wege eignen sich viele auch Fachwissen auf Deutsch an«, so Heuschkel. Manchmal beherrschen die Angestellten dann sogar besser die Fachsprache als die Alltagskommunikation. »Wir suchen vor allen Dingen Leute, die motiviert sind«, sagt Heuschkel.

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