Der kuriose Oldtimer von Kreuzberg

Besitzer Hanns-Lüdecke Rodewald hat seinen Opel 1977 das letzte Mal gewaschen

  • Anja Sokolow
  • Lesedauer: 4 Min.

Er hat Beulen und Rostflecken. Die Originalfarbe, ein Verona-Grün, ist nur noch mit ganz viel Fantasie zu erkennen. Der Opel Olympia Caravan von 1956 ist seit Jahrzehnten ein Blickfang in Berlin-Kreuzberg. Auf seiner Karosserie wachsen Moose und Flechten. Und manchmal verstecken sich Mäuse im Wagen.

Der Opel gehört Hanns-Lüdecke Rodewald. Der pensionierte Professor, Experte für Fahrzeugsicherheit, beteuert, den Wagen seit 1977 nicht mehr gewaschen und ein Langzeitexperiment daraus gemacht zu haben. »Ich will erforschen, was passiert, wenn man ein Auto jahrzehntelang stehen lässt und nur ganz wenig macht«, erklärt Rodewald. Seine wichtigste Erkenntnis: »Eine Komplettrestaurierung ist gar nicht nötig, wenn man das Auto nur fahren will.« Bislang habe er alle Defekte reparieren können, etwa die Bremsleitungen und Achsschenkelbolzen. »Ich muss häufig schweißen, Opel hat damals schlechte Rostvorsorge gemacht«, erklärt er. Bevor Rodewald das Auto dem Schmutz überließ, hatte er den Wagen noch einmal richtig schön zurechtgemacht – für den geplanten Verkauf im Jahr 1977.

»Aber für 500 D-Mark wollte ihn niemand kaufen. Da habe ich gedacht, der ist wertlos, und ein wertloses Auto braucht man auch nicht mehr zu waschen«, so Rodewald, der das Fahrzeug 1976 für 600 DM in Koblenz gekauft hatte. Kleinere Zusammenstöße mit Mopeds, einem Poller und einem Baumstumpf haben Beulen hinterlassen. Ein Graffiti ziert die Motorhaube: »Das ist Patina extrem. Alles, was in den Jahren dazugekommen ist, ist noch da. Ich will nicht in den Werdegang eingreifen«, sagt der Besitzer.

Auch wenn der Opel schrottig wirkt: Er ist angemeldet, bekommt seinen TÜV und ist fahrbereit. Weil er nur selten bewegt wird, braucht er beim Start etwas Nachhilfe: Rodewald gießt etwas Benzin in den Vergaser, und schon schnurrt der Motor wie eine alte Nähmaschine. Der TÜV sei allerdings immer eine Herausforderung: »Der Wagen ist halt optisch nicht sehr schön und hat auch technisch immer kleinere Mängel, wo man Ermessensspielräume walten lassen muss«, sagt Rodewald. »Gurtsysteme, Airbag, Rückfahrscheinwerfer und Nebelleuchten hat er nicht. Aber heutige Prüfingenieure suchen oft danach und wundern sich, dass der Wagen das nicht braucht.«

Ordnungshütern und Behörden ist der Wagen schon lange ein Dorn im Auge. »Die Polizei hat ihn 1995 zwangsstillgelegt, hat aber verloren, musste ihn wieder anmelden und mir Schadenersatz zahlen«, erinnert sich Rodewald. »Das Ordnungsamt hat das Auto als ›Abfall‹ angesehen und mir dreimal einen Verstoß gegen das Abfallbeseitigungsgesetz vorgeworfen, aber immer ohne Erfolg.«

Eine weitere Hürde: die Umweltzone, in der er nicht stehen darf, da die grüne Umweltplakette fehlt. »Deswegen hatte ich 15 Verfahren. 14 habe ich gewonnen und das letzte verloren. Seitdem habe ich eine Ausnahmegenehmigung, dass ich trotzdem hier stehen und fahren darf«, sagt Rodewald. Grund: Das Auto dient touristischen Zwecken und wird für Werbezwecke und Filmaufnahmen gebucht.

»Der Wagen entspricht einfach nicht dem gängigen Bild von einem Oldtimer«, erklärt Rodewald die Schwierigkeiten. Und weil der TÜV ihm keinen guten Pflegezustand attestieren kann, gibt es für den Wagen auch kein Oldtimer-Kennzeichen. Doch was die einen verärgert, begeistert andere: Bei Google ist der Opel als historische Sehenswürdigkeit gelistet. Und Café-Besitzer Selcuk Demir möchte das Auto vor seinem Lokal in der Schönleinstraße auf keinen Fall missen: »Für mich ist es alles in einem: Kunst, Kult, Sehenswürdigkeit.« Das Auto passe perfekt zum Nostalgie-Stil des Cafés. Oft müsse er den Wagen aber auch schützen: »Immer wieder wollen rücksichtslose Leute ihre Räder am Auto abstellen. Oder Kinder wollen raufklettern«, sagt Demir. »Der Wagen ist etwas ganz Besonderes«, findet auch Anwohnerin Sarah Grimm. »Er zeigt, dass man Altes nicht immer sofort ersetzen muss, und ist ein Symbol für Wiederverwertung.«

»Wenn ich etwas repariere, halten es manche Café-Besucher für ein Theaterstück und schauen ganz ehrfürchtig zu«, berichtet Rodewald. Für den Fall, dass der 68-Jährige das Auto nicht mehr halten kann oder will, hat er schon einen Interessenten: »Ein junger Mann aus Bayern ist begeistert von dem Wagen und will ihn mir gern abnehmen. Er ist eigentlich Postbote, kann aber sehr gut schweißen.« dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal