Berliner Polizeigesetz: Kleber in der Tasche? Ab in den Knast!

Schwarz-Rot will Hürden für Präventivhaft senken

Weg frei für Taser und Bodycams: Mit der Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes will Schwarz-Rot die Befugnisse der Polizei ausweiten. Ein Entwurf der Senatsverwaltung liegt nun vor. Erstmals wird darin auch der Einsatz der neu angeschafften Distanzelektroimpulsgeräte, also der Taser, geregelt sowie von an den Uniformen angebrachten Kameras, den sogenannten Bodycams, geregelt.

Die Taser sollen künftig zum Einsatz kommen, wenn Schlagstöcke oder Pistolen nicht genutzt werden müssen. Zudem sollen sie eingesetzt werden dürfen, um selbstverletzendes Verhalten zu unterbinden. Verboten soll der Einsatz aber bei Kindern, Schwangeren und Herzkranken sein. Woran die Polizisten erkennen sollen, ob jemand schwanger oder herzkrank ist, erläutert der Entwurf nicht. Angeschafft werden sollen laut Haushaltsplan 250 Geräte. Zunächst werden wahrscheinlich Einsatzwagenmannschaften mit je einem Gerät ausgestattet.

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Bodycams sind aktuell bereits im Einsatz – allerdings zeitlich befristet bis 2025. Diese Frist entfällt nun, zudem soll auch die Feuerwehr mit ihnen ausgestattet werden. Außerdem sollen in Einsatzfahrzeugen sogenannte Dashcams installiert werden, die Unfälle aufzeichnen. Bodycams sollen weiter nicht durchgehend filmen, sondern erst angeschaltet werden, wenn unmittelbarer Zwang eingesetzt wird. Von 30 auf 60 Sekunden verlängert wird der Zeitraum vor der Aktion, der mitaufgezeichnet werden kann. Zudem soll es künftig bei Gefahr für Leib und Leben möglich sein, die Bodycams auch in Privatwohnungen einzusetzen. Bislang war dies nur im öffentlichen Raum statthaft.

Kontrovers diskutiert wurde bis zuletzt der Umgang mit dem Unterbindungsgewahrsam. Die Polizei kann mit richterlicher Genehmigung Menschen kurzzeitig inhaftieren, wenn sie annimmt, so Straftaten verhindern zu können. Die Dauer dieser Präventivhaft soll bei befürchteten terroristischen Straftaten auf sieben Tage ausgeweitet werden, bei anderen schweren Straftaten auf fünf Tage.

Nicht verlängert wird hingegen der Unterbindungsgewahrsam bei Ordnungswidrigkeiten. Dies war im Vorfeld vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gefordert worden. Im Blick hatten sie dabei vor allem die Aktivisten der Letzten Generation, die immer wieder Straßen blockieren, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren. Die Hürden, um die Präventivhaft für Klimakleber anzuordnen, werden aber deutlich abgesenkt. So soll sie möglich sein, wenn eine Ordnungswidrigkeit mit erheblichen Auswirkungen für die Allgemeinheit zuvor angekündigt wurde oder wenn »Waffen, Werkzeuge oder sonstige Gegenstände« mitgeführt werden.

Bei der Opposition stößt der Gesetzesentwurf auf wenig Begeisterung. »Durch das Gesetz atmet der Geist von Grundrechtseinschränkungen«, sagt Vasili Franco von den Grünen im Abgeordnetenhaus. »Von einer Stärkung der Bürgerrechte kann man nicht sprechen.« Besonders stören ihn die niedrigeren Hürden für den Unterbringungsgewahrsam. »Was ein gefährlicher Gegenstand ist, lässt sich nur willkürlich entscheiden«, sagt er. »Hier wird ein Instrument geschaffen, um unliebsamen Protest zu ersticken.«

»Das Gesetz wird keine großen Auswirkungen auf die Kriminalität haben«, glaubt der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke). Der Senat ignoriere die Gefahren, die von Tasern ausgehen. »Gerade bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen oder im Betäubungsmittelrausch kann das schnell gefährlich werden.« Der Einsatz von Bodycams in Privatwohnungen sei ein Eingriff in die Unverletztbarkeit der Wohnung, kritisiert er. Die von Schwarz-Rot geplanten Verschärfungen würden Kriminalität nur oberflächlich angehen. Soziale Maßnahmen, mit denen Straftaten präventiv verhindert werden könnten, spielten für Schwarz-Rot keine große Rolle. »Die Maßnahmen, die wirklich helfen würden, werden nicht finanziert«, sagt Schrader.

Der Gesetzesentwurf wird nun im Parlament diskutiert. Schwarz-Rot hat bereits angekündigt, zeitnah noch eine weitere Novelle des Polizeigesetzes einbringen zu wollen. Mit dieser soll unter anderem der finale Rettungsschuss geregelt werden.

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