»Aktionstag Reparatur« in Berlin: Flicken statt wegwerfen

Im Haus der Materialisierung werden Holzgegenstände, Kleidungsstücke und Elektrogeräte wieder fit gemacht

In der Holzwerkstatt im Haus der Materialisierung unterstützen Tischlerinnen bei der Arbeit mit Holzgegenständen, zum Beispiel bei der Reparatur eines rissigen Stuhls.
In der Holzwerkstatt im Haus der Materialisierung unterstützen Tischlerinnen bei der Arbeit mit Holzgegenständen, zum Beispiel bei der Reparatur eines rissigen Stuhls.

Sie leimen und schleifen, sie nähen und schneiden, sie messen und schrauben – der »Aktionstag Reparatur« im Haus der Materialisierung nahe dem Alexanderplatz ist in vollem Gange. Inmitten der Baumaßnahmen auf dem Areal des Hauses der Statistik wurde hier am vergangenen Samstag fleißig gewerkelt, um im Sinne einer nachhaltigen Gesellschaft Müll zu vermeiden, Stoffe wiederzuverwerten und kaputte Gegenstände zu reparieren.

»Es ist nicht damit getan, alte Sachen, statt sie wegzuwerfen, zum Beispiel an Geschenkläden oder andere Einrichtungen zu spenden. Es braucht auch die Menschen, die sich dann um die Weiterverwendung kümmern«, sagt Corinna Vosse zu »nd«. Sie ist Geschäftsführerin von Kunst-Stoffe Berlin, einem Verein, dem es um die Wiederverwendung von Materialien geht. Um eine »Kreislaufführung« entwickeln zu können, in der die Gesellschaft klimaschonend mit Ressourcen umgeht, brauche es entsprechendes Wissen und Fähigkeiten. »Es geht uns also auch um Bildung. Deshalb veranstalten wir den Aktionstag, um Skills zu vermitteln und Menschen dazu zu befähigen, Dinge weiterzuverwenden.«

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Wie das funktioneren kann, zeigen Andrea Hüttche und Mo vom Verein Baufachfrau Berlin in der Holzwerkstatt. Hier unterstützen sie zweimal in der Woche Interessierte dabei, mit Holz zu arbeiten und etwa kaputte Gegenstände zu reparieren, alte Sachen aufzuwerten oder sich selbst aus vorhandenem Holzmaterial das Gesuchte zusammenzubauen.

»Ich habe hier einen alten Stuhl mitgebracht, der Risse hat. Ich möchte, dass man sich wieder vertrauensvoll draufsetzen kann«, sagt Johanne Braun zu »nd«. Sie selbst führe in ihrem Alltag keine handwerklichen Tätigkeiten aus, und so fehlen ihr die Fertigkeiten, sich alleine um den Stuhl zu kümmern. Tischlerin Hüttche leitet sie deshalb bei den Reparaturmaßnahmen an. »Das läuft sehr gut hier. Die beiden erklären alles sehr geduldig auch für Menschen, die die Grundlagen nicht beherrschen«, lobt Braun.

»Die offene Holzwerkstatt wird sehr gut angenommen«, sagt Mo. Teilweise würden in dem Werkraum bis zu acht Menschen gleichzeitig arbeiten, wenn geöffnet ist. Die Nutzer*innen hätten oft wenig Vorwissen im Handwerk. »Viele, die hierherkommen, sagen uns, dass sie noch gar nichts wissen, aber gerne lernen wollen«, sagt Mo.

In einem anderen Raum werden nicht Holzgegenstände, sondern elektronische Geräte repariert. »Hier wird dann auch gezeigt, was zum Beispiel die häufigsten Fehler in den Geräten sind und wie man Ersatzteile bekommt und einsetzt«, erklärt Vosse. »Wie in den Repair-Cafés.« Diese Reparatur-Initiativen sind nicht kommerzielle Anlaufstellen in der Nachbarschaft, wo Menschen mit dem entsprechenden Fachwissen andere dabei unterstützen, ihre defekten Geräte zu reparieren.

»Wir bekommen bestimmt 70 Prozent der Gegenstände in den Repair-Cafés wieder hin«, sagt Daniel Affelt vom Berliner Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), während er am Informationstisch sitzt. »Wir wollen erreichen, dass sich Menschen bei kaputten Gegenständen erst einmal folgende Fragen stellen: Erstens: Kann ich es selbst reparieren? Und zweitens: Wer kann mir helfen?«

In Berlin gibt es jede Menge Menschen, die dabei helfen können, so wie in den rund 50 Repair-Cafés der Stadt. »Wenn etwas wirklich nicht zu reparieren ist, dann können Menschen die Geräte wenigstens in dem Wissen wegschmeißen, dass alles versucht wurde«, sagt Affelt, der mit dem BUND zusammen selbst ein Repair-Café in Schöneberg aufbaute.

Gerade große Geräte wie Kühlschränke und Waschmaschinen reparieren zu lassen, ist aber oft eine teure Angelegenheit. Deshalb entscheiden sich viele für einen Neukauf. Um dem entgegenzuwirken, setzt sich der BUND für einen Reparatur-Bonus ein. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist dieser bereits festgehalten, nun werde im Rahmen der Haushaltsverhandlungen über die Höhe entschieden, sagt Affelt. »Wir brauchen mindestens eine Million Euro im Jahr, damit das auch funktioniert.« Ziel des Bonus ist es, Reparaturen und die Beschaffung von Ersatzteilen für die Verbaucher*innen zu bezuschussen. So würden neben Handwerksbetrieben auch Reapartur-Initiativen profitieren. »Es wäre gut, wenn der Aufbau des Programms im nächsten Jahr starten könnte.«

Ein Ziel des »Aktionstags Reparatur« im Haus der Materialisierung ist die Bewerbung einer bundesweiten Petition des Inkota-Netzwerks für einen Reparatur-Bonus. »In Thüringen zum Beispiel gibt es den schon, und das funktioniert gut. Wir wollen eine einheitliche Regelung auf Bundesebene dafür«, sagt Julius Neu von Inkota. Ende Oktober sollen 70 000 Unterschriften an das Umweltministerium übergeben werden. Der Reparatur-Bonus sei ein »Anschub für eine Reparatur-Kultur«. Langfristig müssten sich aber Strukturen ändern, zum Beispiel, dass Hersteller Produkte entwickeln und verkaufen, die einerseits möglichst langlebig und andererseits leicht selbstständig zu reparieren sind und für die die notwendigen Ersatzteile verfügbar sind.

In Berlin gibt es außerdem seit Anfang 2023 das Projekt »Netzwerk Qualitätsreparatur«, das Reparaturbetriebe und -initiativen vernetzen möchte. Daran beteiligen sich auch die Berliner Stadtreinigung und die Handwerkskammer. Der Berliner BUND übernimmt dabei die Vernetzungsarbeit der hauptstädtischen Initiativen. »Wir unterstützen auch bei Neugründungen und geben zum Beispiel Handreichungen für Reparatur-Initiativen heraus«, sagt Affelt.

Ein Ziel des Projektes ist es, eine Website aufzubauen, auf der Handwerksbetriebe gelistet und auf einer Karte eingetragen werden, deren Reparatur-Angebote bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. »Da geht es beispielsweise auch darum, dass Kostenvoranschläge nicht unverhältnismäßig viel kosten«, sagt Affelt. Auch die Repair-Cafés sollen dann dort zu finden sein. Bis das von der Senatsumweltverwaltung finanzierte und auf drei Jahre Laufzeit begrenzte Projekt auslaufe, habe man eine sich selbst tragende Netzwerkstruktur aufgebaut, hofft Affelt.

Derweil wird im Haus der Materialisierung weiter gebaut und geschraubt, geflickt und geschneidert. In der Textilwerkstatt, die außerhalb des Aktionstages dreimal die Woche geöffnet ist, finden sich einige Nähmaschinen, viele Stoffe und vor allem: professionelle Schneider*innen. Zum Beispiel Sarah Siewert und Helen Wong, die gerade eine Jacke ändern. »Es kommen viele verschiedene Menschen mit verschiedenen Aufgaben hierher. Sie wissen nicht, wie man Kleidung repariert, und wir helfen dann«, sagt Wong. Die Nähwerkstatt sei darüber hinaus aber auch ein Raum, in dem Kontakte geknüpft und viele Gespräche geführt werden. »Man trifft hier viele nette Menschen. Es ist mehr als nähen.«

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