»Omphale«: Konzentration aufs Wesentliche

Wie bringt man die Gesellschaft auf vernünftige Bahnen? Das Lehrstück »Omphale« von Peter Hacks in Berlin

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.
Rollentausch im aufgeklärten Bewusstsein: David Hannak (Herakles), Wlada Vladislava (Omphale)
Rollentausch im aufgeklärten Bewusstsein: David Hannak (Herakles), Wlada Vladislava (Omphale)

Unter den Figuren der griechischen Mythologie zählt Omphale zu den weniger bekannten. Weit berühmter als die lydische Königin ist ihr Sklave Herakles, der Held. Obwohl zu ihr strafversetzt, beginnen sich die beiden zu lieben. Mit der Folge, dass der Halbgott sich mit Frauenkleidern und -tätigkeiten schmückt – aus Zwang oder Verblendung. So weit die traditionelle Lesart.

Der Dichter und Dramatiker Peter Hacks stellt die Sache in seiner 1970 uraufgeführten »Omphale« anders dar. Der Rollentausch entsteht im klaren, also aufgeklärten Bewusstsein. Herakles ist des männlichen Ungeheuerschlachtens müde, Omphale des Regierens – und ihrer Frauenrolle.

Man merkt der »Omphale« von Hacks an, dass sie eigentlich auf der Opernbühne zu Hause ist (das Libretto vertonte Siegfried Matthus und nicht wie wohl zuerst angedacht Hans Werner Henze). Der Ton ist klassisch, heiter und frivol, das Stück lebt mehr von den Auftritten der Figuren als der Handlung. »Wo spielte man ›Omphale‹, wenn nicht im Theater, welches doch mit Drama so viel im Sinn hat wie die Reichsbahn mit Erholung«, schreibt Hacks in einem Essay zum Stück. Das darf man so verstehen, dass der Dichter dieses Werk angemessen zwar fürs Theater seiner Zeit, jedoch kaum den eigenen Ansprüchen an die dramatische Kunst hielt.

Das heutige Theater schert sich hingegen selbst um »Omphale« wenig und beweist, dass mangelnde geistige Anstrengung sowohl von denen, die es machen, als auch von denen, die es schauen, als befreiend empfunden werden kann. Nur, und da ist man mitten in »Omphale«, wer die vor sich liegenden Aufgaben scheut, landet nicht in der Utopie, sondern beim schalen Abklatsch, dem Maskenball. Spinnt man das weiter, kommt man bei jenen Linken heraus, die sich ein westliches Kriegsbündnis als Mischung aus »Gay Pride« und ökofeministischem Workshop-Wochenende auf der Landkommune vorstellen. So viel zu den Anlässen, »Omphale« auf die Bühne zu bringen.

Das Sidat-Theater, eine kleine Truppe unter der Leitung von Peter Wittig, hat sich »Omphale« angenommen. Die Treppen hinab, fühlt es sich zwar eher wie »Orpheus« an, hinein in die Kellerunterwelt der Neuen Bühne Friedrichshain. Der Raum, breit und mit niedriger Decke, zwingt zur Konzentration aufs Wesentliche. David Hannak spielt Herakles als sanften Schläger, dessen Bescheidenheit kein verdecktes Auftrumpfen ist, wie es ihm sein aufmerksamkeitssüchtiger Halbbruder Iphikles (Konstantin Klemm) unterstellt. Nadja Herzog gibt die Magd Malis, die nach einer Nacht mit Herakles einen frühreifen Kraftprotz Alkaios zur Welt bringt, den Daniel Gelman pointenreich ausspielt.

Wlada Vladislava als Omphale schmeißt sich das Löwenfell über – Tarnfleck mit »Leo II«-Aufschrift – und schnappt sich die Keule; Kleid und Absatzschuhe überlässt sie Herakles, der beides mit Freuden annimmt. Doch das neue Glück, es trägt nicht lange. Ein Ungeheuer gibt es noch, nämlich Lityerses – wunderbar ungeheuerlich: Jürgen Nafti –, der mit seinem fauligen Atem ganze Landstriche zum Verdorren bringt. In den Händen dieser bereits verwesenden Herrschaft, die immer mehr Verwesung schafft, befindet sich Pimplea (Anne Sophy Schleicher), zu deren Rettung Jerome Winistädt als Daphnis auszieht, der zwar zum Dichter auch nicht besonders berufen scheint, jedoch mehr als zum Helden. Kurz: Es wird nichts mit der Befreiung.

Die Botschaft erreicht Lydien, wo der am Hofe ausgebrochene »Gender Trouble« nicht nur für Begeisterungsstürme sorgt. Einmal müssen Herakles und Omphale noch ausziehen, ein Ungeheuer tothauen und anschließend drei Söhne zeugen – verkörpert von drei Mitgliedern der SDAJ –, dann lässt sich sogar von Zukunft sprechen. Das sagt grob dies: Ist die Gesellschaft auf vernünftige Bahnen gebracht, können die Spiele beginnen. Wer jedoch vor der letzten Schlacht schon die Keule zu Pflugscharen macht und »Selfcare« als Revolutionsersatz propagiert, verspielt alles. Der bloß individualistische Ausweg erweist sich als Sackgasse. So kippt bei Hacks die Geschlechter- in die Staatsfrage, wie Regisseur Wittig mit Einblendungen verüberdeutlicht.

Der gierige Vorgriff auf die Utopie gerät in Gefahr, sich der Aufgabe zu entziehen und diese gar aus dem Blick zu verlieren. »Sofortismus« heißt das unnachahmlich bei Rainald Goetz. »Omphale« zeigt, wie man die Zukunft liebt – und die Mittel benutzt, diese Zukunft herbeizuführen. So wird in dem Lehrstück über »des Menschen Umweg« erst am Ende die Keule in den Boden gerammt, der nun ein Baum entsprießt. Frieden, man ahnte es schon, bekommt nicht, wer die Waffen streckt, sondern wer es wagt, eine andere Gesellschaft einzurichten.

»Omphale« an der Neuen Bühne Friedrichshain, nächste Vorstellungen 20., 21., 22. Oktober.
www.neue-buehne-friedrichshain

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