- Kultur
- Klassik-Rock-Nacht
Vom Kinderheim über New York in die Staatsoper Berlin
Das Musiktheater »Don’t you Nomi?« erweckt den Countertenor Klaus Nomi wieder zum Leben
Wir befinden uns in den Katakomben der Staatsoper Berlin. Ein eher kleiner, schmächtiger Mann in einem orangefarbenen Anzug, mit weiß gepudertem Gesicht und einer Sonnenbrille auf der Nase führt das Publikum durch die Gänge, vorbei an den verschlossenen Türen der Produktionsbedingungen dieser Spektakelwerkstatt. Vorher musste man ihm garantieren, alle Hoffnung fahren zu lassen, wie es von Dante schon in der Göttlichen Komödie verlangt wird.
Hinter der Tür zur Probebühne 3 fand vergangenen Samstag die Uraufführung einer Zeitreise und Totenbeschwörung statt: »Don’t you Nomi?«, ein Abend für einen fast vergessenen German Superstar, eingeklemmt zwischen der Musik vergangener Epochen und Zukunftsvorstellungen, die ihrer Zeit voraus waren. Klaus Nomi fand seinen Nachnamen in der Sci-Fi-Zeitschirft »Omni«: Kenn mich, kein Ich, eine allumfassende Identitätsverweigerung und ein schamloser Wunsch nach Aufmerksamkeit stecken in diesen zwei Silben.
Regisseurin Julia Lwowski, Teil des Musiktheaterkollektivs Hauen und Stechen, lässt an diesem Abend sechs Schauspielerinnen, Sänger, Musiker, Performerinnen den ersten Countertenor verkörpern, der es kurz zu ein bisschen Mainstream-Ruhm gebracht hat. Aus einer zweidimensionalen, dreieckigen Krypta (Bühnenbild: Yassu Yabara) kommen die Nomis in den dunklen Raum gekrochen, beleuchtet vom Licht gestapelter kleiner alter Fernseher. Sie sind in Gewänder (von Lea Søvsø) gehüllt, die aus dem Mittelalter stammen könnten oder aus der Raumfahrt, wie man sie sich vor 40 Jahren fürs übernächste Jahrhundert ausgemalt hat. Sie haben dünne Metallstäbe in der Hand, die erst als Antennen, dann als Dolche dienen, summen und singen: »From ancient worlds we come/ To see what man has done/ What’s fact and what is fiction/ To judge the contradiciton.«
Klaus Nomi kam mit dem Nachnamen Sperber auf die Welt. Die Mutter war aus dem zerbombten Essen ins Allgäu geflohen. Klaus war als Kleinkind in einem katholischen Kinderheim untergebracht, dann ging es zurück ins Ruhrgebiet, wo er sich nicht um Schule und Sportverein scherte, sondern stundenlang Radio hörte, sein Taschengeld in Platten investierte und versuchte, Tante Trude große Arien vorzusingen; und zwar die, die für Frauen vorgesehen sind. In Berlin will er seine Stimme an der Hochschule der Künste ausbilden lassen, allerdings nicht zum lyrischen Tenor, wie sich das sein Lehrer denkt, sondern zum Mezzosopran. Verboten. Klaus wird erst einmal Kartenabreißer in der Oper und bedient und singt im Kleist-Casino in Berlin-Schöneberg, wo er sich in einen attraktiven Amerikaner verliebt, mit dem er kurzerhand nach New York geht.
Auf der Probebühne der Staatsoper springen wir ins westdeutsche Fernsehstudio. Thomas Gottschalk, abgebrüht, albern professionell, schrecklich routiniert (und in der Überzeichnung perfekt getroffen von der Schauspielerin Gina-Lisa Maiwald) profiliert sich in seiner Sendung »Na sowas!« mit der Behauptung, Klaus Nomi für Deutschland entdeckt zu haben. Der Klaus hat es in Amerika zu was gebracht und wird jetzt deshalb auch zu Hause zugelassen. Sein Kostüm verhindert, dass er sich einfach hinsetzen kann. In der Wirklichkeit musste Nomi auf der Armlehne von Gottschalks Sessel Platz nehmen und sich vom Moderator ans Bein fassen lassen. In der Inszenierung rotiert Countertenor Nils Wanderer auf einem Drehstuhl, bis er aus dem selbstverständlichen Vorgeführtwerden entlassen wird in Gesang.
Nomis Partner verlässt ihn in New York bald wieder, und Klaus schlägt sich mit schlechtem Englisch als autodidaktischer Konditor durch. In der Subkultur schafft er es, auf sich aufmerksam zu machen: Die Arie »Mon cœur s’ouvre à ta voix« aus Camille Saint-Saëns’ Oper »Samson et Dalila« erschallt 1978 im New Wave Vaudeville, gesungen von Nomi, nicht vom Band, wie die meisten anfangs dachten, weil Körper und Stimme doch irgendwie nicht zusammenpassten. Das Stück vom ungeschmälerten Lieben war ein knappes Jahrhundert alt und wirkte in der Zeit von New Wave bereits außerirdisch. In einem Club lernte er David Bowie kennen. Der nimmt ihn als Background-Sänger für seinen Hit »The Man Who Sold The World« zu »Saturday Night Live« mit.
In der Staatsoper wird die Biografie von Klaus Nomi nicht streng chronologisch nacherzählt. Schlagwerk und Tasteninstrumente, gespielt von Alexander Iezzi und Roman Lemberg, der die musikalische Leitung innehat, sind über den Raum verteilt. Die Nomi-Hits sind klug gewählt und arrangiert, was den großen Diva-Auftritt genauso möglich macht wie eine erzählerische Einbindung. Countertenor Wanderer singt hervorragend, lustigerweise besser als Nomi selbst, ohne dadurch die anderen auf der Bühne an die Wand zu donnern.
Der Abend ist eine Mischung aus Szenen aus Nomis Leben und so etwas wie Nomi-Theorie, wodurch er aber nicht an Intensität verliert. Der Kastraten-Kult etwa, auf den sich der Countertenor durch Kleidung und Make-up immer wieder bezog, ist in einer kurzen Horrorshow Thema: Zwei Krankenschwestern (infernalisch: Cassie Augusta Jørgensen und Gina-Lisa Maiwald) machen sich ans Operieren mit Heckenschere, während im Hintergrund die wirtschaftlichen Erwägungen der Familien verlesen werden, die ihren Buben das antaten. Ingeborg Brüssow, eine charmante Darstellerin, die einige Jahrzehnte älter als die anderen auf der Bühne ist, liest einen Text des Trans-Theoretikers Paul B. Preciado an einem Teetisch mit Zitronenkuchen.
2024 wäre Nomi 80 geworden, er starb bereits vor 40 Jahren an Aids als eines der ersten prominenten Opfer. Die soziale Ächtung und Isolation, die er, der für ein paar Jahre ein Star war, erfuhr, wird eindringlich dargestellt in leeren Versprechen am Telefon: Man würde ihn ja so gern besuchen, ist aber leider zurzeit einfach zu busy. Ergänzt wird diese Szene durch Originalaufnahmen seiner Tante Trude, der er die Krankheit verheimlichte, nachdem zuvor hinter den Publikumsplätzen ein Gartenfest bei ihr gefeiert wurde. Das Ensemble lässt Nomi aber wieder auferstehen und beschließt die kluge, intensive, Kategorien sprengende Stückentwicklung mit dem Hit »After the Fall/ We’ll be born, born, born again!«
Nächste Vorstellungen: 11., 13., 15., 17., 19. und 21.10.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.