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Prozess zu Lunapharm-Skandal eröffnet
Eine linke Ministerin musste zurücktreten – ein Angeklagter muss nicht vor Gericht antreten
Zu den Vorwürfen möchte sich Gunter K. am Mittwoch vor dem Landgericht Potsdam noch nicht äußern. »Zur Sache könnte ich nur rumschimpfen«, winkt der 66-Jährige ab. Er gibt vorerst nur zu seiner Person Auskunft – sehr locker und doch professionell. Die Justiz ist ihm schließlich alles andere als fremd. Er hat viele Jahre Berufserfahrung als Rechtsanwalt, sitzt nun aber als Beschuldigter auf der Anklagebank. Seine kleine Kanzlei in Wiesbaden vertritt Mandanten in allen Lebenslagen.
Zu den Klienten gehört Mohamed H. aus dem Landkreis Offenbach, Inhaber einer Apotheke in Griechenland, der über Jahre mit der Lunapharm GmbH in Blankenfelde-Mahlow bei Berlin Geschäfte machte. Dabei lieferte der Großhändler Lunapharm nicht etwa Medikamente an die Apotheke in Athen, sondern er bezog diese umgekehrt von dort. Im Ausland sind Medikamente nun einmal billiger. Dort eingekauft, lassen sie sich in Deutschland mit Gewinn weiterverkaufen. So weit ist das legal.
Trotzdem musste im Sommer 2018 die brandenburgische Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) zurücktreten, obwohl sie von irgendwelchen möglicherweise kriminellen Machenschaften überhaupt keine Kenntnis hatte – bis das ARD-Magazin »Kontraste« einen vermeintlichen Skandal aufdeckte. Ihr wurde jedoch vorgehalten, sie habe ihren Laden nicht im Griff. Ihr wurde auch angekreidet, nichts gegen die personelle Unterbesetzung der Medikamentenaufsicht im Landesgesundheitsamt unternommen zu haben. Die Aufsicht hatte auf Hinweise zu Unregelmäßigkeiten bei Lunapharm nicht sofort angemessen reagiert.
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Jetzt steht Gunter K. vor dem Landgericht Potsdam und mit ihm Susanne K., die Chefin von Lunapharm. Beide sind angeklagt wegen Handels mit gefälschten Medikamenten. Die Medikamente waren zwar echt, wurden aber teils illegal besorgt, so der Vorwurf. Allein die Hauptakten zu diesem Prozess umfassen rund 5000 Seiten.
Susanne K. will sich erst beim nächsten Verhandlungstermin am 20. Oktober äußern. Doch nachdem der am Mittwochmorgen eröffnete Prozess nach anderthalb Stunden vertagt ist, verteilt ihre Verteidigerin Bettina Holstein vor dem Saal eine Pressemitteilung. Darin heißt es, die Beschuldigte werde sich am 20. Oktober ausführlich zu allen Anschuldigungen äußern und für Fragen zur Verfügung stehen. »Schon jetzt ist aber zu betonen, dass niemand den Vorwurf erhoben hat, es seien mit den von der Lunapharm Deutschland GmbH vertriebenen Medikamenten zu irgendeinem Zeitpunkt Probleme aufgetreten«, steht in der Pressemitteilung. »Irgendeine Täuschung oder gar Gefährdung von Patienten lag nie vor.«
Das hörte sich 2018 beim Magazin »Kontraste« noch anders an: Von Lunapharm vertriebene Krebsmedikamente seien in griechischen Krankenhäusern gestohlen und angeblich auf einem Fischmarkt in Athen zwischengelagert worden, bevor Kuriere diese in Koffern per Flugzeug nach Deutschland schafften. Die betreffenden Krebspräparate müssten aber bei zwei bis acht Grad Celsius aufbewahrt werden. Die Kühlkette könnte unterbrochen gewesen sein. Damit könnten die Mittel unwirksam geworden sein.
Davon ist in den Auszügen, die zwei mit dem Fall betraute Staatsanwälte am Mittwoch aus der Anklageschrift vortragen, allerdings nicht die Rede. Auch hatten Nachprüfungen schon ergeben, dass die vorschriftsmäßig zurückgehaltenen Proben von den einzelnen Chargen allesamt einwandfrei waren. Das bietet zwar keine 100-prozentige Sicherheit. Es lässt aber darauf schließen, dass keine unwirksamen Medikamente verabreicht worden sind.
Illegal waren die Geschäfte der Anklage zufolge aber doch, weil die Apotheke in Griechenland keine Erlaubnis für den Großhandel hatte. Von dort weiter Medikamente zu beziehen, untersagte das Landesgesundheitsamt deshalb im Jahr 2017. Aber die Lunapharm-Chefin soll einfach weitergemacht und die tatsächliche Herkunft der Lieferungen dann nur verschleiert haben. Ein Pharmagroßhändler aus Zypern soll die Rechnungen geschrieben haben, als ob er der Lieferant sei. Gezahlt habe Lunapharm aber nicht an ihn, sondern soll die geforderten Summen an Rheingold Pharma überwiesen haben – Firmen von Mohamed H., für die er seinen Rechtsanwalt Gunter K. als Geschäftsführer eingesetzt habe. Von den Rheingold-Konten sei das Geld bar abgehoben worden. Insgesamt sollen es 853 785 Euro gewesen sein.
23 derartige Fälle werden Susanne K. und Gunter K. zur Last gelegt, drei weitere Fälle allein dem 66-jährigen Anwalt. Ein Staatsanwalt und eine Staatsanwältin verlesen vor Gericht einen Fall nach dem anderen. Sie nennen dabei den Umfang der Lieferungen: fünf Packungen, acht Packungen oder mehrere Hundert mit 3,5 bis 500 Milligramm von dieser oder jener Substanz, darunter das Darmkrebspräparat Avastin und das in der Brustkrebstherapie verwendete Mittel Herceptin. Die Staatsanwältin zitiert aus den einzelnen Posten – zum Beispiel ein kleiner Posten aus dem Jahr 2017, wo Lunapharm mit einer Lieferung, die an vier verschiedene Abnehmer weiterveräußert wurde, einen Reingewinn von 4110,69 Euro gemacht haben soll. Insgesamt soll das Unternehmen von Susanne K. mit solchen Deals Einnahmen in Höhe von rund 1,1 Millionen Euro erzielt haben. Es sei dann auch noch per Darlehen Geld von der Lunapharm Limited, deren Direktorin Susanne K. gewesen ist, zur Lunapharm Deutschland GmbH geschoben worden, als deren Geschäftsführerin die 56-Jährige nach wie vor firmiert. Auch von einer Gewinnausschüttung von 500 000 Euro an sie persönlich und ihren Mann ist die Rede. Nach Abzug von Steuern und Solizuschlag seien für sie dabei 368 000 Euro übrig geblieben.
Susanne K. lässt die Verlesung der Anklagepunkte, bei der ein Staatsanwalt zu haspeln beginnt und von der Richterin gebeten wird, doch etwas langsamer vorzutragen, gefasst über sich ergehen. Ihr Mann ist mit im Verhandlungssaal Nummer 6 und hat einen eigenen Rechtsbeistand an seiner Seite. Gunter K. erzählt im Anschluss sogar beinahe fröhlich aus seinem Leben: Dass er in einem Dorf nördlich von Frankfurt am Main aufgewachsen ist, mit seiner 2005 verstorbenen ersten Frau zwei erwachsene Söhne hat, von denen einer ebenfalls Anwalt wurde und der andere Archäologe, und seine zweite Frau noch vier Kinder in die Ehe brachte, die ebenfalls erwachsen sind.
Das Paar wohnt in Limburg in einem 730 Jahre alten Haus. Von dort pendelt Gunter K. in seine Kanzlei in Wiesbaden, die er langsam auslaufen lassen möchte. Vier Tage in der Woche hat er dort noch zu tun. Seit einem Jahr beziehe er 1700 Euro Rente. Die Kanzlei werfe jetzt noch durchschnittlich etwas unter 2000 Euro im Monat ab. Seine Mandanten hätten Vertrauen zu ihm und wollten sich nicht an jemanden anderen gewöhnen. Deshalb sei es schwierig, die Kanzlei an einen jüngeren Nachfolger zu übergeben. Auch der Mitangeklagte Mohamed H. sei so ein Fall gewesen.
Der ist jetzt übrigens so gut wie raus aus der Sache. Ein Gutachten von zwei Amtsärztinnen aus Offenbach bescheinigt dem 1949 geborenen Angeklagten »Kurzatmigkeit schon nach wenigen Schritten« und andere Leiden. Mit dem Rollator sei er mit Tochter und Enkel in die Sprechstunde gekommen. Er sei reise- und verhandlungsunfähig. Das Gericht trennt das Verfahren gegen ihn ab. Vermutlich wird es nicht wieder aufgenommen. Es scheint unwahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand des pflegebedürftigen Beschuldigten in Zukunft so verbessert, dass er vor Gericht erscheinen könnte. Er kann nicht einmal mehr aus eigener Kraft stehen, so der Befund der Amtsärztinnen aus Offenbach.
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