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FragDenStaat und Sea Watch klagen gegen Frontex

Europäisches Gericht verhandelt zu geheimer Kooperation mit Libyen

Ein Flugzeug von Sea Watch beobachtet einen Pullback durch die libysche Küstenwache.
Ein Flugzeug von Sea Watch beobachtet einen Pullback durch die libysche Küstenwache.

»Mittäterschaft aus der Luft« haben Human Rights Watch und Border Forensics ihre Studie vor einem Jahr genannt, die nachweist, wie Frontex mit der libyschen Küstenwache kooperiert und dabei die Menschenrechte durch die Hintertür verletzt: Die aus Milizen bestehenden Einheiten sollen im EU-Auftrag Geflüchtete im Mittelmeer, die mit Booten nach Europa gelangen wollen, nach Libyen zurückholen. Hierzu übermittelt Frontex Positionsdaten der Schutzsuchenden an die nordafrikanische Küstenwache. Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Praxis als »Pullback«.

Informationen zu einem solchen Vorfall am 30. Juli 2021 im zentralen Mittelmeer hält die EU-Grenzagentur aber zurück: Auf eine Anfrage über die Transparenzplattform FragDenStaat gab Frontex zwar zu, dazu 73 Dokumente, Bilder und ein Video in den Beständen zu haben. Die Hälfte dieser Dateien bezögen sich auf den Kommunikationsaustausch zwischen Frontex und libyschen, italienischen sowie maltesischen Behörden, so die Agentur. Die Herausgabe wird jedoch verweigert.

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Deshalb zieht FragDenStaat nun vor das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg. Eingereicht hat die Klage die Organisation Sea-Watch, deren Rettungsschiff »Sea Watch 3« sich in der Nähe des in Rede stehenden Notfalls befand, von den Behörden nicht dorthin beordert wurde. Ein Flugzeug von Sea-Watch hat das Abfangen des Bootes durch die libysche Küstenwache aus der Luft dokumentiert. Den Aufnahmen zufolge befanden sich etwa 20 Menschen an Bord.

Anschließend wurden die Menschen von der Küstenwache nach Libyen gebracht und dort vermutlich in Gefangenenlagern interniert. Diese werden von der Regierung in Tripolis sowie von Milizen betrieben. Weil es in Libyen kein Asylsystem gibt, aber auch wegen der Bedingungen in den Haftanstalten gilt das Land nicht als »sicherer Ort«, an dem Menschen in Seenot ausgeschifft werden müssen. Sogar deutsche Diplomaten hatten die Bedingungen in den Lagern in einem internen Bericht als »konzentrationslagerähnlich« bezeichnet.

Über die 2011 von FragDenStaat gestartete Internetplattform können Informationsfreiheitsanfragen von beliebigen Nutzern bei Behörden in Deutschland und der EU gestellt werden. FragDenStaat und Sea-Watch wollten mit ihrer Anfrage herausfinden, wer die libysche Küstenwache alarmiert hatte und wieso diesem »gefährlichen Akteur« Vorrang vor einer Rettung durch die »Sea-Watch 3« eingeräumt worden war. Möglicherweise erfolgte dies auch über informelle Kanäle: Ebenfalls 2021 wurde bekannt, dass Frontex mit Einrichtungen in Libyen zur Migrationsabwehr auch Whatsapp-Nachrichten austauscht. Dabei geht es um die Position von Booten mit Geflüchteten. Auch dies wurde erst über eine Anfrage mithilfe von FragDenStaat belegt.

Ob die Koordinaten des Flüchtlingsbootes an dem besagten Tag jedoch tatsächlich über die EU-Grenzagentur nach Libyen übermittelt wurden, bleibt wegen der Auskunftsverweigerung durch Frontex unklar. Möglich ist auch, dass dies über Umwege durch italienische oder maltesische Behörden erfolgte. Deren Seenotleitstellen müssen von Kapitänen und Piloten über Notfälle im zentralen Mittelmeer informiert werden, so bestimmt es das Seerecht und das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, das im Rahmen der Vereinten Nationen beschlossen wurde.

Dass Frontex in dem Vorfall eine Rolle spielt und die libysche Küstenwache über das Boot informiert haben könnte, ist jedoch wahrscheinlich: Nur wenige Wochen vor dem 30. Juli 2021 hatte Frontex eine militärische Drohne in Malta stationiert, diese wird vom deutschen Rüstungskonzern Airbus in Kooperation mit der maltesischen Luftwaffe betrieben. Laut Sea Watch wurde diese Drohne dreimal gesehen, wie sie das in Seenot geratene Boot umkreiste, bevor die Küstenwache aus Libyen dort eintraf.

»Jahrelang hat sich Frontex durch Geheimhaltung davor geschützt, die Konsequenzen ihres Handelns tragen zu müssen – das gilt insbesondere für die Operationen der Agentur und ihre Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen«, schreibt FragDenStaat zur Klage in Luxemburg. Allein in den Jahren 2020 und 2021 gab es über 50 Berichte über die Beteiligung von Frontex an Pushbacks auf See und an Land. Viele dieser Fälle wurden ebenfalls über Anfragen über FragDenStaat dokumentiert.

»Frontex muss ihre Rolle bei allen Operationen, die zu Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen und Migranten geführt haben könnten, transparent darlegen«, fordert auch Amnesty International. Die Organisation beobachtet die Verhandlung in Luxemburg.

Es ist das zweite Mal, dass FragDenStaat und Frontex vor dem Gericht der Europäischen Union aufeinander treffen. Die Initiative hatte 2017 von der Agentur wissen wollen, welche Schiffe und Flugzeuge sie im Mittelmeer vor Italien einsetzt. Auch diese gesammelten Informationen wollte Frontex geheim halten – obwohl sie in Pressemitteilungen und sozialen Medien immer wieder über diese Einheiten berichtet hatte. Deshalb reichte FragDenStaat eine Klage ein, die das Gericht in Luxemburg aber zugunsten von Frontex entschied. Anschließend verlangte die Agentur von der Initiative 23 700 Euro für Anwaltskosten. Auch hiergegen hatte FragDenStaat geklagt und einen Erfolg erzielt: Das Gericht bestätigte, dass die Rechnung von Frontex unangemessen hoch war. Stattdessen sollten die Transparenzaktivisten aber 10 520 Euro bezahlen.

»Das EU-Gericht muss nun entscheiden, ob Frontex diesen gefährlichen Kurs fortsetzen kann oder ob wir ein Recht auf Informationen über die lebensfeindlichen Maßnahmen der EU im zentralen Mittelmeer haben«, schreibt FragDenStaat zu der am Mittwoch verhandelten Klage. Nach der Anhörung soll ein Urteil in den kommenden Wochen verkündet werden.

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