Gemeineigentum als Krisenlösung

Vor 40 Jahren startete die IG Metall ihren Anlauf zur Vergesellschaftung der bundesdeutschen Stahlindustrie

  • Ralf Hoffrogge
  • Lesedauer: 12 Min.
Demonstration gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen 1987: Zu dieser Zeit war die Vergesellschaftung schon vom Verhandlungstisch, auf dem stattdessen der Sozialplan bereitlag.
Demonstration gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen 1987: Zu dieser Zeit war die Vergesellschaftung schon vom Verhandlungstisch, auf dem stattdessen der Sozialplan bereitlag.

Mit dem Berliner Volksentscheid zur Vergesellschaftung konzerneigener Wohnungsbestände hat die Mietenbewegung ein Erbe der Arbeiterbewegung aktualisiert. Bis in die 80er Jahre blieb das Konzept in der Bonner Republik lebendig, etwa in der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall). Vom 9. bis 15. Oktober 1983 tagte in München deren 14. Gewerkschaftstag. Als Reaktion auf Krise und Massenentlassungen beschlossen die etwa 500 Delegierten fast einstimmig die Forderung nach Vergesellschaftung der westdeutschen Stahlindustrie.

Der Forderung ging eine seit 1982 aktive soziale Bewegung voraus, die im Rückblick wie ein Scharnier zwischen »alter« Arbeiterbewegung und »neuen« sozialen Bewegungen wirkt. Ihre konservative Forderung nach Erhalt von Arbeitsplätzen passte kaum zum optimistischen Sturm und Drang der sozialistischen Bewegung vor dem Zweiten Weltkrieg, ihre Verankerung in der Schwerindustrie hatte aber auch wenig gemein mit der heutigen, postindustriellen Vergesellschaftungsbewegung. Diese will Wohnraumversorgung, Energie und Gesundheit vergesellschaften, es geht um die Reproduktion von Arbeitskraft, nicht um die Produktion von Gütern. Träger der neuen sozialen Bewegung sind daher weniger Arbeitende in der Produktion, sondern Angehörige von Dienstleistungsberufen, vor allem jedoch Nutzerinnen und Nutzer der Daseinsfürsorge.

Die Stahlkrise ab 1975

Insgesamt 232 000 Beschäftigte umfasste die westdeutsche Stahlindustrie 1974, sie litt jedoch unter globaler Überproduktion. Die IG Metall sperrte sich in der 1975 anbrechenden Krise nicht gegen Entlassungen, forderte aber deren Abfederung durch Sozialpläne. Diese wurden von den Betriebsräten unter Einbezug der Arbeitnehmer*innen im Aufsichtsrat ausgehandelt, umfassten Einstellungsstopp, Ersatzarbeitsplätze, Frühverrentung sowie unbezahlten Heimaturlaub bei Garantie auf Wiedereinstellung für »ausländische Arbeitnehmer«. Bis 1978 verabschiedete die Industriegewerkschaft mehrere Sozialpläne, forderte jedoch eigentlich einen Runden Tisch aus Unternehmen, Gewerkschaft und Staat. Der »Stahlausschuss«, wie die Branchenkonferenz später genannt wurde, sollte bestehende Mitbestimmung zur überbetrieblichen Wirtschaftsplanung ausbauen.

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Die Forderung nach Wirtschaftsdemokratie wurde bereits vor der Krise von IG Metall und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) erhoben und von Gewerkschaftsgegnern in die Nähe sozialistischer Umsturzpläne gerückt. Tatsächlich war das Anliegen der Gewerkschaft eher sozialpartnerschaftlich: Es ging um regionale Sozial- und Wirtschaftsräte, in denen Gewerkschaften, Staat und Unternehmen gemeinsam Strukturpolitik aushandeln sollten.

Als Vorbild sah die IG Metall die westdeutsche »Montanmitbestimmung«, die den Gewerkschaften seit 1951 die Hälfte der Aufsichtsratsmandate der Stahlkonzerne sicherte sowie die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Die IG Metall wollte zunächst auf Bundesebene, später über die EGKS Stahlausschuss und Strukturpolitik durchsetzen. Auf beiden Ebenen drang sie jedoch nicht durch. So blieb Montanmitbestimmung das einzige Machtmittel – und Blaupause für alle Krisenkonzepte. Allerdings hatte die Mitbestimmung Federn lassen müssen. Durch Fusionen verringerte sich die Zahl betroffener Unternehmen, in Mischkonzernen sank der Anteil der Stahlproduktion, womit diese aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herauszufallen drohten. Einzelgesetze sicherten teils die Mitbestimmung in den Betrieben, aber eine Ausweitung kam auch unter Willy Brandt nicht zustande.

Vergesellschaftung als Krisenkonzept

Die Vergesellschaftungsbewegung stieß 1982 in eine strategische Leere vor. Sie war eine Antwort auf die Krise der Stahlindustrie, die Krise der Mitbestimmung und das Scheitern gewerkschaftlicher Konzepte. Auftakt war die Bewegung »Stahlwerk jetzt!« in Dortmund 1980. Sie forderte die Einhaltung einer Zusage des Hoesch-Konzerns, in Dortmund ein modernes Oxygen-Stahlwerk zu errichten. Hoesch wollte jedoch staatliche Kredite komplett in die Weiterverarbeitung investieren. Und ohne neues Werk stand die Stahlproduktion vor Ort infrage. Dagegen protestierte »Stahlwerk jetzt!« am 28. November 1980 mit 70 000 Menschen in der Dortmunder Innenstadt. Im April 1981 besetzten wütende Stahlkocher die Hauptverwaltung von Hoesch. Der Protest wurde breit unterstützt, 100 000 Menschen bestärkten »Stahlwerk jetzt!« in einer Unterschriftensammlung und eine Fraueninitiative trug die Forderungen aus den Betrieben in die Stadt. Die Erfolge waren dennoch begrenzt: Die IG Metall musste die Schließung von zwei Standorten in Dortmund hinnehmen. »Stahlwerk jetzt!« hatte die Sozialpläne nicht infrage gestellt, sondern auf ihre Einhaltung gepocht. Als dies nicht gelang, war die Sozialplanpolitik weiter diskreditiert.

Von der K-Gruppe zum Memorandum

In dieser Lage wurde Vergesellschaftung zunächst in linken Gruppen und Kleinparteien diskutiert. Den Anfang machte »Revier«, eine unabhängige gewerkschaftliche Zeitung aus Duisburg. Aufgenommen wurde die Forderung in der Zeitschrift »Arbeiterkampf« des Kommunistischen Bundes (KB). Hier kritisierte Karl Ludwig aus Hagen Sozialisierung als »Verstaatlichung der Verluste«, während die »Kommission Betrieb und Gewerkschaften« des KB sie verteidigte. Auch Rainer Trampert, Betriebsrat bei Texaco und Mitglied der Gruppe Z, einer 1980 zu den Grünen übergelaufenen Abspaltung des Kommunistischen Bundes, verteidigte »Stahlwerk jetzt!«. Dort hätten »relativ kampferfahrene Arbeiter« eine Perspektive jenseits von Arbeitszeitverkürzung entworfen. Die Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) befürwortete ebenfalls »Verstaatlichung«. Der betriebliche Ableger der maoistischen Kleinpartei KPD/ML stellte zwei Betriebsratsmitglieder im Dortmunder Hoesch-Werk »Union«. Die RGO wollte aus dem Staatseinstieg jedoch keine »neue Heilslehre« machen, suchte vor allem eine Lösung zum Erhalt des Dortmunder Werks. Interessant an »Stahlwerk jetzt!« war für die Linke weniger deren Forderungen, sondern der »echte« Arbeiterprotest, der betriebs- und volkswirtschaftlicher Rationalität widersprach.

Einen vorläufigen Abschluss fand die Debatte im Mai 1981 mit dem »Stahlmemorandum« der linkskeynesianischen Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Das 100-seitige Papier buchstabierte Vergesellschaftung in zwei Szenarien aus, beide beschrieben eine Überführung in Gemeineigentum nach Artikel 15 des Grundgesetzes. Auf die linke Debatte zuvor bezog sich das Memorandum mit keinem Wort, hob diese aber dennoch auf ein neues Niveau: Es unterschied Vergesellschaftung von Verstaatlichung und lotete aus, wie Gemeineigentum konkret ausgestaltet werden könnte. In der IG Metall wurden die seit 1975 erscheinenden Gutachten meist dankbar aufgegriffen. Diesmal lehnte die Mitgliederzeitung »Metall« unter der Überschrift »Sozialisierung der Verluste – Nein Danke« das Memorandum jedoch ab. IG-Metall-Vorstandsmitglied Lutz Dieckerhoff präsentierte stattdessen 1981 den Entwurf eines stahlpolitischen Programms, das die wirtschaftsdemokratischen Forderungen der IG Metall systematisierte und an die Europäische Gemeinschaft adressierte. Ziel war der Erhalt einer dezentralen Landschaft mitbestimmter, aber privater Unternehmen.

Forderung nach Vergesellschaftung

Im Dezember 1982 erreichte die Debatte um Vergesellschaftung die Beschäftigten. Die Vertrauensleute der Dortmunder Stahlbetriebe forderten in einem »Dortmunder Papier«: »1. die Überführung der Stahlindustrie in Gemeineigentum; 2. Schaffung einer nationalen paritätisch mitbestimmten Stahl-AG; 3 Sicherung der regionalen Stahlstandorte; 4. gezielte Investitions-, Sozial- und Innovationspolitik«. Damit ergriffen ehrenamtliche IG-Metall-Vertreter die Initiative. Später kamen Betriebsräte sowie Funktionäre lokaler IG-Metall-Verwaltungsstellen hinzu, während der Vorstand sich ablehnend verhielt.

Der Funktionärskörper war uneins über die neue, alte Forderung – tendierte jedoch immer mehr zur Akzeptanz. Vergesellschaftung erschien machbar. Eine staatliche Stahlindustrie existierte in Großbritannien sowie Österreich bereits und der Artikel 15 des Grundgesetzes bot einen juristischen Hebel. Die Forderung entsprach der vom IG-Metall-Vorsitzenden Eugen Loderer angestrebten »Verwirklichung« des Grundgesetzes durch Reformen ebenso wie der Satzung der IG Metall selbst, die in Artikel 2 seit 1949 eine Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien proklamierte. Vergesellschaftung konnte weder als Utopie beiseite geschoben werden noch ließ sie sich als kommunistisch abtun. Sie war nicht Gegenstück, sondern letzte Zuspitzung der Reform-Euphorie des »sozialdemokratischen Jahrzehnts« zwischen 1969 und 1981. Das »Dortmunder Papier« wurde im Februar 1983 von Vertrauensleutekonferenzen in Bremen, Hattingen, Duisburg und Salzgitter übernommen.

Vergesellschaftung als Drohkulisse – diese Strategie übernahmen die IG-Metall-Vorstandsmitglieder Eugen Loderer und Rudolf Judith im März 1983 in einem Brief an Kanzler Helmut Kohl: »Wenn die pragmatischen stahlpolitischen Vorstellungen der IG Metall bei der Bundesregierung keine positive Resonanz finden, wenn insbesondere in der Mitbestimmungsfrage nichts Entscheidendes geschieht, dann wird der Unmut in den Stahlrevieren sich selbst politische Bahn brechen.« Kohl reagierte nicht. Der IG-Metall-Vorstand bereitete nun für den 29. September 1983 eine Großdemonstrationen vor. Beim »Marsch auf Bonn« demonstrierten 130 000 Menschen, lokale Gliederungen mobilisierten mit Aufklebern, die »Vergesellschaftung Jetzt« forderten.

Im Februar 1983 folgte eine IG-Metall-Stahlkonferenz, die diese Eigendynamik einzufangen versuchte und der Vergesellschaftung Raum bot. Der IG-Metall-Vorsitzende Loderer betonte jedoch, die Forderung sei mit FDP-Außenminister Genscher und der CDU nicht durchsetzbar: Sie »hätte keinen praktischen Nutzen, aber immer noch Sprengkraft genug, um uns alle nur denkbaren Gegner auf den Hals zu hetzen, die uns dann als verkappte Umstürzler verketzern«. Auch die meisten Stahl-Betriebsräte waren skeptisch. Auf einer Tagung in Oberhausen forderten sie die »Fortführung der Sozialplanpolitik ohne materielle Abstriche«. Nur im Nachsatz hieß es, im Falle des Scheiterns seien »die deutschen Stahlkonzerne in Gemeineigentum zu überführen«.

Der Gewerkschaftstag 1983

Die Demonstration fand im Vorfeld des 14. Gewerkschaftstags statt, der vom 9. bis 15. Oktober 1983 in München stattfand. Eugen Loderer zog eine enttäuschende Bilanz zu dessen Ergebnissen: »Selbst ein Minimalkonsens zwischen unseren Ideen und den Vorstellungen der Regierung ist nicht mehr gegeben.« Mit dieser Rede nahm er Abschied, die Delegierten wählten den bisherigen zweiten Vorsitzenden Hans Mayr als Nachfolger. Für eine Überraschung sorgte jedoch ein Antrag zur Vergesellschaftung der Stahlindustrie. Obwohl die Antragskommission eine Ablehnung der Forderung empfohlen hatte, wurde sie fast einstimmig angenommen. Es handle sich um eine »Existenzfrage«, betonte ein Delegierter aus den Stahlwerken Peine-Salzgitter. Gemeineigentum sei »nicht zu verwechseln mit den jetzigen staatlichen Betrieben, aus denen ich selbst komme« – aber die einzige umsetzbare Lösung. Der neue Vorsitzende Hans Mayr akzeptierte den Kurswechsel, beim Vorstand der IG Metall trat eine »Arbeitsgruppe Stahlindustrie« zusammen, um die Forderung ins Programm einzuarbeiten. Die Umsetzungschancen waren jedoch gering. Als einzige Fraktion im Bundestag griffen die Grünen im September 1983 die Forderung auf. Sie organisierten ein Stahl-Forum und gaben eine Broschüre heraus, mit dem Ziel, der Forderung »größere Geltung zu verschaffen«.

Der Entwurf für neues stahlpolitisches Programm der IG Metall wurde erstmals im März 1985 auf einer Stahlkonferenz in Mülheim diskutiert – anderthalb Jahre nach dem Gewerkschaftstag. Der Vorsitzende Hans Mayr betonte, eine vergesellschaftete Stahlindustrie müsse auf gesellschaftliche Ziele verpflichtet werden. Im Papier genannt wurden die »Sicherung der Beschäftigung« und des »sozialen Status der Arbeitnehmer« sowie der »Erhalt der Stahlstandorte«. Genannt wurden einzig die Interessen der Beschäftigten einer Branche. Sogar die Versorgung mit Stahl fehlte als gesellschaftliches Ziel – »Gesellschaft« kam eigentlich nicht vor. Im Weiteren betonte Mayr die Fortgeltung der Montanmitbestimmung, den dezentralen Unternehmensaufbau und Tarifverträge. Die IG Metall wollte in einem vergesellschafteten Unternehmen »nicht Richter über die Arbeitsplätze sein, sondern Anwalt der Arbeitnehmer«, erklärte Mayr. Die buchstabengetreue Übernahme aller erkämpften oder geforderten Mitbestimmungselemente zeugte von Unsicherheit im gerade betretenen Neuland. Keineswegs wollte die IG Metall in eine Unternehmerrolle geraten, gar ihre eigenen Leute entlassen müssen.

Volle Kraft für Arbeitszeitverkürzung

Dass der Vorstand der IG Metall für den Entwurf eineinhalb Jahre benötigte, verweist auf nachrangige Priorität. Die »ganze Kraft der Organisation« hatte der Vorsitzende Mayr dagegen im Januar 1984 für die Durchsetzung einer 35-Stunden-Woche eingefordert. Der Streik dafür absorbierte 1984 jene Wut und Energie, die 1982/83 die Vergesellschaftungsbewegung getragen hatte. Weiter im Raum standen Forderungen nach mehr Beteiligung für die Vertrauensleute in der Gewerkschaft. Es dauerte bis zum 15. ordentlichen Gewerkschaftstag, auf dem im Oktober 1986 gegen das Votum der Antragskommission ein »Aktionsausschuss« beschlossen wurde, um mehr horizontale Beteiligung zu erreichen.

Dem 1986 gebildeten Aktionsausschuss gelang im Folgejahr eine Mobilisierung, wie sie sonst nur in großen Streiks zu beobachten war. Am 16. Januar 1987 fand ein Stahlaktionstag mit 70 000 Teilnehmenden in 24 Städten statt, ein zweiter Aktionstag im März versammelte 30 000 Menschen in Bonn. Die Vergesellschaftungsbewegung erreichte 1987 ihren letzten Höhepunkt durch eine Massenpetition an den Bundestag, die von Mai bis Oktober lief und mit der Überreichung von 180 000 Unterschriften endete. Höhepunkt war Ende des Jahres der Konflikt um die Stilllegung des Krupp’schen Hüttenwerks Rheinhausen bei Duisburg. Es kam zur Erstürmung von Aufsichtsratssitzungen. Am letzten Stahlaktionstag, dem 10. Dezember 1987, traten 90 000 Stahlbeschäftigte kurzzeitig in den Ausstand. Die Region schien an der Schwelle eines Generalstreiks. Ikonisch wurde die »Brücke der Solidarität«, als Tausende die Rheinbrücke zwischen den Duisburger Stadtteilen Rheinhausen und Hochfeld besetzten.

Doch die Krise, die den Protest hervorgebracht hatte, sorgte auch für sein Ende. Die Unterauslastung des Werks Rheinhausen gab Krupp ein Druckmittel an die Hand. Im April 1988 stimmte die Belegschaft einem Kompromiss zu, die Produktion wurde 1993 eingestellt und die Eskalation endete am Runden Tisch. Dies galt für die gesamte Stahlbranche: Schon im Juni 1987 hatten übergreifende Gespräche zwischen IG Metall und Stahlkonzernen stattgefunden, am Ende stand die im Juni 1987 beschlossene »Frankfurter Vereinbarung«, in der Stahlunternehmen Ersatzarbeitsplätze zusagten und die Bundesregierung Subventionen. Vergesellschaftung war ebenso vom Tisch wie Wirtschaftsdemokratie oder Wirtschaftsplanung. Die Stahlbeschäftigten hatten sich teuer verkauft, bekamen aber unterm Strich jene Sozialplanpolitik, die in vorherigen Krisen ohne Kampf zu haben war.

Vergesellschaftung und ihr Scheitern

Die Vergesellschaftungsbewegung scheiterte, weil sie ihren Druck nicht in die Parlamente tragen konnte – einzig die Grünen übernahmen die Forderung. Die Trennung von Politik und Ökonomie, auf deren Aufhebung Vergesellschaftung abzielte, war in den Kämpfen zu ihrer Erringung kaum abgebildet. Ansätze dafür gab es bei »Stahlwerk jetzt!« 1980, aber auch bei den Protesten von Rheinhausen 1987. Beide Proteste verfolgten kaum radikale Ziele, setzten aber eine horizontale Mobilisierung durch. Die Konkurrenz zwischen den Stahlstandorten war überwunden, ganze Städte wurden aktiv, Beschäftigte schreckten auch vor »wilden« Streiks nicht zurück. All dies ermöglichte der IG Metall eine Aufstellung als soziale Bewegung – ihr Vorstand hielt jedoch an der Trennung von Politik und Ökonomie fest.

Eine Ausweitung der Mitbestimmung sollte durch das Parlament erfolgen, womit man sich der zögernden SPD auslieferte. Alleingänge der Belegschaften dagegen aktivierten eine in der Gewerkschaft verankerte Furcht vor »Betriebsegoismus« oder »Syndikalismus«. Während Teile des Funktionärskörpers für Vergesellschaftung kämpften, klammerten sich andere an die »halbe Macht« der erodierenden Montanmitbestimmung. Die »Montanmentalität« blockierte den Versuch, andere Lösungen aus der Krise zu finden.

Trotzdem kann der Aktionsausschuss von 1986 als Vorläufer späterer Konzepte von »Organizing« und Mitgliederbeteiligung verstanden werden. Die Paradoxie der Stahlkrise lag aber darin, dass sie Radikalität hervorrief und zugleich die Bedingungen der Radikalisierung untergrub. Die Einsicht in die eigene Überflüssigkeit brachte die Stahlbeschäftigten 1987 an den Runden Tisch, wo der Sozialplan bereitlag. Problematisch war zudem die Verengung auf eine nationale Lösung. Das Globalisierungsdilemma hinter der Stahlkrise war in den Lösungsvorschlägen kaum präsent. Mit der Wiedervereinigung verschwand Vergesellschaftung dann gänzlich aus den Debatten der IG Metall. Sozialpartnerschaftliche Strategien, wie sie sich in der Autoindustrie durchgesetzt hatten, begleiteten die Gewerkschaft in die 90er Jahre.

Insofern mag es kein Zufall sein, dass aktuelle Vergesellschaftungsforderungen sich auf Bereiche konzentrieren, die das Globalisierungsdilemma umschiffen: die Wohnraumversorgung basiert auf Immobilien, im Wortsinn »nicht mobil« und verlagerbar. Dasselbe gilt für Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, in Grenzen auch für die Energiewirtschaft. Auch hier stellt sich jedoch die Frage der Durchsetzung – neue Vergesellschaftungsbewegungen wie der Berliner Volksentscheid von 2021 kämpfen ebenso wie ihre Vorläufer 1983 mit einer Schere zwischen gesellschaftlichen und parlamentarischen Kräfteverhältnissen.

Ralf Hoffrogge ist Historiker am ZZF Potsdam. Er forscht zu Gewerkschaftsgeschichte, Wirtschaftsdemokratie und sozialen Bewegungen. Der Artikel ist die gekürzte Version eines Beitrags aus dem Septemberheft der »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft« (ZfG), 71. Jg., Heft 9 (2023), 14 €.

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