- Sport
- Fußball in Nordamerika
Mexiko und die USA kämpfen um die Gunst derselben Fußballfans
In den USA gibt es immer mehr Fußballfans. Viele von ihnen haben Wurzeln in Mexiko, wovon das Nachbarland profitieren will
Sie gehört zu den größten Stadien der USA: die Rose Bowl in Pasadena. In wenigen Stunden soll hier an diesem Septembersonntag das Derby zwischen den beiden Fußball-Erstligisten aus Los Angeles stattfinden: LA Galaxy und LAFC. Vor den Imbissständen haben sich lange Schlangen gebildet, besonders beliebt sind Hotdogs, Tacos, Burritos. Viele Verkäufer preisen ihre Produkte auf Spanisch an, einige von ihnen tragen das Trikot des mexikanischen Nationalteams.
Auf den Parkplätzen rund um das Stadion sitzen Familien an Campingtischen, und aus den Lautsprechern ihrer Autos klingt Salsa-Musik. Das Stadtderby in der Rose Bowl an diesem Abend ist mit 82 000 Zuschauern ausverkauft, ein Rekord in der Major League Soccer MLS. Tausende tragen das weiß-blaue Trikot von Los Angeles Galaxy oder das schwarz-goldene des Los Angeles Football Club. Viele sind aber auch in den Farben mexikanischer Klubs erschienen: América aus Mexiko-City oder Tigres aus Monterrey. »Viva Los Angeles!«, rufen Zuschauer in der Kurve. Und: »Vamos!« Man erkennt sofort, dass die Fankultur hier Traditionen aus Mexiko und ganz Lateinamerika aufgreift.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Auf ihrer aktuellen USA-Reise trifft die deutsche Fußball-Nationalmannschaft an diesem Samstag auf die USA und am Dienstag auf Mexiko. Zwei verschiedene Länder. Doch tatsächlich bilden beide einen gemeinsamen und umkämpften Fußballmarkt. Rund 60 Millionen Menschen in den USA sind hispanischer Abstammung, 17 Prozent der Gesamtbevölkerung, und dieser Anteil wird weiter wachsen. Allein in der Metropolregion Los Angeles haben von den 18 Millionen Menschen gut ein Drittel mexikanische Wurzeln. Und an kaum einem anderen Ort sind sie sichtbarer als im Fußballstadion.
»Die wachsende Beliebtheit des Fußballs in den USA ist auch für Mexiko in mehrfacher Hinsicht lukrativ«, sagt der Journalist Mike Woitalla von »Soccer America«. Seit Langem bestreitet das mexikanische Nationalteam Freundschaftsspiele in den USA gegen Gegner aus aller Welt, häufig in ausverkauften Stadien. »Mithilfe des Fußballs können mexikanische Amerikaner ihre Herkunft feiern«, sagt Woitalla. Der Verband kann in den USA zudem viel höhere Ticketpreise verlangen. Anteile daran fließen dann aber auch an den US-Fußballverband und an die Austragungsorte.
In der nordamerikanischen Fußballindustrie ringen Sponsoren und Medien aus beiden Ländern um Erlöse und Reichweite. Lange war die mexikanische Profiliga die meistgesehene im US-Fernsehen. Doch seit einigen Jahren werben US-Medien auch mit spanischsprachigen Angeboten zur MLS um das Interesse von Latinos. Auch die Klubs der US-Profiliga wenden sich zunehmend an mexikanischstämmige Amerikaner. Sie verkaufen Fanartikel in den Landesfarben des südlichen Nachbarn, laden mexikanische Influencer zu Heimspielen ein oder organisieren Autogrammstunden in Stadtvierteln mit hohem Latino-Anteil in der Bevölkerung.
»Viele mexikanische Amerikaner wollen sich aber nicht auf die Rolle der Kunden reduzieren lassen«, sagt Publizist und Jugendtrainer Paul Cuadros. »Latinos wollen mitbestimmen, doch genau das wird ihnen im US-Fußball schwer gemacht.« Tatsächlich wies das Antidiskriminierungs-Netzwerk Fare in einer Studie von 2020 nach, dass die Beteiligung von Latinos in Führungsgremien, Geschäftsstellen und Trainerstäben kaum über einstellige Prozentpunkte hinausgeht. Dabei standen schon bei der Heim-WM 1994 fünf Latinos im Kader der USA. Fast 30 Jahre später, 2022 in Katar, waren es nur noch drei. Was sind die Gründe dafür, dass Fußball in den USA als Sport einer weißen Mittelschicht gilt?
Bereits in den 1880er Jahren brachten britische Einwanderer den Sport über den Atlantik. Viele von ihnen ließen sich in jenen westlichen Bundesstaaten nieder, die vor dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg 1848 noch zu Mexiko gehört hatten, also in Kalifornien, Arizona oder New Mexiko. Bei der ersten WM 1930 in Uruguay belegte die ausnahmslos weiße US-Mannschaft den dritten Platz. Auf Jahre hinaus prägten nordeuropäische Einwanderer den US-Fußball. »Latinos erlebten viel Rassismus im Alltag, und auch im Fußball waren sie lange nicht willkommen«, sagt der Autor José Alamillo. »Deshalb gründeten sie ab den 1950er Jahren eigene lokale Fußballligen.«
Mexikanische Einwanderer hätten in ihren Freizeitvereinen Freundschaften schließen und Kontakte für Jobs oder Wohnungen knüpfen können, schreibt Alamillo in seinem Buch »Deportes« (Sport) über »die Entstehung einer sportlichen mexikanischen Diaspora«. Der leistungsorientierte Fußball aber blieb für Latinos schwerer erreichbar. Reisekosten, Übernachtung, Ausrüstung: Für die Eltern von Jugendspielern können schnell Tausende Dollar zusammenkommen. Laut Zensus lag das durchschnittliche Haushaltseinkommen von Weißen im Jahr 2021 bei 74 262 Dollar, unter Latinos nur bei 57 981 Dollar. Mehrere Erhebungen zeigen zudem, dass Nachwuchsleistungszentren eher in einkommensstarken und mehrheitlich weißen Gemeinden beheimatet sind.
Immer mal wieder ist diese Klassengesellschaft in US-Medien ein Thema. Zum Beispiel wenn die Nationalmannschaft ihr Potenzial nicht ausschöpft und die WM verpasst, wie 2018 in Russland. Die Klubs reagieren auf Kritik, indem sie mehr Stipendien ausschreiben oder spanischsprachige Scouts beauftragen. Doch in der Regel ebbt die Debatte wieder ab. Dem Verband US Soccer zufolge spielen landesweit knapp vier Millionen Menschen in registrierten Ligen Fußball. Laut der NGO Alianza de Futbol, die sich für junge Latinos starkmacht, sind aber dreimal so viele, rund zwölf Millionen, jenseits dieser Strukturen aktiv.
»Der US-Fußball hat sein Potenzial lange nicht ausgeschöpft«, schließt Journalist Mike Woitalla daraus. »Doch allmählich ist ein Wandel zu beobachten.« In einigen Jugendauswahlteams sind bereits bis zu 40 Prozent der Spieler hispanischer Herkunft. Andererseits sind auch Dutzende Scouts in den USA unterwegs, um Talente mit doppelter Staatsbürgerschaft für die mexikanischen Nationalmannschaften zu gewinnen.
Die Verbände aus den USA und Mexiko sind also Partner und Gegner zugleich, denn gemeinsam mit Kanada organisieren sie gerade die Männer-Weltmeisterschaft 2026 und entwickeln überdies lukrative Pokalwettbewerbe wie den allsommerlichen »Leagues Cup«, an denen Vereine aus den USA und Mexiko teilnehmen.
Zum anderen konkurrieren sie um dieselben Talente, Fans und Sponsoren. Mehrfach spielten die Teams der USA und Mexikos in Los Angeles gegeneinander, wo Latinos fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Das Publikum bejubelte eher die mexikanischen Spieler. Um mehr Unterstützung fürs eigene Team zu erhalten, verlegte US Soccer jene Heimspiele danach in Städte, in denen weniger Latinos leben, meist in den Bundesstaat Ohio. Der liegt 2400 Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.