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»Ich habe den Himmel brennen sehen«

Marius Pötting über sein Engagement für eine andere Landwirtschaft und nachhaltige Solidarität

  • Interview: Gisela Dürselen
  • Lesedauer: 6 Min.
Nachhaltige Landwirtschaft – »Ich habe den Himmel brennen sehen«

Herr Pötting, im Jahr 2001 haben Sie die bereits stillgelegte Landwirtschaft Ihrer Eltern neu aufgemacht und dann auf Bio umgestellt. Wie war der Einstieg in die neue Existenz?

Es gab Probleme mit den Ämtern. Dass ein stillgelegter Hof wieder aufgemacht wird, das gibt es eigentlich nicht. Auch in der Verwandtschaft überwog die Skepsis. Im Dorf sind wir der einzige Bio-Betrieb, und auch im weiteren Umkreis von Salzkotten gibt es nur wenige Bio-Betriebe. Da wird man schon kritisch beäugt. Damals beantragte ich eine Baugenehmigung für einen Stall. Diese wurde nicht erteilt, da ich ja keine Tiere hatte. Falls ich welche wollte, sollte ich mir einen Stall pachten. Im Mai habe ich drei Kühe gekauft und auf die Weide gestellt. Dann habe ich einen Ortsbegehungstermin mit dem Amt beantragt und dazu Pressevertreter eingeladen: »Jetzt habe ich Tiere, und die müssen im Oktober in den Stall.« Da ging plötzlich alles ganz schnell.

Sie haben verschiedene Standbeine.

Der Vauß-Hof als Gemüseproduzent ist eine gemeinnützige SoLaWi-Genossenschaft (Solidarische Landwirtschaft), der Hofladen hat als Direktvermarkter den rechtlichen Status einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), und dann gibt es noch die Hof-Akademie als gemeinnützigen Verein. Um langfristig Erfolg zu haben, ist es heutzutage wichtig, mehrere Standbeine zu haben. Während der Corona-Zeit zum Beispiel ging mit Bildungsarbeit gar nichts mehr. Dafür stürmten die Leute unseren Hofladen: Sie hatten Geld, konnten nichts ausgeben und legten mehr Wert als bisher auf qualitativ hochwertige Lebensmittel.

Interview

Marius Pötting ist gelernter Zimmerer, diplo­mierter Agraringenieur und ambitionierter Bastler. Nach seinen Aufenthalten bei landlosen Bauern in Brasilien und Honduras trieb es ihn im Jahr 2000 nach Salzkotten in Nordrhein-Westfalen zurück, wo er die Vauß-Hof-Akademie betreibt.

Was passiert in der Hof-Akademie?

Wir fingen an mit Erlebnis-Angeboten für Kinder, haben aber inzwischen das Programm stark erweitert. Für die ganz Kleinen bieten wir immer noch die Jahreszeitwerkstätten an, doch es gibt auch Seminare, Workshops, Vorträge und Kulturveranstaltungen für Erwachsene, zum Beispiel Methodenworkshops zur Natur- und Bauernhofpädagogik. Wir geben Einblicke in die Entstehung und Verarbeitung von Bio-Lebensmitteln und stellen die Solidarische Landwirtschaft vor. Im Programm sind auch praktische Kurse wie zum Obstbaumschnitt sowie Kunst- und Kreativkurse, zum Beispiel Land-Art-Workshops und ein weiterer zur Vertikaltuchakrobatik. Zu unserem Potpourri gehören aber auch Veranstaltungen für nachhaltige Entwicklung, Zivilcourage-Trainings und Einführungen in die zivile gewaltfreie Konfliktbearbeitung.

Gesellschaftspolitische Bildungsarbeit ist Ihnen ja nicht fremd …

Landwirtschaft mit Bildungsarbeit zu verbinden, war von Anfang an mein Traum. Zu Beginn arbeiteten meine Frau Anja und ich noch auf einer halben Stelle, jeweils als Bildungsreferenten. Damals hatte ich ein vages Gefühl von Zerrissenheit: hier die Bildung, dort die Landwirtschaft. Erst mit der Hof-Akademie ließ sich beides verbinden. Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist ein idealer Lernort, denn in der Natur lässt sich erfahren, wie es sich auch mit einem weniger großen ökologischen Fußabdruck gut leben lässt.

Ursprünglich wollten Sie gar nicht Landwirt werden?

Als Kind habe ich die Landwirtschaft gehasst. Das änderte sich nach dem Abitur, als ich zunächst in Brasilien, dann in Honduras mit landlosen Bauern gearbeitet habe. Die haben mich für verrückt erklärt, als ich ihnen sagte, dass ich den Bauernhof meiner Eltern nicht will. In Honduras war ich Kooperationspartner von »Gewaltfrei handeln«, einem kleinen Verein in Diemelstadt-Wethen in Hessen, der sich mit Bildungsarbeit für eine nachhaltige, sozial und ökologisch gerechte Entwicklung der Gesellschaft engagiert. Zu Beginn meines Daseins als Bio-Bauer war es »Gewaltfrei handeln«, wo ich noch nebenher als Bildungsreferent gearbeitet habe. Von diesem Verein und von den Landlosen in Südamerika erhielt ich die wesentlichen Impulse für meine Arbeit jetzt: In Brasilien und Honduras kam ich ins Grübeln – in Diemelstadt-Wethen bekam ich die Fort- und Weiterbildungen und die unterstützenden Kontakte, ohne die ich nie den Mut gehabt hätte, mich auf den Weg zu begeben.

Sie gehen Ihren Weg ja nicht alleine.

Als ich den Entschluss gefasst hatte, kam meine Frau relativ schnell dazu. Sie hatte zuvor in Kenia und dann ebenfalls in Deutschland als Bildungsreferentin gearbeitet. Heute leben in unserer Gemeinschaft noch unsere mittlerweile vier Kinder und eine wechselnde Zahl weiterer Personen: Leute, die hier zeitweise oder auch jahrelang mit uns wohnen und arbeiten, Praktikanten aus der Fachoberschule, ständig mindestens zwei junge Menschen, die einen ökologischen Freiwilligendienst leisten, und WWOOFer, also Leute, die weltweit einen Freiwilligendienst auf ökologischen Höfen absolvieren.

Wie ist das Leben in einer so großen Gemeinschaft?

Wer zu uns kommt, der weiß von Anfang an, dass sein Leben nun mit erweitertem Familienanschluss stattfindet. Wir kochen gemeinsam und essen an einer großen Tafel, und wenn wir manchmal abends noch länger zusammensitzen, so ist das gefährlich: Denn dann kommen wir immer wieder auf neue Ideen, die wir realisieren wollen. Räumlich ist es wichtig, dass jede und jeder auch sein Eigenes hat – doch ideell verbindet uns, dass wir alle in die gleiche Richtung ziehen: dass wir die gleiche Grundhaltung haben den Menschen und der Welt gegenüber.

Welche Projekte stehen an?

Wir bewirtschaften 95 Hektar Land. Auf einem Teil der Wiesen stehen Rinder und Kühe; die Kälber sind bei ihren Müttern. Als Bio-Betrieb dürften wir pro Hektar rechnerisch 2,4 Tiere halten; wir beschränken uns aber auf 0,4 Tiere. Doch die Klimakrise ist inzwischen auch bei uns angekommen und erschwert Gemüse- und Obstanbau sowie die Tierhaltung. Die Niederschläge verschieben sich: Im Winter gibt es zu viel Wasser, im Sommer zu wenig. Wir werden wohl für den Gemüseanbau Drainagen legen müssen, dazu Speicheranlagen bauen, mit deren Hilfe wir im Sommer bewässern können. Auf den Wiesen werden wir in Zukunft noch weniger Tiere halten, denn das Land ernährt im Sommer die Tiere nicht mehr, und im Winter stehen sie im Morast. Das heißt, wir erweitern die Unterstandsfläche, damit sich die Tiere auch bei Stark- und Dauerregen frei bewegen können. Beim Strom planen wir ein unabhängiges Netz, und ansonsten sind wir in der Konsolidierungsphase: Wir wollen das Angebot unseres Hofladens noch besser an die Wünsche der Kunden anpassen und weiter in gutem Austausch mit unseren SoLaWi-Partnern bleiben. Zurzeit trifft uns die Inflation ziemlich hart: Die Leute sparen, sowohl beim Einkaufen als auch bei der Bildung.

Für Ihre Hof-Akademie gab es 2022 den Sust-Award, mit der die Wirtschaftsförderung Paderborn erstmals Projekte mit besonders nachhaltiger Wirkung auszeichnete. Was bedeutet dieser Preis für Sie?

Der Preis ist eine Anerkennung für unsere Arbeit und zeigt, dass wir in die richtige Richtung unterwegs sind: Unser Handeln und Wirtschaften hier hat großen Einfluss auf das Leben der Menschen im Süden. Das habe ich in Brasilien erlebt: Ich habe den Himmel brennen sehen am Amazonas. Die konventionelle Tierhaltung hier treibt dort den Soja-Anbau voran. Weil wir uns dieser Verantwortung bewusst sind, versuchen wir auf dem Vauß-Hof anders zu leben und unseren ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Fertig werden wir damit nie, denn es gibt immer wieder Neues zum Ausprobieren, wie es vielleicht auch anders gehen könnte.

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