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- »nd«-Literturbeilage Frankfurter Buchmesse
Wilhelm Wagenfeld: Überrumpelt, verführt, angepasst?
Daniel Hornuff untersuchte die Verstrickung von Wilhelm Wagenfeld in das NS-Regime
Ja, wem sagt noch der Name Wilhelm Wagenfeld etwas? Obwohl der eine oder andere, vor allem auf Retro stehende Menschen einige von ihm designte Gegenstände kennen dürften, sei es die 1953 auf den Markt gelangten Salz- und Pfefferstreuer mit den neckischen Produktnamen Max und Moritz, die halb runden Tischleuchten aus Opalglas, bereits 1924 in einer Metallwerkstatt des Bauhauses gefertigt, oder die Reiseschreibmaschine »ABC«. »Als Wilhelm Wagenfeld im Jahr 1990 in Stuttgart verstarb, gehörte er zu den weltweit bekannten Entwerfern. Manche sehen in ihm gar einen der ›wichtigsten Industriedesigner des 20. Jahrhunderts‹«, informiert Daniel Hornuff. »Als Bauhaus-Schüler präsentierte sich Wagenfeld zeitlebens vom Reformgeist dieser Schule geprägt, inspiriert von ihrem Willen zum künstlerischen und sozialen Aufbruch.« Und es war durchaus ein Ritterschlag, als 1964 Bauhaus-Gründer Walter Gropius in einem Brief an Wagenfeld schrieb: »Sie glauben nicht, wie befriedigend es fuer mich ist, zu sehen, wie konsequent Sie die Bauhausidee zu ueberzeugender Realität gebracht haben. Niemand ist so weit gegangen.« Demgemäß ist dieser auch im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 umfangreich gewürdigt worden. Was nun aber hat der maßgeblich auch vom ungarischen Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy geprägte Wagenfeld mit den Nazis zu tun?
Im Gegensatz zu vielen anderen Bauhaus-Leuten ging der im Jahr 1900 in Stuttgart in einem politisch geprägten, sozialdemokratischen Elternhaus geborene Wagenfeld nach Hitlers Machtantritt nicht ins Exil. Wer sich damals aber zum Bleiben entschloss, so Hornuff, galt später als Mitläufer, Profiteur, Nutznießer, Kollaborateur oder gar Unterstützer des NS-Regimes. »Die jeweiligen Gründe für ein Bleiben waren vielfältig. Mal waren es institutionelle Zwänge, hin und wieder aber auch politische Sympathien; andere wähnten sich in unauflösbaren beruflichen Abhängigkeiten oder erhofften sich neue Chancen; wieder andere betonten im Nachgang private Entscheidungen, persönliche Verpflichtungen oder existenzielle Not.«
Wie war das nun bei Wagenfeld? Als dieser nach dem Krieg gefragt worden ist, warum er nicht emigriert sei, antwortete dieser, er habe »ausharren und das ›Dritte Reich‹ überstehen« wollen: »Ich habe mir nur nicht vorstellen können, daß es so lange dauern könnte.« Er beteuerte, eine NSDAP-Mitgliedschaft mehrfach abgelehnt zu haben. Und doch wurde er von nicht wenigen als NS-Industriedesigner wahrgenommen. Eine wahrheitsgemäße historische Rekonstruktion ist nicht leicht, obwohl Wagenfeld, ein fleißiger Briefschreiber, viele schriftliche Zeugnisse hinterließ. »Die Quellenlage dieses Buches ist als schwankend zu beschreiben«, räumt der Autor ein, der weder eine Anklageschrift verfassen noch ein Urteil fällen wollte, auch keine pauschale Verteidigungsrede.
Aber da gibt es den Vorwurf, Wagenfeld habe noch Ende 1943 für die SS-Porzellanmanufaktur Allach ein Diplomatengeschirr entworfen. Um sich der Einberufung in den Krieg zu entziehen? Über ein halbes Jahrhundert später, 1997, übergab die Witwe Erika Wagenfeld der Wilhelm Wagenfeld Stiftung eine von ihr unterzeichnete Erinnerungsnotiz. Darin berichtet sie, dass »Kunstdienst-Leute« aus Berlin ihrem Mann diesen Auftrag unterbreitet hätten. Er habe abgelehnt: »Ich denke gar nicht daran, mit diesen Bluthunden zusammenzuarbeiten – eben haben sie in Essen einen Arbeiter, der vor Gericht freigesprochen wurde und von 2 SS-Leuten herausgeführt, auf der Treppe von hinten erschossen!« Dies habe im Nachbarzimmer ein SS-Mann gehört, der dem Designer nun indirekt drohte: »›Bluthunde‹ sind die SS nicht, da sollten sie vorsichtiger sein.« Hornuff kommentiert, »den Wahrheitsgehalt dieser Notiz vorausgesetzt«, war für Wagenfeld also »keine wirkliche Entscheidungsfreiheit mehr gegeben«.
Als entlastend für seinen Protagonisten führt der Autor an, dass dieser nachweislich finanzielle Verantwortung für durch das NS-Regime in Bedrängnis gebrachte Menschen übernahm, unter anderem für die Familie seiner Schwester Auguste, deren Mann Heinrich Buchholz KPD-Mitglied und im Widerstand war, mehrfach von den Nazis verhaftet und misshandelt. Politische Angepasstheit aus finanziellen Motiven zweifelt Hornuff an. Als Wagenfeld 1935 die »künstlerische Leitung« des damals »größten Glasunternehmens in Europa«, der Vereinigten Lausitzer Glaswerke, übertragen bekam, habe er geäußert, in der Produktion keine Kompromisse eingehen zu wollen. Dies sei in der Zeit der Diktatur bereits mutig gewesen.
Andererseits gibt es in den Briefen an seine zweite Frau Erika ambivalente Passagen. »Die Spanne reicht von angewiderten Beobachtungen des Regimes und dessen Vernichtungsphantasien über Bekenntnisse zur militärischen Einsatz- und Kampfbereitschaft bis hin zu nationalistisch gefärbten Tönen, die nach deutschen Urgründen Ausschau halten und das Deutsche in einer kulturell starken Verfassung sehen«, berichtet Hornuff. So schrieb Wagenfeld 1937: »Wir Deutschen haben wohl die herrlichste Nationalhymne der Welt – klar, rein ...« – Nun, sie ist noch immer die Nationalhymne der Bundesrepublik.
Und dann gibt es noch einen Brief von Wagenfeld 1964 an einen blutbefleckten Täter: »Jene Massenerschießung von verschleppten polnischen Staatsangehörigen in Weißwasser O. L. (Oberlausitz, d. A.) kurz vor Kriegsende, die Sie befohlen haben und damit verantworten, wird nicht vergessen.« Gegenüber seinem Sohn Heinrich aus erster Ehe habe er 1947 erklärt: »Ich habe laut gesprochen gegen die Träger des Dritten Reichs ... habe so gesprochen, wie ich sie sehe, wie sie für mich gewesen sind.« Wobei er zugleich selbstkritisch gestand: »Ich weiß, daß wir alle mit unserem Schaffen auf den Ausstellungen im Auslande, wo man uns die Grand Prix gab usw., nur die Kulissen gegeben haben für Konzentrationslager und Kriegsvorbereitungen.«
Er hatte jedenfalls keine großen Nachteile im NS-Reich. Nachdem die Staatliche Bauhochschule Weimar 1930 geschlossen worden war, ist er freier Mitarbeiter beim Jenaer Glaswerk Schott & Gen. geworden. Zeitgleich nahm er eine Professur an der Staatlichen Kunstschule in Berlin wahr. In jener Zeit entstanden so bekannte Entwürfe wie ein Teeservice aus feuerfestem Glas, das zu einem Klassiker avancierte. 1943 doch noch eingezogen, zunächst an die Westfront, später in ein Strafbataillon an die Ostfront, hatte er nach seiner Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1947 bis 1949 eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin inne, bevor er in den Westen übersiedelte und seinen Lebensmittelpunkt in Stuttgart fand. 1954 gründete er dort die Werkstatt Wagenfeld, die er bis 1978 betrieb.
»Die Produkte überlebten die Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft und zeugten von Kulturleistungen, deren Wurzeln die Reformansätze der revolutionär gestimmten Bauhaus-Schule zurückreichten«, konstatiert Daniel Hornuff. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag für die Diskussion über Versuchung und Verführung von Künstlern in Diktaturen.
Daniel Hornuff: Keine Kompromisse? Wilhelm Wagenfeld und der Nationalsozialismus. Kadmos, 189 S., geb., 29 €.
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