Berliner Arbeitsmarkt: Hauptstadt der Aufstocker

Wohlfahrtsverbände fordern statt Kürzungen mehr Mittel für Jobcenter

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.

Knapp 25 Prozent mehr Anträge verzeichnen die Berliner Jobcenter seit der Umstellung von Hartz IV auf Bürgergeld, auch unabhängige Beratungsangebote wurden stärker aufgesucht. Diese Zwischenbilanz zogen das Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ) und die Diakonie am Dienstag. Auch wenn die Leistungen nicht wirklich gestiegen sind, wurden Eingliederungsmaßnahmen zur Rückführung von Arbeitslosen in Beschäftigung entfristet. Das begrüßen die Verbände und fordern vom Senat auch eine ausreichende Finanzierung der Instrumente. Dieser plant jedoch im aktuellen Haushaltsentwurf die Mittel der Jobcenter trotz einer Arbeitslosenquote von 9,3 Prozent um 24 Millionen Euro zu kürzen, auch im Bund soll es weniger Mittel geben.

»Das Bürgergeld wird weniger stigmatisiert als Hartz IV.« Das sieht Kai Linnemann, Geschäftsführer des BALZ, neben medialer Aufmerksamkeit als Grund für den Anstieg der Anträge. Eine Studie der Diakonie hatte festgestellt, dass weiterhin 40 bis 60 Prozent der Anspruchsberechtigten keine Leistungen beziehen. Um Armut effektiv zu bekämpfen, sei es aber besonders wichtig, Bedürftige zu erreichen, so Linnemann. Dazu stehen die Wohlfahrtsverbände jedes Jahr bis Ende Oktober mit einem Beratungsbus vor den Jobcentern. Auch durch die räumliche Trennung von der Behörde genießt man einen Vertrauensbonus, hier kann gesagt werden, was man sich beim Termin nicht traut.

Viel Beratung betreffe das Übersetzen von Behördendeutsch in eine verständliche Sprache: »Wenn man den autoritären Ton in den Schreiben rausnimmt, erreicht man mehr, als wenn man eine Wohlfühlzone im Eingangsbereich einrichtet«, sagt Linnemann. »Und wenn man mehr Personal hätte«, fügt Andrea Asch, Vorständin der Diakonie Berlin-Brandenburg, hinzu. So hätten die Sachbearbeiter*innen mehr Zeit, um auf die Situation der Menschen einzugehen und könnten bei Bedarf auf andere Stellen mit Beratung zu Themen wie Suchtkrankheit oder psychischen Problemen verweisen.

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»Wir können nicht alles als Wohlfahrtspflege abfangen«, so Asch. Deshalb sei der Personalmangel in den Jobcentern ein echtes Problem. Mit dem aktuellen Entwurf des Haushaltsplans wird sich dieser jedoch nur verstetigen. 24 Millionen Euro sollen bei den Berliner Jobcentern gekürzt werden. Schon jetzt belaufen sich die Bearbeitungszeiten für Anträge und Wartezeiten für Termine oft auf mehrere Monate – Zeit, in der Leistungen fehlen und häufig Schulden gemacht werden müssen.

Von den Kürzungen wären auch die jetzt schon unterfinanzierten Eingliederungsmaßnahmen betroffen. Diese Instrumente stehen den Jobcentern seit Start des Bürgergeldes dauerhaft zur Verfügung. Sie ermöglichen bessere Fortbildungen für Langzeitarbeitslose und die Förderung ihrer Lohnkosten für Arbeitgeber, die sie einstellen. »Ein Gesetz wurde eingeführt, aber die finanzielle Ausstattung hinkt«, sagt Linnemann.

Die führenden Wohlfahrtsverbände sehen im Bürgergeld ohnehin nicht den großen Wurf, die Kritik ist nicht hinfällig geworden. Auch nach der Erhöhung der Regelsätze ab 2024 auf 563 Euro reichten diese nicht zur Sicherung des Existenzminimums, sagt Asch. Die zur Berechnung genutzten Warenkörbe seien realitätsfern und künstlich kleingerechnet.

Auch das häufig von rechter Seite angeführte Lohnabstandsgebot dürfe nicht genutzt werden, um Menschen mit geringem Einkommen gegen Bedürftige auszuspielen. Es besagt, dass die Sätze nicht über den Löhnen in unteren Lohngruppen liegen sollen. Eher müsse der Mindestlohn erhöht werden, das Verfassungsgericht sehe als Basis das Existenzminimum und nicht die Bedarfe der Wirtschaft, so Asch. Laut Linnemann dürfe man auch nicht die Subventionen für den Niedriglohnsektor vergessen, in dem Menschen teils trotz Vollzeitbeschäftigung nicht genug zum Leben verdienten und mit Grundsicherung aufstockten. Berlin sei mit 80 000 solcher Fälle die »Hauptstadt der Aufstocker«.

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