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Wie der Krieg im Nahen Osten Europas Klub-Fußball spaltet
Schwerer Vorwurf: Verbände und Vereine schweigen wegen Sponsoren
Sie wollten sich über Fußball austauschen, über Spieler und Tore, aber inzwischen geht es um Leben und Tod. Vor einem halben Jahr gründeten jüdische Anhänger des FC Arsenal in London einen Fanklub, die »Jewish Gooners«, ein Netzwerk mit eigenem Logo und Chatgruppe. »Wir hatten nicht den Plan, als Lobbygruppe an die Öffentlichkeit zu gehen«, sagt Barry Frankfurt in einem Videotelefonat. »Aber zurzeit fühlen wir uns als jüdische Fans einsam und isoliert. Deswegen wollten wir unsere Stimme erheben.«
Barry Frankfurt rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Man sieht ihm an, dass er nervenaufreibende Tage hinter sich hat, seitdem die Hamas rund 1300 Menschen in Israel ermordet hat und die Lage im Nahen Osten weiter eskaliert. In der Chatgruppe der Fans geht es weniger um das nächste Spiel als um Todesmeldungen, Geiseln in Gaza und ausbleibende Solidarität. »Wie viele jüdische Menschen müssen vergewaltigt, verschleppt und ermordet werden, damit der englische Fußball angemessen reagiert?«, fragt Frankfurt. »Die Verbände schweigen, denn sie wollen offenbar ihre Sponsoren nicht verschrecken. Das ist verstörend.«
England verdeutlicht, wie schnell der Krieg im Nahen Osten eine Sportorganisation in Westeuropa in die Krise stürzen kann. Mehrfach hatte der englische Fußballverband FA das Wembley-Stadion nach Gräueltaten beleuchtet, in den Landesfarben von Frankreich, Belgien oder der Ukraine. Doch in den vergangenen Tagen verzichtete die FA auf die israelischen Farben. Stattdessen gab es eine Schweigeminute beim Länderspiel gegen Australien. Tage vergingen, bis sich einige Klubs zum Terror zaghaft äußerten. »Wir müssen einsehen, dass wir als jüdische Fans keine Stimme im Fußball haben«, sagt Frankfurt und deutet auf seine Kippa. »Beim nächsten Spiel werde ich wohl wieder eine Baseballmütze über der Kippa tragen. Es ist gerade nicht die Zeit, offen jüdisch zu sein.«
Der Krieg im Nahen Osten hat massive Auswirkungen auf den Sport. Zu allererst in Israel, wo bei den Attacken der Hamas auch 17 Athleten getötet worden sein sollen. Das Nationale Olympische Komitee wolle seine Sportlerinnen und Sportler vorerst nicht bei Wettbewerben im Ausland starten lassen, denn dort sei es für Israelis nicht sicher, sagte Yael Arad, Präsidentin des NOK. Auch Sportler, die sich mit Israel solidarisieren, müssen mit Konsequenzen rechnen: Der ukrainische Fußballer Oleksandr Zinchenko vom FC Arsenal postete auf Instagram einen Davidstern, dazu die Worte: »Ich stehe zu Israel.« Zinchenko erhielt Drohungen und deaktivierte sein Instagram-Konto.
Worte der Solidarität geben Barry Frankfurt und den »Jewish Gooners« ein wenig Zuversicht. Seine Gruppe erhielt Zuspruch von anderen Fans und Aufmerksamkeit von englischen Medien. Frankfurt liest in sozialen Medien, dass der Fußball auch in anderen Ländern eine Plattform für Solidarität ist. In Deutschland verbreitete Werder Bremen in sozialen Medien die Vermisstenmeldung von zwei Fans, die offenbar nach Gaza verschleppt wurden. Eine Ultra-Gruppe aus dem Werder-Umfeld solidarisierte sich mit Anhängern von Hapoel Jerusalem. Bei einem Testspiel zeigten sie ein Banner mit den Worten: »Freunde, Familie, wir sind immer bei euch.«
Von einflussreichen Nationalspielern aber liest man solche Botschaften kaum. Dutzende arabische und muslimische Profifußballer bekunden dagegen ihre Solidarität mit Palästina. »Kann es irgendeinen Grund auf dieser Welt geben, jeden Tag, jede Stunde Bomben auf unschuldige Menschen und insbesondere auf kleine Kinder abzuwerfen, um sie zu töten?«, fragte der langjährige deutsche Nationalspieler Mesut Özil auf X, früher Twitter, nach der Bombardierung eines Krankenhauses in Gaza, bei der wohl mindestens 500 Menschen getötet wurden. Özil: »Definitiv nicht!!! Das ist so ein Alptraum – wo bleibt die Menschlichkeit, Leute?«
Der französisch-algerische Stürmer Karim Benzema, der für den saudi-arabischen Klub Al Ittihad spielt, äußerte sich auf X ähnlich: »Alle unsere Gebete gelten den Bewohnern von Gaza, die wieder einmal Opfer dieser ungerechten Bombardierungen sind, die weder Frauen noch Kinder verschonen.« Der marokkanische-niederländische Flügelspieler Hakim Ziyech, der bei Galatasaray Istanbul unter Vertrag steht, ging noch einen Schritt weiter und schrieb auf Instagram: »Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein.« Damit sprach er Israel indirekt das Existenzrecht ab.
Solidarität für die Palästinenser in sozialen Medien sorgt besonders in Deutschland für Aufregung: Der deutsch-türkische Schalke-Profi Yusuf Kabadayi musste sich für einen Post öffentlich entschuldigen. Der FSV Mainz 05 stellte den niederländisch-marokkanischen Spieler Anwar El Ghazi frei. Und der FC Bayern bestellte den niederländisch-marokkanischen Spieler Noussair Mazraoui für ein klärendes Gespräch ein. Einige Politiker forderten sogar die Ausweisung Mazraouis.
Wegen solch emotionaler Reaktionen dürfte der wohl bekannteste muslimische Spieler der Welt einen anderen Weg gehen, vermutet Nadim Rai, der seit Jahren zum Fußball in der arabischen Welt recherchiert: »Mohamed Salah vom FC Liverpool äußerte sich bislang nicht zu den Eskalationen, dafür wurde er von vielen Menschen heftig kritisiert.« Stattdessen soll der Ägypter Salah eine Spende an die palästinensische Bevölkerung getätigt haben, berichtete Rami Al-Nazer, der Geschäftsführer des Ägyptischen Roten Halbmonds, eines Wohlfahrtsverbandes. Salah habe darum gebeten, die Höhe der Summe nicht zu nennen.
Es gibt Fußballer, die mit ihrer Solidarität für Palästina im Hintergrund bleiben wollen. Und es gibt Fangruppen, die in die Offensive gehen. Noch am Tag des Terrorangriffs in Israel zeigten Ultras von Celtic Glasgow im Stadion Banner für ein »Freies Palästina« und einen »Sieg des Widerstandes«. In einer Mitteilung stellte die Gruppe »Green Brigade« die Frage: »Warum ist das Leben von Ukrainern heiliger als das Leben von Palästinensern?« Die Ultras riefen dazu auf, beim nächsten Champions-League-Spiel am kommenden Mittwoch gegen Atletico Madrid abermals palästinensische Flaggen zu zeigen, die Vereinsführung distanzierte sich.
Celtic Glasgow wurde in Schottland von irisch-katholischen Einwanderern gegründet. Fans sahen ihren Klub als Symbol gegen das britische Großmachtstreben. Ihren Widerstand gegen vermeintlich übermächtige Gegner übertragen Celtic-Ultras auf andere Konflikte, auch auf den Nahen Osten. Sie sammeln Spenden und unterstützen im Westjordanland eine Fußballakademie. »Grundsätzlich habe ich nichts gegen das Schwenken von palästinensischen Flaggen«, sagt der jüdische Fan Barry Frankfurt in London. »Aber wenn diese Flaggen die unmittelbare Reaktion auf den größten Terroranschlag in Israel sind, dann habe ich den Eindruck: Das richtet sich gegen uns.«
In den kommenden Tagen dürfte im Gazastreifen die israelische Bodenoffensive beginnen. Die Reaktionen könnten auch den europäischen Fußball überschatten – aus unterschiedlichen Motiven: Linke Fangruppen wie jene von AEK Athen oder US Livorno solidarisieren sich mit den Palästinensern. Rechte Anhänger von Lazio Rom ebenfalls, weil sie damit ihren Antisemitismus kaschieren können. »Aufklärung ist wichtiger denn je«, sagt Barry Frankfurt. In der vergangenen Woche hatte er beim FC Arsenal an einem Workshop gegen Antisemitismus mitgewirkt. Man kann davon ausgehen, dass weitere folgen werden.
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