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Hertha BSC im Kulturkampf vor dem Spiel beim 1. FC Nürnberg
Sportlich sind die Berliner gut in der Zweitklassigkeit angekommen, im Verein herrscht noch immer Unfrieden
Wenn Fußball nur das Spiel auf dem Rasen und die Leidenschaft der Anhänger wäre, man könnte Hertha BSC fast beneiden. Mehr als 5000 neue Mitglieder konnte der Verein aus Charlottenburg in den vergangenen zwölf Monaten für sich gewinnen – trotz des Abstiegs aus der ersten Liga. Nach drei Auftaktniederlagen ist das Team in der Zweitklassigkeit angekommen und nach vier Siegen aus den letzten sechs Spielen auf Rang neun geklettert. Und Pal Dardai verbreitet frohe Kunde: Bis Weihnachten wolle der Trainer den vierten oder fünften Platz erreichen. Ein Erfolg am Sonntag beim 1. FC Nürnberg würde die Berliner diesem Ziel näher bringen.
Sportliche Erfolge heben auch die Stimmung. Zuletzt krachte es mal wieder heftig. »Profifußball als alternatives Fanprojekt funktioniert nicht«, sagte Klaus Brüggemann und verabschiedete sich nach mehr als 20 Jahren von Hertha BSC. Kurz vor der Mitgliederversammlung war der Aufsichtsratsvorsitzende zurückgetreten. Damit kam er am vergangenen Sonntag einem erneuten Abwahlantrag zuvor. Vor allem die abfällige Wortwahl Brüggemanns bei seiner Kritik am neuen »Berliner Weg« unter Präsident Kay Bernstein zeugt davon, dass noch kein Frieden im Verein eingekehrt ist.
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In die Augen konnten sich die Rivalen nicht schauen. Bernstein grüßte die Versammelten aus dem Krankenbett mit einer Videobotschaft, Brüggemann blieb der Veranstaltung fern und ließ eine Erklärung verlesen. Beide stehen für den Kulturkampf bei Hertha, der offenbar noch immer keinen Sieger gefunden hat. Nach 23 Jahren im Aufsichtsrat oder Präsidium verkörpert Brüggemann den Weg des Scheiterns der Hertha – und wollte Bernsteins Wahl im Juni 2022 mit dem Gegenkandidaten Frank Steffel auch verhindern. Über mehr basisdemokratische Teilhabe will der neue Präsident »den Verein wieder zu einem Verein« machen und gegen das »korrupte System« im Profifußball arbeiten. Bernstein sieht eine nicht mehr aufzuhaltende »Revolution der organisierten Fanszene« gegen all die turbokapitalistischen Auswüchse in diesem Sport.
Jedoch schluckt einer wie Bernstein in der Not auch fette Kröten. Auf den Trikots von Hertha BSC steht das dicke »B« nicht für Berlin, sondern für einen Sportwetten-Anbieter und Online-Casino. »Geld von Wettanbietern wollen wir nicht«, hatte er im Sommer 2022 vor seiner Wahl für einen besseren Fußball und sich selbst geworben. Deshalb wirft Brüggemann ihm Lügen vor, ohne es zu belegen, auch Vetternwirtschaft und Eigennutz.
Was soll man auch machen, wenn der Verein in der vergangenen Saison schon wieder einen Verlust von fast 100 Millionen Euro zu verbuchen hat? Vielleicht sprach Brüggemann deshalb davon, dass Bernstein vom Präsidentenamt überfordert sei. Die Vereinsführung schiebt die Schuld ihren Vorgängern zu. »Das ist dem Expansionskurs der Vergangenheit mit hohen Investitionen in den Kader und lang laufenden Spielerverträgen geschuldet«, erklärte Geschäftsführer Thomas Herrich. Zugleich ist das Eigenkapital von fast 30 Millionen Euro auf rund 5 Millionen geschrumpft. Herrich verbreitet dennoch Hoffnung: »Das Ziel, 2025 ein ausgeglichenes Ergebnis zu haben, werden wir schon in dieser Saison nahezu realisieren können.«
Nicht mehr ausgeben als eingenommen wird? Sollte es tatsächlich so kommen, wäre das ein Erfolg, allerdings teuer erkauft. Denn nicht nur beim Profikader, dessen Etat von 80 Millionen Euro auf 30 Millionen gedrückt werden konnte, wurde gespart. Hertha BSC hat jetzt auch 80 Mitarbeiter weniger. »Wir haben die Kosten in der Summe um fast 80 Millionen Euro reduziert«, rechnete Geschäftsführer Herrich vor. »Wir müssen den Weg der wirtschaftlichen Konsolidierung jeden Tag diszipliniert weitergehen – mit Leidenschaft, Herz und Demut«, unterstrich Präsident Bernstein.
Dass Geld keine Tore schießt, hat Hertha in der Vergangenheit gezeigt. Mit klugen Transfers und dem jüngsten Team der Liga sind die Berliner zumindest konkurrenzfähig. Wollte Pal Dardai vor Saisonbeginn vom direkten Wiederaufstieg noch nichts wissen, so schürte der Trainer mit seinen Worten jetzt durchaus diese Hoffnung. Er hat ja auch ein gutes Gespür für eine Mannschaft – und aus Hertha BSC wieder eine gemacht. Was sie zeigt, ist spielerisch nicht herausragend. Weil wieder Einsatz und Leidenschaft stimmen, tritt sie als kompakte Einheit auf, was sich vor allem in der verbesserten Defensivarbeit bemerkbar macht. Und so verlor Hertha am vorletzten Spieltag gegen ein Spitzenteam wie St. Pauli nur knapp. Das Team vom Hamburger Kiez nennt Dardai zusammen mit dem HSV »eine Klasse für sich«. Seine Mannschaft zählt er zu den »zwölf dahinter, die alle ähnlich stark sind«.
Herthas kommender Gegner gehört ebenfalls in diese Kategorie. Ein Erfolg gegen die in der Tabelle punktgleichen Franken – und Dardais Weihnachtswunsch könnte schon früher erfüllt werden. Einer, der dafür sorgen kann, ist Fabian Reese. Der 25-Jährige kam im Sommer von Holstein Kiel und ist schnell zu einem Gesicht der neuen Berliner Mannschaft geworden. Als Dauerläufer auf der linken Außenbahn sorgt er ständig für Gefahr; 273 Sprints und 47 Flanken sind Bestwerte in der Liga. Eine andere Statistik führt Haris Tabaković nach neun Spieltagen an: Mit sieben Toren schoss der Stürmer bislang am meisten. Und immer besser in Schwung kommt Sturmkollege Smail Prevljak. Nur für Tabaković, von Austria Wien verpflichtet, musste Hertha eine Ablösesumme zahlen – und hat somit mit 500 000 Euro eine starke Offensive gebaut.
Den neuen Berliner Weg auf dem Platz und abseits davon scheint die Anhängerschaft zu mögen. Neben der auf 49 440 gestiegenen Mitgliederzahl zeigt das auch der Zuschauerzuspruch. Durchschnittlich kamen bislang 46 000 Fans zu den Spielen ins Olympiastadion, für das der Verein mit dem Berliner Senat eine komplette Stundung der Miete für diese Saison vereinbart hat. Bei vielen Heimspielen sitzt auch Stepan Timoshin im Stadion, seit vielen Jahren schon. Der als »Sneaker-Millionär« bekannt gewordene 23-Jährige ist zudem eines der neuesten Mitglieder von Hertha BSC – um, wie jüngst angekündigt, bei der Präsidentschaftswahl im November 2024 anzutreten. »Was die aktuelle Klubführung derzeit macht, beweist mir, dass die Werte, für die Hertha einmal stand, Werte, mit denen ich aufgewachsen bin im Stadion, heute nichts mehr gelten«, sagte er und nennt dabei auch den Sponsorendeal mit dem Sportwetten-Anbieter. Der Kulturkampf in Charlottenburg wird wohl so schnell kein Ende finden.
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