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Die Linke und die Lunapharm-Affäre

Ein Freispruch für die angeklagte Geschäftsfrau Susanne K. würde die zurückgetretene Gesundheitsministerin Diana Golze entlasten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Lunapharm-Prozess, zweiter Verhandlungstag am Landgericht Potsdam, Saal 6. »So schön sind wir nun auch nicht«, scherzt Richterin Christiane Hesse-Lang und bittet die Fotografen, ab jetzt keine Aufnahmen mehr zu machen. Die Kollegen verlassen den nicht besonders großen Saal. Das schafft etwas Platz im beengten Zuschauerbereich. Auf der Anklagebank ist am Freitagmorgen sowieso mehr Platz als beim ersten Verhandlungstermin am 11. Oktober. Denn da wurde das Verfahren gegen den Mitangeklagten Mohamed H. abgetrennt, weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig ist. Folgerichtig sind seine Rechtsanwälte nun nicht mehr erschienen.

Prozessiert wird vorläufig nur noch gegen Susanne K., Chefin der Lunapharm GmbH, und Gunter K., Geschäftsführer von Rheingold Pharma. Mohamed H. lieferte als Inhaber einer Apotheke in Athen Medikamente an Lunapharm zum Weiterverkauf in Deutschland. Als 2017 der Hinweis kam, die Apotheke dürfe zwar Medikamente an Patienten abgeben, aber keinen Großhandel betreiben, schrieb ein Pharmagroßhändler aus Zypern die Rechnungen und die geforderten Summen wurden an Rheingold Pharma überwiesen, als deren Geschäftsführer Mohamed H. seinen Anwalt Gunter K. eingesetzt hatte. Es lieferte aber weiter die Athener Apotheke. Der ganze Aufwand habe der Verschleierung der tatsächlichen Lieferbeziehungen gedient, wirft die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten vor. Ihnen wird wegen der fehlenden Großhandelserlaubnis der Apotheke der Vertrieb gefälschter Medikamente vorgeworfen. Ob es aber wirklich strafbar war, was sie getan haben, muss sich jetzt erweisen.

Was vor dem Landgericht Potsdam als Wirtschaftskriminalität behandelt wird, hat eine politische Dimension. Schließlich musste wegen des sogenannten Lunapharm-Skandals im August 2018 Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) zurücktreten. Das war für ihre Partei ein schwerer Schlag. Schließlich war sie zu diesem Zeitpunkt auch Landesvorsitzende und sollte bei der Landtagswahl im September 2019 eigentlich als Spitzenkandidatin antreten. Das war im Sommer 2018 noch nicht so beschlossen. Aber darauf wäre es hinausgelaufen. Nun aber musste eine Ersatzvariante her. Der Gewerkschaftsfunktionär Sebastian Walter und die Landtagsabgeordnete Kathrin Dannenberg bildeten im Wahlkampf eine Doppelspitze. Sie machten das an sich nicht schlecht, waren damals allerdings in der Bevölkerung viel zu wenig bekannt, was ein Handicap ist. Am Ende fiel Die Linke bei der Landtagswahl 2019 von 18,6 auf 10,7 Prozent.

Wie viel von den Verlusten in Prozentpunkten ausgedrückt auf das Konto der Lunapharm-Affäre gehen, lässt sich schlecht beziffern. Fest steht, dass die Neuorientierung bei der Spitzenkandidatur zum schlechten Abschneiden ebenso beitrug wie die Tatsache, dass der Name von Ex-Ministerin Golze mit einem schlimmen Verdacht in Verbindung gebracht wurde: dass in Krankenhäusern in Griechenland gestohlene Arzneien zur Brustkrebstherapie an Patientinnen verabreicht wurden, obwohl beim Transport die Kühlkette möglicherweise unterbrochen gewesen war und die Mittel deswegen unwirksam geworden sein könnten.

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Ob es wirklich so war, lässt sich heute nicht mehr mit absoluter Sicherheit feststellen. Allerdings waren die ordnungsgemäß aufgehobenen Proben der Krebsarznei einwandfrei. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit entstand also keiner Patientin ein Schaden. Solche Geschichten sind auch nicht Gegenstand der Anklage. Aber in der Öffentlichkeit war damals ein anderes Bild entstanden. Vor allem sah es auch so aus, als trage Gesundheitsministerin Golze eine Mitschuld, obwohl sie erst aus dem ARD-Fernsehmagazin »Kontraste« von angeblichen kriminellen Machenschaften erfuhr. Ihr wurde angekreidet, sie hätte energisch für eine bessere personelle Ausstattung der Medikamentenaufsicht im Landesgesundheitsamt kämpfen müssen. Hinterher bewilligte der Landtag natürlich die Mittel für mehr Personal. Hinterher ist man immer schlauer. Wirklich vorwerfen muss sich Golze nach heutigem Stand nur eine mangelhafte Krisenbewältigungsstrategie. Zu halten war sie infolgedessen nicht mehr. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) deutete schon eine Kabinettsumbildung an. Das war als Drohung zu werten, er würde Golze notfalls entlassen, wenn sie nicht zurücktritt. Theoretisch kann der Ministerpräsident eine Ministerin entlassen. Praktisch wird er sich allerdings hüten, dies selbstherrlich bei einer Politikerin nicht seiner SPD, sondern des Koalitionspartners zu tun. Es hätte das vorzeitige Ende von Rot-Rot bedeutet. Vor Gericht geht es nun vordergründig um Schuld oder Unschuld von Lunapharm-Chefin Susanne K. Indirekt wird aber auch ein Urteil gefällt, inwiefern Ministerin Golze Unrecht angetan wurde. Ein Freispruch für Susanne K. würde nachträglich auch Golze entlasten.

Susanne K.s Verteidiger Dirk Sauer beschwert sich am Freitag, die Anklageschrift sei »einfach nicht gründlich«, »holzschnittartig« und »verwirrend«. Seine Anwaltskollegin Bettina Holstein ergänzt mit Blick auf ihre Mandantin: »Es ist offensichtlich, dass sie sich nicht strafbar gemacht und nicht einmal rechtswidrig gehandelt hat.« Es habe ja vertragliche Vereinbarungen mit dem zypriotischen Pharmagroßhändler gegeben. Wenn der die Athener Apotheke dann mit der Lieferung beauftragte, sei dies rechtlich in Ordnung.

Die Angeklagte selbst beteuert: »Ich bin überzeugt, dass ich mich nicht rechtswidrig verhalten habe.« Das sei ihre Sicht der Dinge, schränkt die 56-Jährige noch ein. Sie sei keine Juristin. K. erzählt ihren Lebensweg: Abitur 1985 in Cottbus, Pharmaziestudium in Halle und Leipzig, dabei ihren Mann kennengelernt und 1988 eine Tochter zur Welt gebracht, Abschluss als Pharmazie-Ingenieurin. Nach der Wende drei Jahre in einer Apotheke in Hannover gearbeitet, dann in den Außendienst gewechselt und nach Brandenburg zurückgekehrt, ein 130-Quadratmeter-Eigenheim in Blankenfelde bezogen, dort 2006 Lunapharm ins Leben gerufen. Als der Büroanbau ans Eigenheim den Bedürfnissen der Firma nicht mehr genügte, entstand 2009 ein Geschäftshaus in Mahlow. Es ist eine Gemeinde: Blankenfelde-Mahlow, unmittelbar am Hauptstadtflughafen BER gelegen.

Kunden hätten sie ermuntert, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, berichtet K. Die 25 000 Euro Stammkapital für eine GmbH seien ihr damals als unglaublich viel Geld erschienen. Deswegen sei Lunapharm zunächst eine britische Ltd. gewesen: Lunapharm Limited. Später sei eine GmbH an die Stelle der Ltd. getreten, weil eine Ltd. in Deutschland ein Imageproblem habe. »Glücklich bin ich, dass ich bis heute keine Kredite aufnehmen musste.« Als Startkapital habe sie Ersparnisse genommen und bei Angehörigen Geld gesammelt. Mann, Vater, Bruder, Nichte und Neffe – zunächst war es ein Familienbetrieb, bis die ersten Einstellungen erfolgten. Auch zwei Apothekerinnen der Berliner Universitätsklinik Charité und eine Biochemikerin kamen an Bord, als Lunapharm neben dem Großhandel mit Medikamenten auch die Herstellung erlaubt wurde. K. nennt das stolz den »Ritterschlag in der Branche«.

Die Schwierigkeiten begannen 2016 mit einer Rückfrage wegen des Weiterverkaufs von Ware aus Athen an einen polnischen Großhändler. Lunapharm habe weitergeleitet, was eine griechische Anwältin beteuerte: dass die Apotheke die Medikamente nicht nur an Laufkundschaft, sondern im großen Stil verkaufen dürfe. Damit, so glaubte K., wäre der Fall für sie erledigt. »Aus meiner Sicht ist hier nichts vorgetäuscht oder gar gefälscht worden.«

Als mit der Apotheke wirklich nicht mehr gehandelt werden durfte, will K. mit dem zypriotischen Großhändler ins Geschäft gekommen sein, von dem die Athener Apotheke ihre Ware bezog. Das lief über Umwege. Sie habe aber auch einmal probiert, die Medikamente direkt aus Zypern zu bekommen. Doch die bestellte Ware, für die sie eine Anzahlung in Höhe von 50 Prozent der geforderten Summe leistete, sei nie in Mahlow eingetroffen.

Als im Mai und Juni 2018 in Griechenland Ärzte wegen angeblichen Diebstahls von Medikamenten aus Kliniken verhaftet wurden, sei auch ein Geschäftspartner im Gefängnis gelandet. Mit dem ARD-Bericht sei dann Panik ausgebrochen. Eine offizielle Warnmeldung, dass mit gelieferten Medikamenten etwas nicht stimmen könnte, habe sie aber nie erhalten, so K. Vorsorglich habe sie ihre Kunden informiert und einen freiwilligen Rückruf gestartet. Nächster Verhandlungstermin ist der 1. November.

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