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Gazastreifen: Wann startet die Offensive?
Israel wartet auf den richtigen Zeitpunkt für den Einmarsch
Im Nahen Osten mehren sich die Anzeichen für eine Offensive der israelischen Armee. Die Grenzregionen zu Gaza, dem Libanon und Syrien wurden weitgehend geräumt und die in Jordanien und Ägypten lebenden Israeli gebeten, diese Länder sofort zu verlassen. Die USA, Großbritannien und Deutschland empfehlen ihren Bürgern dringend die Ausreise aus dem Libanon. Unterdessen verstärkt Israel die Luftangriffe auf Gaza-Stadt. Erstmals seit 23 Jahren wurden ebenso Attacken aufs Westjordanland geflogen. Nach erfolgter Mobilmachung hat man rund 400 000 Soldaten samt 300 Panzer sowie zahlreiche Artilleriesysteme in Stellung gebracht. So brutal es klingt, die Rettung der Geiseln, die in der Hand der Hamas sind, ist kein Haltezeichen für die Militäraktion. Wohl aber muss die Atommacht Israel – gemeinsam mit den USA – alles unternehmen, um den Konflikt regional einzugrenzen. Dabei hat man vor allem den Iran im Visier. Man will sicher sein, dass Teheran die erneut verstärkte maritime Präsenz der USA richtig deutet und vielleicht sogar darauf hinwirkt, dass es die befreundete Hisbollah mit ihren Solidaritätsgefühlen für die Hamas nicht übertreibt.
Ob Irans Vorposten im Libanon, der über ein Arsenal mit Zehntausenden zum Teil zielsicheren und weitreichenden Raketen und Drohnen verfügt, Nordisrael angreift und das Land in einen Mehrfrontenkrieg zwingt? Israels Premier Benjamin Netanjahu warnte am Sonntag abermals, dass die Hisbollah Gefahr laufe, »den Fehler ihres Lebens« zu begehen. Vor Kommandotruppen in der Grenzregion sagte er, dass man Angreifer mit einer unvorstellbaren Wucht treffen werde, »deren Auswirkungen für sie und den libanesischen Staat verheerend sein werden«. Quasi als »Nachschubstopper« flog die israelische Luftwaffe Angriffe auf die syrischen Flugplätze in Aleppo und Damaskus – bereits zum dritten Mal in den vergangenen zwei Wochen. Doch mit den Huthi-Rebellen hat sich bereits ein weiterer pro-iranischer Akteur gerührt. Von Jemen aus wurden drei Raketen auf Israel abgeschossen. Der US-Zerstörer USS Carney, der im Roten Meer operiert, fing sie ab.
Überraschungsmoment ist verflogen
Wie sich der Krieg auch entwickelt: Die israelische Gesellschaft wird beträchtliche Opfer verkraften müssen. Die psychologische Vorbereitung darauf braucht Fingerspitzengefühl. Vor allem muss den Soldatinnen und Soldaten klar sein, dass sie vor der größten Herausforderung seit Bestehen der Armee stehen. Das sagt John Spencer. Er ist Chef der Abteilung für urbane Kriegsführung am Modern War Institute in West Point und analysierte die US-Kriege gegen den Irak sowie diverse Schlachten des Islamischen Staates (IS). Aus seinen Studien lässt sich einiges ableiten für die Gaza-Operation.
Doch was immer israelische Generale planen, sie werden kein Überraschungsmoment schaffen können. Vermutlich will Israel Gaza aus mindestens zwei Richtungen massiv angreifen. Die Kämpfe werden anders, vor allem blutiger sein als 2014 bei der 55-tägigen Operation »Fels in der Brandung«. Die Hamas ist besser bewaffnet, besser organisiert und disziplinierter denn je. Der überraschende Überfall am 7. Oktober zu Lande, zu Wasser und in der Luft belegt die taktischen Fähigkeiten der Terrorgruppe. Deren Einheiten verfügen über ein gewaltiges Waffenarsenal und stützen sich auf ein gigantisches urbanes Stellungslabyrinth. Die Tunnel und Kanäle der »Gaza-Metro« seien in einer Länge von 300 Meilen ausgebaut, prahlt die Hamas. Das garantiert den Terroristen scheinbar magische Fähigkeiten. Sie tauchen – auch hinter Kampflinien – aus dem Nichts auf und verschwinden ebenso rasch wieder. Im irakischen Mossul hatte der IS zwei Jahre lang Tunnel gegraben. 2017 brauchten mehr als 100 000 Sicherheitskräfte neun Monate, um die Stadt zu beherrschen.
Israel vor extremer Herausforderung
Auch auf Hochhäusern und in Ruinen baute die Hamas Stellungen. Man erinnert sich an die Schlacht um das ukrainische Mariupol 2022. Wenige hundert Verteidiger hielten da 12 000 bestausgerüstete russische Soldaten 80 Tage lang in Schach. Sie nutzten unter anderem höchst effektiv Sprengfallen sowie Spielzeugdrohnen. Es steht zu vermuten, dass die Hamas darüber hinaus Selbstmordattentäter ausschickt und Zivilisten – darunter auch die über 200 gefangenen Geiseln – als menschliche Schutzschilde missbraucht. Auch das ist eine extreme taktische Herausforderung, denn eine allzu inhumane Kriegsführung durch die israelische Armee befördert – siehe der weiter ungeklärte Angriff auf das Al-Ahli-Krankenhaus – weltweit neuen Terror.
Bei Kämpfen in urbanem Gebiet benötigt man viermal so viel Munition wie in einer offenen Feldschlacht. Israels Soldatinnen und Soldaten brauchen ein gewaltiges logistisches Hinterland. Nachschubzentren aber sind – Russland spürt das gerade – lukrative Ziele für Raketenüberfälle. In den ersten drei Tagen feuerten die Terroristen 4500 Flugkörper ab. Bereits 2021 gingen Geheimdienste jedoch davon aus, dass die Hamas und angeschlossene Verbände mindestens 8000 in den Arsenalen haben.
Netanjahu spricht von einem langen Krieg
Es sei »sehr wahrscheinlich«, dass die Hamas über Fähigkeiten verfügt, »die wir noch nicht gesehen haben«, meint Fabian Hinz vom International Institute for Strategic Studies. Wenn die Terroristen dem gleichen Drehbuch folgten wie die Hisbollah-Kollegen, könnten sie mit intelligenten Mittelstreckenraketen Ziele tief im Hinterland der Front und womöglich Tel Aviv angreifen. Im Bestand der Hamas sind auch Unterwasserdrohnen. Sie können Israels Gasfördergebiete attackieren. Wichtige Exporterlöse sind gefährdet.
Wann immer der Gegenschlag erfolgt, es wird »ein langer Krieg, und wir werden kontinuierliche Unterstützung brauchen«, sagt Israels Premier. Wie belastbar sind die Hilfsversprechen verschiedener Nato-Staaten? Schon bei den Lieferungen in die Ukraine wurden eklatante Schwächen erkennbar. Die Lager der US-Armee in Israel sind leer. Doch für eine erfolgreiche Bodenoffensive ist Munition wichtig. Auch Raketen zur Sicherung des Luftraumes, denn die zehn von Israel installierten Raketen-Abwehrbatterien hielten der Hamas-Schwarmtaktik nicht stand. Nun schicken die USA zur Iron Dome-Verstärkung alles, was sie haben: Es sind zwei Systeme.
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