Zentralasien: Entführt im Exil

Kasachstan und Kirgistan werden für russische Oppositionelle zunehmend gefährlich

  • Ewgeniy Kasakow und Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.
Aichal Ammasow bei einer seiner Protestaktionen in Jakutsk
Aichal Ammasow bei einer seiner Protestaktionen in Jakutsk

Lange wusste niemand, was mit Ajchal Ammosow geschehen ist. Im vergangenen Dezember verschwand der jakutische Linke und Anti-Kriegs-Aktivist, der eigentlich Iwan Igorjew heißt, auf dem Weg zu einem Gerichtstermin in der Hauptstadt der Republik Jakutien in Russlands Fernem Osten. Dort sollte sich Ammosow wegen angeblicher Diskreditierung der Armee verantworten, ihm drohten bis zu fünf Jahre Haft. Immer wieder hatte der 31-jährige Aktivist und Bandleader der Punkband Crispy Newspaper gegen Russlands Krieg in der Ukraine protestiert. Mal im Netz, mal öffentlich. Nachdem er in Jakutsk ein Transparent mit der Losung »Yakutian Punk against war« enthüllt hatte, schlugen die Sicherheitsbehörden zu und verhafteten Ammosow. Als er verschwand, befürchteten seine Freunde, die Geheimdienste könnten dahinterstecken.

Doch Ammosow konnte der russischen Justiz nach Kasachstan entfliehen. Nach der Mobilisierung für den Ukraine-Krieg wurde die zentralasiatische Republik zu einem der wichtigsten Zufluchtsorte für russische Männer, die nicht in den Krieg wollten – und auch für Kriegsgegner, die sich hier sicher glaubten. Ein Trugschluss, wie Ammosow zu spüren bekam.

Entführung auf offener Straße

Am 9. Oktober zerrten ihn Männer in Zivilkleidung auf offener Straße in ein Auto und verschleppten ihn in unbekannte Richtung, berichteten Aktivisten. Erst drei Tage später wurde die Verhaftung offiziell bekannt gegeben. Ammosow, der zunächst zu 40 Tagen Haft verurteilt wurde, droht jetzt die Auslieferung nach Russland, wo er sich neben der angeblichen Diskreditierung der Armee zusätzlich wegen »öffentlichen Aufrufs zu Terrorismus« verantworten soll.

Kasachstan handelt damit rechtswidrig, sagt Ammosows Anwalt Murat Adam. Denn das Strafgesetzbuch der Republik kennt keinen »Diskreditierungsparagrafen«. Ammosow habe also nicht gegen kasachisches Recht verstoßen und könne nicht ausgeliefert werden, meint Adam.

Besonders bitter: Ammosow hätte längst in Deutschland in Sicherheit sein können. Vier Monate hatte der Jakute auf sein humanitäres Visum und deutsche Ersatzpapiere gewartet, bevor die Polizei ihn festnahm. Das sei viel zu lange, kritisiert die Initiative InTransit, die politisch verfolgten Russen bei der Ausreise hilft. Seit Frühjahr 2023 verschleppe Deutschland die Visavergabe merklich, erklärte eine Vertreterin dem Online-Medium »Cholod«.

Deutsche Behörden verzögern Visum

Deutschland ist auch das Ziel von Lew Skorjakin. Der 22-jährige Anarchist und Aktivist des Linken Blocks hatte bereits ein humanitäres Visum erhalten, als in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober zehn Männer in zwei Autos vor seinem Wohnheim in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek vorfuhren und ihn mitnahmen. Vorgestellt hatten sich die Männer als Mitarbeiter der Kriminalpolizei. Wo Skorjakin ist, weiß niemand. Die Suche nach ihm in Gefängnissen blieb erfolglos.

Russland möchte den Anarchisten wegen einer Aktion 2021 vor dem Hauptgebäude des Inlandsgeheimdienstes FSB vor Gericht sehen; dafür drohen ihm bis zu sieben Jahre Gefängnis. Kirgisische Menschenrechtler vermuten, dass Skorjakins Verschwinden mit dem Besuch von Russlands Präsident Wladimir Putin am 13. Oktober in Verbindung stehen könnte. An diesem Tag verhaftete ihn der kirgisische Geheimdienst für kurze Zeit und nahm ihm seinen russischen Pass ab. Dennoch haben sie Hoffnung, dass der Aktivist nicht nach Russland ausgeliefert wurde.

Wer sich kritisch äußert, gerät ins Visier

Offiziell leugnet die kirgisische Regierung, Oppositionelle an Russland auszuliefern. Im August sagte Außenminister Dscheenbek Kulubajew der Deutschen Welle, dass man in Absprache mit Moskau lediglich Verbrecher ausliefere, nicht aber politische Emigranten und Anti-Kriegs-Aktivisten.

Doch die Verhaftungen von Ammosow und Skorjakin sind keine berüchtigten Einzelfälle. Vielmehr werden Kasachstan und Kirgistan zu einer »Risikozone« für Russen, wie die Nachrichtenseite »Sirena« schreibt. Mindestens 13 Fälle konnten die Journalisten in beiden Ländern ausfindig machen, in denen russische Aktivisten oder Deserteure unter Druck geraten sind, weil sie in Russland von der Justiz verfolgt werden. Auch ein Zentrum, das russische Emigranten bei der Integration in Kirgistan unterstützte, musste im März auf Druck der Behörden schließen. Kurz zuvor wurden fünf Russen festgehalten, weil sie gegen die Aufenthaltsbestimmungen verstoßen haben sollen.

Bisher hatten die meisten verhafteten Russen Glück. Ausgeliefert wurden lediglich Michail Schilin, ehemaliger Major des Föderalen Sicherheitsdienstes, und Andrej Roschkow, der eine Militärbehörde angezündet hat. Ins Visier der kasachischen oder kirgisischen Behörden könne aber jeder geraten, warnt Jewgenija Baltarowa, die Russen bei der Integration in Kasachstan hilft. Dafür müsse man nicht in Russland verfolgt werden. Es reiche, wenn man sich in Zentralasien offen gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht.

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