Ein Koffer in Berlin

»Kleiner Bruder, großer Bruder«: Eine neue Sonderausstellung im DDR-Museum in Berlin

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.
DDR-Museum Berlin – Ein Koffer in Berlin

Erst mit dem Sieg der Sowjetunion über Hitlerdeutschland 1945 wurde die Gründung der DDR möglich, die vier Jahre später dann auch erfolgte. Deren Ende 1989/90 unterlag gleichfalls der Billigung aus Moskau, wo man selbst in einer ökonomischen Klemme war. Diese Zusammenhänge werden auch in der Dauerausstellung des DDR-Museums Berlin deutlich, sind aber in ihren wirtschaftlichen, politischen, militärischen und kulturellen Aspekten jetzt Thema einer Sonderschau, die in Zusammenarbeit mit dem Museum Berlin-Karlshorst entstand.

»Kleiner Bruder, großer Bruder« – im Titel steckt ein diffiziles Verhältnis. Der Kleine mag dem Großen lieb sein, ist aber nie der Bestimmer. Auch wenn die DDR-Führung Selbstbewusstsein demonstrieren wollte: Ein Niesen in Moskau – so einer von vielen DDR-Witzen – konnte in Berlin zur Erkältung führen. So geschehen zum Beispiel mit dem Ende der »Tauwetterzeit« unter Nikita Chruschtschow. Gegenüber Michael Gorbatschow hat Erich Honecker dann aber aufgetrumpft, wollte dessen Politik von Glasnost und Perestroika nicht kopieren. Da sieht man in der Ausstellung auch ein »Gorbi«-Abzeichen als Erinnerung an diese bewegte Zeit Ende der 80er Jahre. In der DDR hofften viele auf einen demokratischen Neubeginn, ohne vorauszusehen, wie der Aufbruch in der UdSSR im Desaster endete.

Anregung zum Erinnern, zum Nachdenken – das ist den Gestaltern dieser Ausstellung, allen voran Sören Marotz und Stefan Wolle, auf beeindruckende Weise gelungen. Ohne Weiteres hätten sie die ganze Fläche des Museums mit ihrem Thema belegen können, doch die vielen, vielen Exponate, die die verschiedenen Aspekte des DDR-Alltags vor Augen führen, hätte man dafür doch nicht wegräumen können.

In der S-Bahn zum Hackeschen Markt, begrüßte mich die Werbung für das Museum: »Discover Life in the DDR«. Und vor Ort erstaunte mich der Andrang vor allem junger Leute. Über mindestens 500 000 Besucher jährlich kann sich Direktor Gordon von Godin mit seinen Mitarbeitern freuen – und das in einem privat geführten Haus, ohne staatliche Fördermittel.

So umfasst die Sonderausstellung lediglich eine große Vitrine. Aus einer Vielzahl möglicher Exponate war eine Auswahl zu treffen. Die erklärenden Texte dazu – präzise, differenziert, einprägsam – sind auf einem interaktiven Bildschirm zu lesen, sodass einem die Gegenstände ihre Geschichten erzählen. Auch wenn nur als »Tischzier« zu sehen, das Ehrenmal im Treptower Park, eingeweiht am 8. Mai 1949, zeigt, wie sich die Sowjetunion als Befreier des deutschen Volkes sah. Nicht fehlen durfte auch eine Büste von Generaloberst Nikolai Bersarin, dem ersten Stadtkommandanten von Berlin. In wenigen Nachkriegswochen – er starb am 16. Juli 1945 bei einem Motorradunfall – hat er das zivile Leben in Gang zu setzen versucht: Beschaffung von Lebensmitteln, Gas-, Wasser- und Elektroversorgung, Rundfunk, Zeitung, Schulbetrieb.

Und weil wir gerade bei Personen sind: Auch an Sigmund Jähn wird erinnert, der am 27. August 1978 mit einer Raumkapsel Sojus 31 in den Weltraum startete. »Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR«, titelte das »Neue Deutschland« damals in roten Lettern. Beim Positiven nahm man ja in der DDR gerne den Mund voll; das Negative wurde beschwiegen, zumal es sich durch Reden nicht abstellen ließ. Das bedrückte die Bevölkerung.

Ich sehe einen Kinderbrief von Tamara aus Kiew, und mir fällt mein Brieffreund Boris ein, der mir einst ein rotes Halstuch schickte. Ich denke an den anfangs noch schwierigen Russischunterricht ab der 3. Klasse und bin jetzt meinen Lehrerinnen – später in der Internatsoberschule Wickersdorf und der Universität Jena – so dankbar, weil mir mithilfe der Sprache die riesigen eurasischen Weiten zugänglich wurden.

An »Reisen in Freundesland« wird erinnert, als sich die Sowjetunion nach Stalins Tod für Touristen öffnete, und an die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die zum Schluss 6,4 Millionen Mitglieder hatte. 1959 bis 1964 wurde die Erdölleitung »Freundschaft« gebaut, die durch Polen verlief und in Schwedt endete, wo das Rohöl in weltmarktfähige Produkte verwandelt wurde, was für die rohstoffarme DDR von existenzieller Bedeutung war. Später kam dann die »Druschba-Trasse« hinzu, die mit 2750 Kilometern längste Erdgasleitung der Welt. 25 000 junge Leute aus der DDR haben ab 1975 in der Ukraine daran mitgebaut. Historische Fakten, die jeder aus seiner Sicht mit der Gegenwart in Beziehung setzen möge.

Die DDR als Teil des »sozialistischen Lagers« war an dessen Westgrenze zugleich militärischer Vorposten und »Schaufenster des Sozialismus«. Die Befehlsgewalt über die NVA »lag beim Oberkommando des Warschauer Paktes, dem durchgehend ein sowjetischer General vorstand«. Interessant die Information, dass Liegenschaften der sowjetischen Streitkräfte 20 Prozent des DDR-Territoriums ausmachten. Manchmal wurden Truppenübungsplätze gar noch eigenmächtig erweitert.

Kurios ein offenbar selbst gefertigtes Warnschild: »Halt Schiesen«. Derlei Verbotstafeln im Wald seien nicht allzu ernst genommen worden, heißt es in der Erklärung dazu, »zumal wenn sie falsch geschrieben waren oder sich dort eine gute Pilzstelle befand«. Die in der DDR stationierten Sowjetsoldaten – im Laufe der Jahrzehnte zwischen 300 000 und 550 000 – kamen kaum mit der deutschen Bevölkerung in Kontakt. Ihr Dienst war hart, die Verpflegung miserabel. »In der Freizeit bastelten sie Gegenstände, die an den Tag der Heimkehr denken ließen.«

Stellvertretend für viele steht Rafkat Latypow, 1964 im Ural geboren. Von 1982 bis 1984 diente er bei den sowjetischen Luftstreitkräften. Danach konnte er studieren. Sein bunt verzierter Koffer aus den Beständen des Museums Karlshorst zeigt die Wappen der DDR, der UdSSR und der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland in trauter Gemeinsamkeit, gekrönt von einer Tu-154 der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot.

»Kleiner Bruder, großer Bruder – Die DDR und die Sowjetunion«, ab den 26. Oktober bis 31. März, DDR-Museum, Karl-Liebknecht-St. 1, 10178 Berlin; 9 bis 21 Uhr, 13,50 €, erm. 8 €; Eröffnung am 25. Oktober, 18 Uhr, mit einem Vortrag von Dr. Jörg Morré, Direktor des Museums Berlin-Karlshorst, freier Eintritt.

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Koffer von Rafkat Latypow, einem ehemaligen Sowjetsoldaten in der DDR (oben).Nicht nur wegen falscher Schreibweise sind solche Schilder nicht ernstgenommen worden (unten).
Koffer von Rafkat Latypow, einem ehemaligen Sowjetsoldaten in der DDR (oben).Nicht nur wegen falscher Schreibweise sind solche Schilder nicht ernstgenommen worden (unten).
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