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Weltcup-Auftakt in Sölden: »Eine Katastrophe für den Skisport«
An diesem Wochenende startet die alpine Saison – mit den alten Diskussionen um Nachhaltigkeit
Der Blick vom Tal hinauf auf die Berge rund um Sölden versprach nichts Gutes. Jedenfalls nicht für diejenigen, die die Aussicht genießen wollten an einem schönen Herbsttag. Über Nacht war es Winter geworden, nicht im Tal, da kam der Niederschlag als Regen herunter, aber weiter oben fiel Schnee. Nicht mehr viel war am Freitag im Skigebiet auf über 2000 Meter zu sehen von Steinen und Geröll.
Wenn an diesem Sonnabend und Sonntag auf dem Rettenbachgletscher die ersten Rennen im Weltcup der alpinen Ski-Saison stattfinden, werden die Bilder, die die Fernsehstationen senden, das konterkarieren, was zuvor wochenlang diskutiert worden war: Der Auftakt kommt zu früh, hieß es von fast allen Seiten. »Wenn die Leute im Zielraum im T-Shirt rumlaufen und jene vor dem Fernseher Badehose tragen, ist das nicht logisch«, sagte die Schweizer Olympiasiegerin Lara Gut-Behrami neulich. Das wecke doch keine Lust aufs Skifahren.
Im T-Shirt wird am Wochenende, wenn zuerst die Frauen und einen Tag später die Männer mit einem Riesenslalom starten, keiner auf knapp 3000 Meter Höhe stehen, trotz prognostiziertem Sonnenschein. Die Debatte vor dem Weltcup-Auftakt ist nicht neu – und nach dem Schneefall auch nicht obsolet geworden. Begonnen hatte sie dieses Mal, als im Internet Fotos von Baggerarbeiten im Gletschergebiet aufgetaucht waren. Der frühere Skirennläufer Felix Neureuther bezeichnete die Bilder als »Katastrophe für den Skisport« und nahm sie zum Anlass, wieder einmal die Verschiebung der Rennen in den November zu fordern. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte sich schon davor empört und kritisiert, dass das Eis abgetragen würde, um die Weltcup-Piste zu optimieren. »Unsere Gletscher dürfen nicht Prestige-Projekten zum Opfer fallen«, sagte Österreichs Greenpeace-Sprecherin Ursula Bittner.
Dabei hatte Sölden bisher den Ruf, sehr verantwortungsvoll mit dem Skigebiet umzugehen. Im Frühjahr wurden 60 000 Kubikmeter Schnee in Depots angelegt, um im Herbst eine solide Grundlage zu haben – und nicht so viel Kunstschnee vor dem Saisonstart herstellen zu müssen. Auf die Weltcup-Piste, die anschließend für die Touristen geöffnet wird, wurden in den vergangenen Wochen 45 000 Kubikmeter geschaufelt.
Der Chef der Söldener Bergbahnen, Jakob Falkner, konterte die Kritik umgehend und ließ wissen, dass zum einen nur an der bestehenden Piste gearbeitet werde und somit kein Eis abgetragen worden sei. Und zum anderen werde die Sanierung nicht nur für den Weltcup der Profis vorgenommen, sondern vor allem für die Ski-Touristen. Das Tal im Südosten Österreichs, das muss man wissen, lebt vor allem vom Fremdenverkehr. Beim notwendigen Genehmigungsverfahren wurden ein Sachverständiger für Naturkunde, das Landesumweltamt und die Naturschutzbehörde gehört – und gaben ihre Zustimmung. Eine nicht unwichtige Rolle spielten dabei auch Sicherheitsaspekte.
Wegen der Erwärmung hätten sich um die »Fels-Ausaperungsbereiche« bei Sonneneinstrahlung »entsprechende Krater« gebildet, die »eine Gefahrenstelle für Benutzer darstellen«, heißt es in der dem Bewilligungsbescheid angehängten Stellungnahme der Naturschutzbehörde. Auch eine Glaziologin sprang Sölden zur Seite. Skifahren auf dem Gletscher, sagte Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sei für die »Existenz des Gletschers nicht bedrohlich«. Allerdings war da die Diskussion schon nicht mehr zu stoppen. Auch weil Neureuther das Thema aufgegriffen hatte. Bei seinem Plädoyer, den Saisonstart zu verschieben, bekam er auch Unterstützung aus der Branche. Der Weltcup-Kalender müsse überdacht werden, sagte die Gesamtweltcupsiegerin Mikaela Shiffrin. »Bis zu welchem Grad sollen wir unsere Umwelt an einen Zeitplan anpassen, den wir haben wollen?«
Der deutsche Abfahrer Thomas Dreßen echauffierte sich dagegen über die öffentliche Kritik des ehemaligen Teamkollegen Neureuter. Damit, sagt er, »machen wir unseren Skisport kaputt, unsere Leidenschaft«. Er ist in diesem Fall aber vielleicht keine ganz neutrale Instanz, immerhin ist Sölden sein Kopfsponsor, dessen Schriftzug auf Helm, Mütze, Basecap und Stirnband zu sehen ist. Dreßen ist mit dem Ort also besonders verbunden. Abgesehen davon ärgert ihn, dass sein Sport den Ruf habe, die Umwelt zu zerstören. Über die Formel1 und Moto-GP rege sich niemand auf, sagt er. »Das geht mir tierisch auf den Keks.« Allerdings findet auch er, dass man über einen späteren Saisonstart nachdenken müsse.
Es wäre ein Zeichen, die Veränderungen in der Natur nicht zu ignorieren. Vielleicht geht es bei der Diskussion um den Skirennsport genau darum. Der Internationale Skiverband Fis mit seinem Präsidenten Johan Eliasch behauptet stets, nachhaltig und dank CO2-Kompensationen klimapositiv zu arbeiten. Für Greenpeace und den österreichischen Skirennläufer Julian Schütter lenke dies aber »von dringend benötigten Reduktionsmaßnahmen ab«, heißt es in einem Forderungsschreiben an die Fis. Man müsse CO2 aktiv einsparen. Allerdings stößt der Vorstoß, den Saisonstart nach hinten zu verschieben, beim Weltverband bislang auf taube Ohren. Weil dies bedeuten würde, ein paar Rennen aus dem Kalender streichen zu müssen.
Das zweite große Thema der vergangenen Wochen war eines, das schon unter Eliaschs Vorgänger Gianfranco Kasper beschlossen, aber wegen zu unzuverlässiger Kontroll- und Messmethoden immer wieder verschoben wurde: Skiwachse dürfen keine Fluor-Verbindungen mehr enthalten. Fluor auf dem Belag, egal ob es sich um Alpin-, Sprung- oder Langlaufski handelt, erhöht zwar wegen der wasser- und schmutzabweisenden Wirkung die Schnelligkeit der Bretter, ist allerdings umweltschädigend. Die Firmen mussten hektisch neues, fluorfreies Wachs herstellen. Aber: Karlheinz Waibel, Bundestrainer Wissenschaft im Deutschen Skiverband, sagt, dies sei eher noch giftiger und umweltschädigender, »wenn man den Warnhinweisen auf der Packung glauben darf«.
Das ist das eine. Das andere ist, dass es noch immer keine Geräte gibt, die valide Messungen durchführen können, zu groß sind die Ungenauigkeiten. Da könnten leicht, kritisiert Roswitha Stadlober, die Präsidentin des Österreichischen Skiverbandes, »Unschuldige zu Schuldigen« werden. Die Diskussionen gehen weiter, auch nach dem Auftakt im winterlichen Ambiente.
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