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Goldener Aluhut: »Verkürzte Antworten auf komplexe Situationen«
Giulia Silberberger über Verschwörungserzählungen, Religion und die anstehende Verleihung des Negativpreises »Der Goldene Aluhut«
Seit wann gibt es den »Goldenen Aluhut«? Und was hat Sie bewogen, diese gemeinnützige Organisation zu gründen?
So Ende 2014 dachte ich mir bei dem ganzen Schwurbel im Internet – das war damals wie heute –, die könnten ja mal einen Preis bekommen für den Scheiß, den die verbreiten. Die Aufklärung war damals noch in den Kinderschuhen; es gab keine große Aufmerksamkeit dafür, welche Auswirkungen Verschwörungsideologien haben können. Also, wie es sich auf das normale Leben auswirkt und beispielsweise auch Wahlen dadurch mitentschieden werden. Die erste Aluhut-Verleihung war 2016, und dann haben wir die gemeinnützige Organisation gegründet, weil wir auch Bildungsarbeit mit einem wissenschaftlichen Aufklärungsgedanken machen wollten.
Giulia Silberberger ist gelernte Betriebswirtin und CEO des gemeinnützigen Unternehmens »Der Goldene Aluhut«. Nebenher ist sie als freischaffende Designerin und Illustratorin tätig. Zum interdisziplinären Team des »Goldenen Aluhuts« gehören außerdem ein Physiker, ein IT-Spezialist, eine Geobotanikerin und Historikerin, die in der Erwachsenenbildung arbeitet, sowie ein Maschinenbau-Ingenieur.
Gibt es denn so etwas wie eine Definition für Verschwörungserzählungen?
Zum einen ist es die verkürzte Antwort auf eine komplexe Situation und zum anderen die Annahme, dass alles miteinander verbunden ist. Dazu kommt der Glaube, dass etwas im Verborgenen liegt, der letztlich dazu führt, dass man gewissermaßen der ganzen Welt nicht mehr traut. Und es gibt immer zwei, drei Parteien beziehungsweise Akteure, die sich zu einem illegitimen Zweck verschworen haben, zum Beispiel, um eine Diktatur zu errichten, Menschen auszulöschen, Genexperimente zu machen etc. An dieser Klassifizierung sieht man auch, dass dem eine Ideologie zugrunde liegt, also ein Weltbild, das sich nicht auf Fakten stützt, sondern auf Fake News. Und auch auf Ängste, Sorgen und Nöte sowie auf populistische Grundgedanken.
Und innerhalb der Schwurbel-Community bestärken sich die Leute dann wahrscheinlich auch gegenseitig, oder ist das gar nicht so der Punkt?
Die Frage ist vor allem: Ab wann glaubt man einer Verschwörungserzählung? Du hast eine Meldung, die definitiv falsch ist. Du weißt das auch, doch du möchtest sie unbedingt glauben. Die Frage ist also: Warum möchtest du sie glauben? Das ist der entscheidende Punkt, der Moment, wo die Selbstreflexion eigentlich reinkicken müsste und du dir die Frage stellen müsstest: Wieso triggert mich das, wieso möchte ich das glauben? Und das möchte ich auch in meinen Workshops rüberbringen. Das Faktenchecken ist die Königsdisziplin, aber der andere Strang ist, darüber aufzuklären, wieso Menschen darauf reinfallen.
Sie haben vorhin gesagt, dass auch der Glaube, etwas liege im Verborgenen, eine große Rolle spielt. Das erinnert zum Beispiel an Platons Höhlengleichnis, dessen Philosophie für das Christentum eine Rolle spielt. Und wenn man weiter darüber nachdenkt, kommt man nicht umhin, dass im Grunde jede Religion eine Verschwörungserzählung ist.
Ja, deshalb bezeichne ich mich auch selbst als Atheismusaktivistin. Ich würde mir für eine säkulare Gesellschaft wünschen, dass Religionsfreiheit für Heranwachsende vor allem auch Freiheit von Religion bedeutet. Vor allem, weil ein Gehirn erst weit genug entwickelt sein muss, um die Tragweite einer solchen Entscheidung wie die der Religionszugehörigkeit zu verstehen. Und ich vertrete die Ansicht, dass niemand außer einem selbst diese Entscheidung zu treffen hat. Nur weil uns das Grundgesetz das Recht gibt, diese Entscheidung für unsere Kinder zu treffen, ist es damit nicht ethisch richtig. Ich denke, unsere Generation ist eine der ersten, die das krass aufbricht, also dass Eltern ihre Kinder nicht mehr taufen lassen etwa.
In Deutschland und Europa vielleicht, ja. Aber in weiten Teilen der Welt ist Religion doch noch sehr verbreitet. Vielleicht, weil es auch ein menschliches Grundbedürfnis ist?
Die Religion hatte für mich selbst in der Vergangenheit etwas, um mir Dinge vermeintlich zu erklären. Ich wurde bei den Zeugen Jehovas sozialisiert und habe trotz Schule nicht aus der Sekte herausgefunden, erst mit 27 Jahren. Und das ist eben dieser ideologische Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, den ich meine. Zu der Frage nach dem vermeintlichen menschlichen Grundbedürfnis nach Religion: Ich denke, seit Newton sind wir doch auf einem guten Weg. Oder auch seit Kants Idee vom Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Wer mündig sein will, braucht keine Geschichten mehr, um sich etwas zu erklären. Was mich stört, ist dieses Suchen nach einer Art Führung. Der Glaube, dass die Religion uns etwas gibt, das wir von Natur aus bräuchten, ist zum Beispiel auch eine höchst missbräuchliche Lehre der Zeugen Jehovas, von der ich mich auch therapeutisch erst mal ablösen musste. Also, dass Religiosität den Menschen in die DNA gelegt worden wäre und die Menschheit immer nach ihrem Seelenheil sucht. Das ist auch in die gesellschaftliche DNA sozusagen übergegangen. Dabei ist es bloß eine Frontallappenprojektion im Gehirn, die wir auch mit Tagträumen, Drogen, Fantasy oder Meditation erreichen. Ich würde mir lieber meine Beine abschneiden, als wieder eine Führung von außen zu suchen. Wir wollen vor allem den Kids sagen, dass sie alles in sich selbst haben, was sie zum Leben brauchen. Sie brauchen keine Führer oder rechtsextremen Gruppen, denen sie sich anschließen müssen.
Interessant ist ja, dass auch in der seriösen Öffentlichkeit und in den Medien dieser Zusammenhang zwischen Religion und Verschwörungsideologien so gut wie gar nicht hergestellt wird.
Ja, wir rennen da noch gegen Wände. Viele fühlen sich von unserer Arbeit angegriffen, also zum Beispiel Menschen, die sich als Christen, Muslime oder Juden fühlen. Es ist eben ein schwer verdaulicher Fakt. Die Uni Freiburg in der Schweiz hat beispielsweise eine Studie veröffentlicht zur Schnittmenge von Kreationismus und Verschwörungserzählungen, und diese Schnittmenge ist sehr groß. Alle Zahlen, die dazu erhoben werden, decken die Hypothesen, die wir in den vergangenen Jahren aufgestellt haben. Wir erzählen das ja schon seit 2017.
Und was die Medien und auch Jugendmedien zum Thema verzapfen, gefällt mir oft nicht. Anfang Oktober hatte zum Beispiel die »Sendung mit der Maus« einen Tag der offenen Tür in Betrieben gesendet, und da haben die allen Ernstes auch Homöopathie-Hersteller eingeladen – und das als Wissenschaftssendung!
Nominiert für den »Goldenen Aluhut 2023« in der Kategorie Gesellschaft sind unter anderem Alice Weidel, Friedrich Merz und Hubert Aiwanger. Für den »Facts Heroes Award«, der seit letztem Jahr verliehen wird, unter anderem Mai Thi Nguyen-Kim und Jörg Kachelmann. Wie läuft die Nominierung für die Preise, die Sie am 29. Oktober wieder im Heimathafen Neukölln in Berlin verleihen?
Es sind reine Publikumspreise. Die Internet-Community macht Vorschläge zu Leuten, die für den »Goldenen Aluhut« infrage kommen. Die müssen schon in der Öffentlichkeit stehen und eine gewisse Relevanz haben. Also nicht Tante Erna, die nur zu Hause schwurbelt. Dann sortieren wir die Nominierten in die Kategorien »Gesellschaft und Politik«, »Medien und Blogs«, »Pseudowissenschaften und Esoterik« für den »Goldenen Aluhut« sowie »Wissenschaften« für den »Facts Heroes Award« ein.
Wie viele Menschen beteiligen sich an den Nominierungen und der Abstimmung?
Beim »Goldenen Aluhut« haben dieses Jahr etwa 5000 abgestimmt. Beim »Facts Heroes Award«, dem Positivpreis für Initiativen, die sich gegen Verschwörungserzählungen engagieren, waren es etwa 7000.
Sind Sie auch Anfeindungen aus der Verschwörungsszene ausgesetzt?
Ja, wir bekommen schon so einige Sachen. Einmal hat einer in eine DVD-Box geschissen und die uns zugeschickt. Eine gewisse Bedrohungslage ist definitiv vorhanden, aber mir wachsen davon keine grauen Haare – die wachsen sowieso schon. Bei unseren Veranstaltungen ist auch immer Polizei. Nazis und Querdenker wollen uns zumindest Angst machen und melden auch mal Gegendemos zu unseren Veranstaltungen an. Zu Gegendemos bei Querdenker-Protesten oder so gehe ich selbst aber nicht mehr. Seit zum Beispiel Dunja Hayali bei dieser einen Querdenken-Demo so aggressiv angegangen wurde, ist mir das vergangen. Das macht halt der Job mit einem.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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