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Brandenburgs »Abschiebeminister«: Stübgen verteidigt Grenzpolitik
Die Initiative Jugendliche ohne Grenzen fordert Schutz, Wahlrecht und Teilhabe statt Abschiebeknast und Grenzkontrollen
Achten Sie auf Ihr Handgepäck. Am Ende hatte Innenminister Michael Stübgen (CDU) noch das Wichtigste vergessen. »Sie müssen den Koffer mitnehmen!«, rief ein Fotoreporter ihm hinterher. Richtig. Der Minister machte kehrt, schnappte sich den bunt beklebten Koffer und verschwand damit in den für die Öffentlichkeit unzugänglichen Räumen des brandenburgischen Innenministeriums.
Hinter Stübgen lag ein Akt, der mindestens zwiespältige Gefühle zurückließ. Denn der brandenburgische Innenminister wurde am Donnerstag zum »Abschiebeminister des Jahres« gekürt. Eine Initiative von Migranten mit dem Namen Jugendliche ohne Grenzen vergibt diesen Preis seit 2005. Stübgen hat ihn schon im Juni zugesprochen bekommen, nun wurde das auch im Ministerium in aller Form zelebriert. Der Koffer, der ihm bei dieser Gelegenheit überreicht wurde, enthielt denn auch Vorwürfe und Forderungen der Jugendlichen.
Mit Bedacht hatte Stübgen sich der Zeremonie nicht verweigert, auch wenn er dabei wenig Schmeichelhaftes zu hören bekommt. So nennt ihn zum Beispiel Hava Molina den »schlimmsten Innenminister«, dem man leider diesen »Preis« zuerkennen müsse. In Stübgens Verantwortung seien pakistanische Kinder von ihren Eltern getrennt worden. Es sei furchtbar, dass Kinder vor einer solchen Behandlung nicht sicher seien.
Ein weiterer Angehöriger von Jugendliche ohne Grenzen wirft dem Innenminister vor, am Flughafen BER ein »Abschiebezentrum« zu errichten. Stattdessen sollte der deutsche Staat doch lieber Schulen, Kitas und Sportplätze bauen. Auch für Migrantenkinder müsse der Schutz gelten. Er beruft sich auf die Genfer Konvention. »Wir sind nicht illegal. Wir sind legal und brauchen Schutz.« Er beklagt, dass Migranten in Deutschland nicht wählen dürfen und auch in anderer Beziehung an der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gehindert seien.
Michael Stübgen, einstmals Pfarrer, hatte es als CDU-Bundestagsabgeordneter bis zum Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium gebracht und schließlich zum stellvertretenden brandenburgischen Regierungschef und Innenminister. Vor über einem Jahr hat er dem ehrgeizigen märkischen CDU-Politiker Jan Redmann den Vortritt gelassen bei der Führung der Landes-CDU. Wenn Stübgen redet, dann redet er ruhig, und das tut er auch bei dieser Gelegenheit. Einen Negativ-Preis zu erhalten, »ist nicht das, wofür ich jeden Morgen aufstehe und zur Arbeit gehe«, sagt er. Dennoch habe er sich kurzfristig entschlossen, mit den Verleihern der Bezeichnung »Abschiebeminister« ins Gespräch zu kommen. In einer Demokratie könne man unterschiedlicher Meinung sein und auch bleiben.
Was in Schönefeld entstehe, sei ein »Ein- und Ausreisezentrum«, zu dessen Errichtung er gesetzlich verpflichtet sei, so der Innenminister. »Ja, auch ich würde lieber Kindergärten, Jugendzentren und Gymnasien bauen.« Aber ähnlich wie an den Flughäfen von München oder Frankfurt am Main »brauchen wir am BER die entsprechenden Bereiche«. Mit dem Bau dieser Einrichtung treibt Stübgen die Umsetzung einer Idee voran, die von seinem Vorgänger Karl-Heinz Schröder (SPD) stammte. Auch der hatte seinerzeit den Titel »Abschiebeminister des Jahres« nebst zugehörigem Koffer erhalten. Zu den bisherigen Preisträgern gehören die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Horst Seehofer (CSU).
Stübgen beteuert gegenüber den Jugendlichen ohne Grenzen, dass Brandenburg bezogen auf die Abschiebezahlen »nicht heraussticht«. Mit fünf Prozent Abschiebungen liege man »leicht über dem Bundesdurchschnitt« von drei Prozent. Ihm persönlich sei wichtig, dass der Anteil der freiwilligen Ausreisen mit rund zwei Dritteln deutlich höher sei als in anderen Bundesländern. »Wir haben eines der liberalsten Flüchtlingssysteme der Welt«, erklärt er. »Aber wir müssen dabei auch beachten, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind.« Unbeirrt bekennt er sich dazu, »Menschen Schutz zu geben, die Hilfe brauchen«.
Allerdings hat Stübgen in den vergangenen Monaten zu erkennen gegeben, dass er eine Verschärfung in der Flüchtlingspolitik befürwortet. Im Frühsommer hatte er im Alleingang vom Bund eine Abschiebeoffensive gefordert, immerhin nachdem ihm der Preis »Abschiebeminister« verliehen worden war. Verschärfungen sollten ihm zufolge nicht nur Abschiebungen betreffen, sondern vor allem die Einreisen.
Beim Thema Grenzkontrollen war er der Erste, der ein Kontrollsystem wie an der deutsch-österreichischen Grenze verlangte. Als Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schließlich nachgab und solche Kontrollen auch für die brandenburgisch-polnische Grenze bei der EU beantragte, drückte Stübgen auf die Tube: »Echte Kontrollen müssen jetzt ohne schuldhaftes Zögern starten.« Inzwischen sind feste Kontrollen auch an der brandenburgisch-polnischen Grenze installiert, allerdings sind sie zunächst zeitlich auf acht Wochen befristet. Stübgen: »Ob dafür zwei Monate ausreichen, wie von Frau Faeser angekündigt? Das sehe ich skeptisch. Darüber werden wir noch reden müssen.«
Die heutigen Verhältnisse sind so, dass Stübgen von allen Seiten unter Druck gerät. Dem Koalitionspartner SPD – der Stübgen noch vor Monaten für sein Vorpreschen rügte – genügen die Abschiebe-Leistungen Brandenburgs inzwischen nicht mehr. Ludwig Scheetz, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, wies vor einigen Tagen darauf hin, dass unter der rot-roten Landesregierung (2009 bis 2019) mehr ausreisepflichtige Ausländer abgeschoben worden seien als unter CDU-Innenminister Stübgen. Hier sei Brandenburg »Schlusslicht« in Deutschland.
Die Linke lehnt Abschiebungen grundsätzlich ab. Bei Flüchtlingen handelt es sich um Menschen, »die bei uns ein sicheres Leben führen wollen«, unterstrich Fraktionschef Sebastian Walter. Damit das gelingen könne, schlage er den Parteien der brandenburgischen Regierungskoalition, SPD, CDU und Grünen, einen »Pakt für Integration« vor. Als ersten Schritt müssten ihm zufolge »alle Arbeitsverbote fallen«.
Stübgen stellte nochmals klar, dass die »Flüchtlingskrise« nicht alleine an der deutsch-polnischen Grenze beendet werden könne. Die deutsche Migrationspolitik müsse grundlegend überarbeitet und mit den europäischen Partnern synchronisiert werden. »Ohne spürbaren Schutz der EU-Außengrenze und eine deutlich intensivierte Rückführungsoffensive wird die Lage nicht besser werden. Will die Bundesregierung das verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen, muss sie endlich anfangen zu handeln.«
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