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Frachtschiffe könnten häufiger fahren

Der klimafreundliche Gütertransport per Binnenschiff soll wachsen – doch das ist schwieriger als gedacht

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 8 Min.
Einmal in der Woche fährt der Kapitän Torsten Stuntz mit der »Stella Maris« vom Oberrhein nach Frankfurt und zurück. Er hätte noch mehr Kapazitäten, sagt er.
Einmal in der Woche fährt der Kapitän Torsten Stuntz mit der »Stella Maris« vom Oberrhein nach Frankfurt und zurück. Er hätte noch mehr Kapazitäten, sagt er.

Es ist erst kurz nach sieben Uhr, als Torsten Stuntz den Anker lichtet und mit der »Stella Maris« von Frankfurt aus Richtung Osten tuckert. Zufrieden schaut er auf den Main. »Ich habe Binnenschifffahrt von klein auf gelernt und kann mir eigentlich auch nichts anderes vorstellen«, sagt der Kapitän. »Wie heißt das bei uns? – Einmal Schiffer, immer Schiffer!« Stuntz ist Binnenschiffer in vierter Generation, die »Stella Maris« sein zweites Zuhause: 110 Meter lang, 3,13 Meter Tiefgang, 2388 Tonnen Gesamtgewicht bei voller Ladung.

Zusammen mit seinen zwei Mitarbeitern fährt Stuntz eine feste Strecke: Vom Oberrhein bringen sie Kies zu einem Betonwerk in Frankfurt. Auf der Rückfahrt haben sie Schrott für ein Stahlwerk geladen. Einmal pro Woche geht das so. Stuntz könnte die Tour auch öfter machen, aber die Nachfrage sei zu gering. Dabei will die Bundesregierung die Binnenschifffahrt eigentlich stärken, um ihre selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen. Der Ausstoß an Treibhausgasen pro Tonne Fracht ist laut Umweltbundesamt beim Binnenschiff zwar etwa doppelt so hoch wie bei der Bahn, beträgt aber nur etwa ein Drittel dessen, was Lkw in die Luft blasen. Bis 2030 soll der Verkehrsanteil der Binnenschifffahrt deshalb bei 12 Prozent liegen – fast doppelt so viel wie die aktuelle Transportleistung. So steht es im »Masterplan Binnenschifffahrt«, der 2019 noch unter der Großen Koalition ausgearbeitet wurde. Denn anders als auf der Straße und der Schiene ist auf den meisten Flüssen noch sehr viel Platz.

Trotzdem bezweifeln Branchenvertreter wie Marcel Lohbeck, dass die politischen Ziele für den Gütertransport per Binnenschiff kurzfristig überhaupt zu erreichen sind. »Wir reden hier über einen Marathonlauf und nicht über einen Sprint«, sagt der Geschäftsführer des Vereins für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen, einer Art Think-Tank der Branche. Denn momentan sind die Marktanteile sogar eher rückläufig. Ein Grund: Durch die Energiewende werden immer weniger Massengüter wie etwa Kohle oder Heizöl transportiert, für die sich die Binnenschifffahrt anbietet.

Doch Lohbeck warnt vor voreiligen Schlüssen. Denn die Energiewende biete auch große Potenziale, etwa beim Transport von Windkraftanlagen, vielleicht auch von Wasserstoff. Voller Unverständnis schaut die Branche deshalb auf die Ergebnisse der langfristigen Verkehrsprognose, die das Bundesministerium für Digitales und Verkehr im März veröffentlichte. Die Gutachter erwarten zwar einen Anstieg des gesamten Güterverkehrs bis Mitte des Jahrhunderts. Der Anteil der Straße allerdings könnte laut der Studie sogar wachsen, während Schiene und Binnenschifffahrt verlieren würden. Wasserstraßen-Lobbyist Marcel Lohbeck schüttelt verärgert den Kopf. »Ich glaube, man müsste den Ist-Zustand als Gestaltungsauftrag begreifen und hier einfach beherzter vorangehen«, sagt er.

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In der Tat ist die Infrastruktur eines der großen Probleme der Branche: Ähnlich wie das deutsche Schienennetz sind auch die Wasserstraßen vielerorts in einem desolaten Zustand, viele Anlagen wurden schon seit Jahrzehnten nicht mehr saniert. Binnenschiffer Torsten Stuntz kennt das Problem. Mit der »Stella Maris« fährt er gerade auf die Main-Schleuse Offenbach zu, meldet sich an. Ein paar Minuten später kann das Schiff die Schleuse passieren. Aber das sei nicht immer so. Denn in den vergangenen Jahrzehnten habe sich einiges geändert, so Stuntz: »Früher waren auf jeder Schleuse drei, vier Leute – einer hat die Schleuse bedient, und die anderen haben die Schleuse gepflegt.« Heute werden dagegen die Schiffsfahrstühle zentral aus einer Leitwarte gesteuert, das spart Personal und damit viel Geld. Langfristig sei das aber ein großes Problem. »Wenn das Tor angefangen hat zu quietschen, dann hat früher der Mann auf der Schleuse zu seinem Kollegen gesagt: ›Geh mal gucken‹«, erzählt Stuntz. »Heute merkt er das erst, wenn das Tor gar nicht mehr aufgeht.«

Dann muss das Schiff vor der Schleuse warten. »Alles schon vorgekommen«, sagt Stuntz trocken – auch wenn es diesmal keine Probleme gibt. Dass viele Schleusen und andere Wasserstraßenbauwerke dringend saniert werden müssen, weiß auch die Politik – im »Masterplan Binnenschifffahrt« wird deshalb die »Bereitstellung einer bedarfsgerechten Infrastruktur« als wichtiges Ziel genannt. Doch weil das Geld fehlt, kommt die Modernisierung nur schleppend voran. Außerdem müssten die Verfahren für Planung und Bau dringend vereinfacht und beschleunigt werden. »Wir müssen schauen, dass die Leute, die aufgrund ihrer Berufsausbildung planen und bauen können, das auch tun und nicht mit Verwaltungsarbeiten belastet sind«, sagt Lohbeck.

Seine Forderungen treffen im Bundesverkehrsministerium durchaus auf offene Ohren. Der Etat soll in den kommenden Jahren angehoben und die Bürokratie abgebaut werden. Doch selbst mit mehr Geld für die Wasserstraße und beschleunigten Planungs- und Bauverfahren wären die großen Probleme der Branche noch längst nicht alle gelöst. Denn auch wenn die Binnenschifffahrt im Kampf gegen den Klimawandel ihren Beitrag leisten soll, ist sie von diesem wiederum stärker betroffen als andere Verkehrsträger wie die Schiene und die Straße. Das Problem: Im Sommer machen es Niedrigwasserphasen immer schwieriger, Touren noch sicher zu planen. Das betrifft vor allem den Rhein – die mit großem Abstand wichtigste deutsche Wasserstraße.

Wer dort unterwegs ist, dürfte schon bald auf die Hilfe von Rupert Henn angewiesen sein. Henn ist Geschäftsführer des Entwicklungszentrums für Schiffstechnik und Transportsysteme in Duisburg; er erforscht, wie sich Binnenschiffe besser an Niedrigwasserphasen anpassen lassen. »Die erste Maßnahme ist, die Grundfläche des Schiffes zu vergrößern, also breiter und länger zu bauen«, erklärt er. Denn je breiter und länger das Schiff, desto geringer der Tiefgang. »Man kann natürlich weitergehen und hochfeste, sehr leichte Materialien nehmen, aber das ist mit hohen Kosten verbunden.« Weil das Schiff so zunehmend unwirtschaftlich werde, müsse man auch auf andere Möglichkeiten setzen.

Torsten Stuntz ist Binnenschiffer in vierter Generation.
Torsten Stuntz ist Binnenschiffer in vierter Generation.

Konkret heißt das: Die Fahrrinne des Rheins muss ausgebaut werden. Sie soll vertieft werden, damit die Abladung – das ist die Eintauchtiefe der Schiffe – größer werden kann. Schiffe können so größere Lasten transportieren. Eigentlich geht es um punktuelle Verbesserungen an der Fahrrinne, doch die sind sehr umstritten: Lokalpolitiker und Umweltschützer leisten Widerstand. Sie fürchten Auswirkungen auf Fischwanderung und Gewässerökologie, weil der Rhein durch die Vertiefung der Fahrrinne nicht mehr Wasser führe, sondern sich das Wasser nur anders verteile. Bei Niedrigwasser könnten manche Zonen trockenfallen und als Lebensraum für Tiere verloren gehen. Zudem würden der Wasserspiegel des Rheins und auch der Grundwasserstand in der Umgebung absinken. Experten erwarten deshalb lange rechtliche Auseinandersetzungen um die Rheinvertiefung.

Und auf die Binnenschifffahrt warten weitere Herausforderungen: Die Schiffsmotoren – bisher mit Diesel betrieben – müssen umweltfreundlicher werden. Denn auch wenn pro Tonne Fracht viel weniger Treibhausgase als beim Lkw ausgestoßen werden, emittieren Binnenschiffsmotoren deutlich mehr Stickoxide als die Antriebe von Lastwagen. Stickoxide gelten als Luftschadstoffe, die bei hohen Konzentrationen zu Atemwegserkrankungen führen können. Auch deshalb soll die Branche ihre Emissionen bis 2035 im Vergleich zu 2015 um 35 Prozent senken, bis 2050 muss die Binnenschifffahrtsflotte komplett emissionsfrei sein – so will es die EU-Kommission. Bei Passagierfähren mit kurzen Fahrzeiten werden schon heute Batterieantriebe erprobt. Viel schwieriger ist die Situation allerdings bei großen Binnenschiffen, die Güter transportieren. »Wir untersuchen verschiedene Konzepte, da gibt es aber keine Patentlösungen«, sagt Rupert Henn.

Ein Akkubetrieb sei zwar auch bei großen Schiffen technisch möglich, aber wirtschaftlich unrentabel. Einige Reeder lassen sich deshalb in ihre neuen Schiffe schon heute einen Elektromotor einbauen, der von einem Dieselgenerator angetrieben wird – in der Hoffnung, den Diesel irgendwann durch andere Energiequellen ersetzen zu können. Als Torsten Stuntz vor fünf Jahren seinen Motor auf der »Stella Maris« erneuern wollte, stand auch er vor dieser Frage. Aber er wollte nicht »auf ein Pferd setzen, bei dem wir gar nicht wissen, ob das überhaupt klappt oder nicht – so viel Geld haben wir leider auch nicht übrig«, meint der Kapitän. Also hat er einen modernen Dieselmotor einbauen lassen, der derzeit alle Abgasnormen erfüllt. Klimatechnisch wirkt das wie ein Anachronismus – sei aber momentan noch ohne echte Alternative, sagt Schiffstechniker Rupert Henn: »Man darf den Reedern auch keinen Vorwurf machen, die Technik ist einfach noch nicht so weit. Die Forderungen aus Politik und Gesellschaft sind da, aber die können technisch im Augenblick nicht erfüllt werden.«

Und selbst wenn die Frage eines emissionsarmen Schiffsantriebs in naher Zukunft gelöst werden sollte, fehlten immer noch die Werftkapazitäten, um die Schiffe schnell klimaneutral umzurüsten. Die Lösung der Binnenschifffahrtsprobleme ist eine echte Sisyphus-Arbeit: Immer wenn eine Schwierigkeit überwunden scheint, taucht die nächste auf. Der Kampf gegen Niedrigwasser – ziemlich kompliziert. Die Erneuerung der Infrastruktur – teuer und extrem langwierig. Die Umrüstung auf klimaneutralen Antrieb – noch offen. Und nicht zuletzt werden sich einige Binnenschiffer darauf einstellen müssen, in Zukunft andere Güter zu transportieren als bisher. Dass Torsten Stuntz mit seiner »Stella Maris« trotzdem gelassen in die Zukunft blickt, erscheint da fast seltsam. Aber vielleicht sieht er den Lauf der Dinge auch einfach realistisch: »Ich glaube nicht, dass wir in der Binnenschifffahrt Angst haben müssen, dass es uns morgen nicht mehr gibt«, sagt er. »Denn dass die Güter transportiert werden müssen, ist ja nicht von der Hand zu weisen. Die Frage ist nur, in welcher Form das Ganze dann passiert.«

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