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Kreuzberger Wohnprojekt: Frauenleben im Alter frei gestalten

Jutta Kämper wurde mit dem Landesverdienstkreuz für ihr feministisches Lebenswerk geehrt – der »Beginenhof« ist ein Teil davon

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 6 Min.
Vier Bewohnerinnen vor dem Beginenhof. Unter ihnen: Gabriele Grams (Zweite von links), mit der »nd« sprechen konnte.
Vier Bewohnerinnen vor dem Beginenhof. Unter ihnen: Gabriele Grams (Zweite von links), mit der »nd« sprechen konnte.

Sie lebten nach den »Regeln der Armut, der Keuschheit und des regelmäßigen Gebetes«. Beginen waren Frauen, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert in sogenannten Beginenhöfen wohnten. Sie arbeiteten als Handwerkerinnen, leiteten Mädchenschulen und pflegten Kranke. Sie teilten ihr erwirtschaftetes Vermögen und machten sich dadurch unabhängig von Kirche und Männern. Die autonomen Frauengemeinschaften wurden Vorbild für den »Beginenhof« in Kreuzberg. Gründerin Jutta Kämper wurde für ihr Lebenswerk nun das Landesverdienstkreuz ausgehändigt.

Eine bunte Fensterfassade macht auf den »Beginenhof« in Kreuzberg auf sich aufmerksam. 53 Wohneinheiten sind über sieben Etagen verteilt. Was von außen nicht erkennbar ist, sind die sogenannten »Laubengänge«, welche jeweils vier Wohneinheiten miteinander verbinden. Diese bieten mit einer Ausbuchtung Raum für Kontakt – zum Beispiel für ein gemeinsames Frühstück. Sie sind auch die kleinstmögliche Einheit im »Beginenhof«, welche die gegenseitige »Achtsamkeit« füreinander sicherstellen, erzählen die Bewohnerinnen Gabriele Garms und Susanne Bauer gegenüber »nd«.

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2007 wurde der »Beginenhof« eingeweiht, 80 Prozent der damals Eingezogenen leben noch heute hier. Die meisten waren damals schon über 55 Jahre alt, viele sind heute im hohen Rentenalter. Statt im Pflegeheim oder allein, wohnen hier Frauen unter sich und lassen sich von ihren historischen Vorfahrinnen inspirieren. »Hier können wir selbstbestimmt leben und unser Ding machen – gemeinsam statt einsam«, erzählt Garms, die 2008 eingezogen ist.

»Gemeinsam statt einsam« prägt nicht nur die architektonische Struktur des »Beginenhofs«, sondern spiegelt sich auch in den Freizeitaktivitäten und den demokratischen Strukturen wider. Auf dem einmal im Monat stattfindenden »Jour Fixe« werden die Angelegenheiten des Projekts geregelt. Die eigenständige Gestaltung der Gemeinschaftsräume hält fit. Dazu gehören der Gemeinschaftsgarten, der Salon für Veranstaltungen und das Dach mit Blick über Berlin. Sogenannte »Themenabende« sollen dem klärenden Gespräch zu Fragen der Gemeinschaft dienen, heißt es in den Vereinbarungen zur Hausgemeinschaft.

Die Beginen in Kreuzberg sorgen auch für geistige und körperliche Betätigung im Kollektiv: Es gibt Arbeitsgemeinschaften zu Literatur, Kunst und Garten. Und wer möchte, kann die Glieder beim Qigong dehnen. In der Digi-Party bilden sich die Frauen am Computer weiter. Und im Geschichtssalon von der Historikerin und Beginenhofbewohnerin Gisela Notz tauchen sie in die Frauenbewegungen der Zeit ein. Wer mal keine Kraft oder Laune zum Kochen hat, kommt zur monatlichen Suppenküche.

Feminismus wird im »Beginenhof« praktisch gedacht: »Bevor das Energiegebäudegesetz anstand, haben wir eine Veranstaltung im Salon gemacht, damit jede Frau informiert ist«, erzählt Susanne Bauer, eine der jüngeren Frauen. Die Frauen versuchen hier, so viel wie möglich in »Eigenregie« zu gestalten.

Eine Gemeinschaft in Selbstverwaltung – aufgebaut auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. In einer Gesellschaft, in der an allen Ecken und Enden im Sozialen gespart wird, bleibt Seniorinnen oft nur die Wahl zwischen einem unterbesetzten Pflegeheim oder Einsamkeit und Überforderung allein zu Hause. Soziale Angebote sind selbst in einer bewegten Stadt wie Berlin für Seniorinnen rar.

»Dieses Projekt wollte von Anfang an Frauen aus der ökonomischen Abhängigkeit zum Mann lösen«, erzählt Bauer. Das gelingt durch Eigentum in Frauenhand – die meisten hier lebenden Beginen besitzen ihre Wohnung selbst. Auch Männer können hier leben, nur eben keine Eigentümer sein. Bauer betont, dass es keinen Zwang zum gemeinsamen Beisammensein gäbe. »Nicht alle Laubengänge frühstücken miteinander und das ist auch okay so.«

Das Prinzip Freiwilligkeit lässt sich sicherlich besser umsetzen, wenn jede Frau ihren privaten Rückzugsort nutzen kann, wann und wie sie ihn braucht. Es gibt keine nervigen Hausplena, weil wieder das dreckige Geschirr in der Küche stehen geblieben ist oder der Radau nachts im Wohnzimmer für schlaflose Nächte sorgte. Es gibt keine drohende Mieterhöhung, keine Angst vor einer Räumung, keine (willkürliche) Macht des Vermieters.

Stattdessen gibt es im »Beginenhof« viel Platz: Wunderschöne Wohnungen mit mindestens zwei Zimmern, Balkon oder Terrasse. Im Herzen der Stadt liegt der »Beginenhof« mit Blick auf den Wassertorplatz, unweit des schnuckligen Landwehrkanals an der Admiralsbrücke. Die Sonne küsst aus Ost und West und durchflutet die Wohnungen mit großer Fensterfassade. Efeu rankt, wo Frauen es zulassen. Ein Apfelbaum blüht, wo Frauen unter ihm Schatten suchen. Aber die »Beginenhöfe« waren – und sind – nicht Wohnraum für jede Frau. Es handelt sich bei jeder Wohnung um »Eigentum in Frauenhand« – ganz anders als Schöpferin Jutta Kämper es geplant hatte.

Berlin kurz nach der Wende. Die damals 68-jährige Jutta Kämper arbeitet in einem Verein zur Förderung von Frauen in Bauberufen und engagiert sich für Frauen in Not. Kämper hatte bereits in Kreuzberg als Sozialplanerin Frauenprojekte gefördert und die »Schokofabrik« besetzt. Sie ist gut vernetzt und gründet mit ein paar Feministinnen einen Verein, das »Beginenwerk«.

Das »Beginenwerk« bestand aus multiprofessionellen Frauen mit verschiedenen Blickwinkeln auf die Frauenfrage. Sozialpädagoginnen wollten Wohnraum für Frauen, welcher ihnen Platz für das Zusammenleben mit ihren Kindern oder Zuflucht vor gewalttätigen Ex-Partnern ermöglichen sollte. Die Architektinnen und Tischlerinnen wollten ihre kreativen Ideen konkret für Frauen umsetzen und die Stadtplanerinnen, wie Kämper eine war, wussten: So etwas wie eine gute Anbindung an Kitas wurde in Westberlin in der Stadtplanung oder Wohnraumvergabe für Frauen nicht mitgedacht. Ein Klima der Vereinzelung nahm zu, das gerade älteren Frauen im Alter nicht gut tue.

Anfang der 2000er mieteten die Gründerinnen des »Beginenwerks« Sozialneubauten in Moabit und konnten durch »Eigenarbeit eine um eine D-Mark pro Quadratmeter verringerte Miete erzielen«, wie Kämper in ihrer Geschichte des Weges zum »Beginenhof« schreibt. Doch der Wunsch, ein eigenes Haus nach ihren Vorstellungen zu planen und zu bauen, wurde lauter und so besuchten die Gründerinnen des »Beginenwerks« Gemeinschaftsprojekte in ganz Deutschland – bis der »Beginenhof« in Kreuzberg in Genossenschaft entstehen sollte.

Heute ist Jutta Kämper 90 Jahre alt und nach Aussagen von Gabriele Garms und Susanne Bauer recht medienscheu. »Jutta war damals kurz davor, den ›Beginenhof‹ aufzugeben, als die genossenschaftliche Finanzierung geplatzt ist«, erzählt Gabriele Garms gegenüber »nd«. Ein Investor aus Holland sprang 2007 ein und rettete das Projekt. Eine amüsante Anekdote, wenn man bedenkt, dass die Anfänge des Beginentums in Belgien und den Niederlanden lagen, wo auch heute noch die meisten historisch erhaltenen »Beginenhöfe« besuchbar sind.

Es ist am Ende keine Genossenschaft geworden, sondern noch weitere Eigentumsprojekte: Der »Müggelhof« in Friedrichshain und der »Florahof« in Pankow stammen auch von Jutta Kämper. Nicht für alle Frauen ist hier Wohnraum entstanden, sondern nur für solche mit dem nötigen Kapital. Trotz Privateigentum scheint im »Beginenhof« in Kreuzberg ein Gemeinschaftsgeist weiterzuleben. Der Salon im Haus wird nicht nur von Gisela Notz genutzt, sondern steht auch anderen Gruppen für kulturelle Veranstaltungen frei. »Es ist uns wichtig, dass dieses Projekt nach außen wirkt«, sagt Gabriele Garms, die sich heute bei den »Omas gegen rechts« engagiert.

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