Kulturkampf ums Asylrecht

Für Natascha Strobl spielen die aktuellen Asyldebatten in Deutschland und Österreich den Rechten in die Hände

  • Natascha Strobl
  • Lesedauer: 4 Min.
Migration – Kulturkampf ums Asylrecht

Das Asylrecht hat einen noblen Zweck, der direkt an die Verabschiedung der Menschenrechte gebunden ist – und diese fußen auf einer konkreten, finsteren Erfahrung: Es waren die Wirren der Zwischenkriegszeit, die viele Flüchtlinge produzierte, die auf den Völkerbund und zwischenstaatliche Abkommen angewiesen waren. Jüdische Flüchtlinge in der Zeit des Nationalsozialismus wurden abgewiesen oder nur sehr spärlich aufgenommen. Internationale Konferenzen, die eine Verteilung der Menschen aushandeln wollten, scheiterten. Währenddessen wurden in Deutschland Holocaust und Shoah geplant und vorbereitet.

Ein besonderes bitteres Beispiel ist die Irrfahrt der St. Louis. Über 900 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, darunter viele Frauen und Kinder, wagten auf diesem Passagierschiff die Fahrt über den Atlantik, um den Nazi-Schergen zu entkommen. Sie wurden weder in Kuba noch in den USA oder Kanada aufgenommen. Die Menschen wurden zurück nach Europa gebracht. Die meisten überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht.

Natascha Strobl

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Autorin aus Wien. Auf Twitter schreibt sie Ad Hoc-Analysen zu rechtsextremer Sprache und faschistischen Ideologien, für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Rechte Umtriebe«. Darin widmet sie sich der Neuen und Alten Rechten und allem, was sich rechts der sogenannten Mitte rumtreibt. Alle Texte auf dasnd.de/umtriebe.

Auch die Schweiz spielte keine rühmlich Rolle und wies Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland ab. Es waren Helden wie der Polizeihauptmann Paul Grüningenaus der Schweiz, die sich den Anweisungen widersetzten und die Grenze öffneten. Grüninger musste Karriere und Ruf aufgeben und wurde erst in den 1990ern (20 Jahre nach seinem Tod) rehabilitiert. Er ist in Israel ein sogenannter Gerechter unter den Völkern. Es waren aber auch Diplomaten wie der Schwede Raoul Wallenberg oder der Chinese Ho Feng Shan, die eigenständig hunderte Visa für Juden und Jüdinnen in Budapest und Wien ausstellten, um deren Ausreise zu ermöglichen.

Grüninger, Wallenberg und Shan handelten gegen die Gesetze ihrer Länder und gegen zwischenstaatliche Abmachungen. Sie handelten, weil sie das Leid und die damit verbundene Dringlichkeit direkt vor Augen hatten und aus Menschlichkeit nicht anders handeln konnten. Die Irrfahrt der St. Louis zeigt, was passiert, wenn die Menschlichkeit versagt.

Diese Erfahrungen bilden die Grundlage für die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention.

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Es ist also kein Wunder, dass die extreme Rechte diese Prinzipien vergessen machen möchte. Sie verpflichten nämlich den Staat zu Solidarität mit Menschen, die oft nicht mehr als die Schuhe an ihren Füßen haben. Sie verpflichten dazu, nicht wegzuschauen, wenn Menschen an Grenzen um Aufnahme bitten und damit um ihr Leben flehen.

In den vergangenen Jahren waren es aber zunehmend auch Stimmen abseits der extremen Rechten, die diese Prinzipien aufweichen wollten. Das ist aktuell nicht anders. Geflüchtete Menschen sind die Projektionsfläche, auf der das Unbehagen mit der Gegenwart ausgetragen wird. Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz rühmte sich beispielsweise, die »Balkanroute« geschlossen zu haben. Die konservative britische Innenministerin Suella Braverman möchte gleich ganz aus der Flüchtlingskonvention aussteigen. Mit solchen Aussagen erhofft man sich ein paar Prozent mehr Zustimmung in der Bevölkerung. Es ist, als hätte man eine Gruppe von Menschen aufgegeben, an der sich nun alle einmal abarbeiten dürfen.

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Und die extreme Rechte triumphiert: Schaut, wir haben es immer schon gesagt, wir haben recht, ihr dürft uns auch beim Rest glauben. So spielt man das Spiel der extremen Rechten mit. Zumal man sich dann mit den wirklich kniffligen Fragen nicht auseinandersetzen muss: Warum radikalisieren sich etwa Menschen, die in zweiter oder dritter Generation da sind? Welche Ähnlichkeiten gibt es in der Radikalisierung zwischen der extremen Rechten und islamistischen Milieus? Welche Rolle spielen Soziale Medien wie TikTok? Wer hat wo welche Vorfeldorganisationen? Und welche Geschäfte macht man eigentlich mit Staaten, die diese Radikalisierung fördern? Das sind alles Fragen, auf die »Abschieben!« schlicht keine Antwort ist.

Im Gegenteil: Hier werden gesellschaftliche Fragen verdeckt, auf die es auch solidarische Antworten gibt. Kinder und Jugendliche, die Teil dieser Gesellschaft sind, sind es auch, wenn sie sich daneben benehmen oder straffällig werden. Ihnen sofort klar zu machen, dass sie sowieso nie dazu gehören, befeuert eine Radikalisierung. Das bedeutet aber eben auch, sich mit ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen, sie als gesellschaftliche Realität anzuerkennen, aber nicht als unveränderbar zu akzeptieren. Ja, das ist Arbeit. Ja, das geht nicht so locker flockig von den Lippen wie »Alle abschieben!« zu johlen. Aber es ist der Weg, wie eine demokratische und solidarische Gesellschaft funktionieren sollte.

Die Flüchtlingskonvention und damit die Menschenrechte als Spielball in einer politischen Auseinandersetzung ins Feld zu führen, bedeutet, sich von den Lehren des Zweiten Weltkriegs zu verabschieden.

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