- Politik
- Antimuslimischer Rassismus
Drastische Zunahme bei Gewalt gegen Muslimen
53 Fälle in zweieinhalb Wochen dokumentiert, darunter zehn Angriffe auf Moscheen
Bereits in den vergangenen Wochen haben zahlreiche Beratungsstellen vor einer Zunahme antisemitischer und rassistischer Bedrohung und Gewalt in Deutschland gewarnt. Claim, die Allianz gegen antimuslimischen Rassismus, dokumentierte allein in den letzten zweieinhalb Wochen 53 Fälle antimuslimischer Bedrohung, Gewalt und Diskriminierung. Im Zuge der aktuellen politischen und medialen Debatten warnt das vom Bundesfamilienministerium geförderte Bündnis vor einer weiteren Zunahme solcher Vorfälle.
Zwischen dem 13. und dem 31. Oktober dokumentierte Claim 53 antimuslimische Vorfälle, darunter Bedrohungen und Gewalt gegenüber Einzelpersonen sowie zehn Angriffe auf Moscheen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, da bisher keine bundesweiten Beschwerde- und Monitoring-Stellen für antimuslimischen Rassismus vorhanden sind. Häufig wüssten Betroffene nicht, wohin sie sich wenden können, heißt es in einer Pressemitteilung der Allianz. Erfasst sind bei den genannten Fällen Meldungen über das Portal »I Report«, Informationen aus fünf Beratungsstellen sowie Medienberichte und Polizeimeldungen. Zusätzlich wurden in nur fünf Tagen, von 21. bis 25. Oktober, online 240 antimuslimische Hasskommentare gezählt, die sich insgesamt auf nur 13 im Onlinedienst X geteilte Meinungsbeiträge oder Artikel beziehen.
Auch die Anzahl antisemitischer Vorfälle ist in den Wochen seit dem 7. Oktober drastisch gestiegen. »Dass sich Jüd*innen in Deutschland aktuell nicht mehr sicher fühlen können, ist nicht hinnehmbar«, betont Rima Hanano, Leiterin von Claim. »Wir beobachten neben antisemitischen Angriffen aber auch eine Zunahme von Diskriminierungen und Übergriffen gegenüber Muslim*innen sowie muslimisch gelesenen Personen, insbesondere Menschen arabischer Herkunft.« Diese Entwicklung »sollte alle besorgen und muss ernst genommen werden«, mahnt Hanano. »Wir dürfen nicht zulassen, dass menschenverachtende Positionen weiter normalisiert werden und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel setzen.«
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Claim fordert zudem weitreichende Maßnahmen zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und einen besseren Schutz von Betroffenen. Der Handlungsbedarf sei akut. Ereignisse wie der Anschlag auf die Synagoge von Halle am 9. Oktober 2019 und die rassistischen Morde am 19. Februar 2020 in Hanau, Angriffe auf Moscheen oder Geflüchtetenunterkünfte geschehen »nicht im luftleeren Raum«, heißt es in der Mitteilung des Bündnisses. Durch die derzeitigen islamfeindlichen Diskurse fühlten sich viele Menschen noch mehr als zuvor ermutigt, Moscheen, Muslim*innen und Menschen, von denen man annimmt, sie seien muslimisch, zu beleidigen, zu diskriminieren oder tätlich anzugreifen.
»Betroffene von antimuslimischem Rassismus erfahren derzeit wenig bis gar keine Solidarität«, sagt Hanano. Gemeinden und besonders Communitys würden noch immer weitestgehend alleingelassen. Daher brauche es jetzt den politischen Willen, weitreichende Maßnahmen zu ergreifen.
Zuvor hatte bereits die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial vor wachsendem antimuslimischen Rassismus in der Hauptstadt aufgrund des Krieges im Gazastreifen gewarnt. Sie sprach sich für Sonderschulstunden aus, in denen der Nahost-Konflikt »aktiv aufgegriffen und diskutiert wird«. Hier müsse vor allem die Migrationsperspektive vieler Schüler*innen berücksichtigt werden. »Wenn mehr als die Hälfte der Schulkinder eine Migrationsgeschichte hat, dann haben sie vermutlich auch einen ganz anderen Bezug zum Holocaust oder zum Zweiten Weltkrieg«, betonte Niewiedzial. Ihr Blickwinkel müsse im Curriculum mehr Beachtung finden. Das gelte »auch für die Kolonialgeschichte oder die Lebensrealität der staatenlosen palästinensischen Kinder«.
Auch der Berliner Rabbiner Elias Dray wandte sich gegen Muslimfeindlichkeit. »Es ist für mich auch wichtig zu sagen, dass man auch antimuslimischen Rassismus bekämpfen muss«, sagte er am Freitag nach einem Treffen von Organisationen, die sich insbesondere gegen Antisemitismus engagieren. Obwohl es derzeit sehr schwierig sei, sei es ihm und anderen wichtig, den muslimisch-jüdischen Dialog fortzusetzen. Es dürfe nicht sein, dass Menschen angegriffen würden, nur weil sie Muslime seien. »Das wollen wir als jüdische Gemeinde auch nicht. Wir wollen eine Gesellschaft, die für alle da ist.« Auch Dray setzt weiter auf politische Bildung. Er engagiert sich beim Projekt meet2respect. In diesem Rahmen besucht er gemeinsam mit einem Imam Berliner Schulen.
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