Diskussion über Geschlecht und Revolution

Von Körperpanzern, Projektionsrhythmen und Tänzen an der Schmerzgrenze

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der neue Mensch ist etwas anderes als der linke Mann.« Das stellte die Autorin Luise Meier vergangenen Donnerstag im Münzenbergsaal im Verlagsgebäude des »nd« klar. Von Mittwoch bis Freitag veranstalteten Rosa-Luxemburg-Stiftung, Helle Panke e. V. und das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung eine Konferenz mit dem Titel »1923 – Sattelzeit der Revolution. Umbrüche in Politik, Kultur und radikaler Gesellschaftskritik«. Historikerinnen, Literaturwissenschaftler, Philosophinnen diskutierten über das Jahr, in dem Lenin starb, Hitler in München zu putschen versuchte, die Ruhrbesetzung stattfand, »Geschichte und Klassenbewusstsein« von Georg Lukács erschien. Der zweite Tag der Konferenz endete mit einem abendlichen Gespräch über Geschlecht und Revolution: Eingeladen waren die bereits zitierte Luise Meier, die 2018 den vielbeachteten Essay »MRX-Maschine« veröffentlichte und sich derzeit mit Proletkult und Science Fiction beschäftigt, sowie Klaus Theweleit: Seinen Ruf als einer der wichtigsten Kulturwissenschaftler Deutschlands erwarb er sich 1977 mit seinem Buch »Männerphantasien«, in dem die Vorgeschichte des Nationalsozialismus im Hinblick auf unterdrückte Sexualität und psychologische Entwicklungsstörungen untersucht wurde.

Theweleit sprach davon, dass auch unter linken Männern das Soldatische eine Rolle spiele, was man gut bei Michael Rohrwasser in dem Buch »Saubere Mädel – Starke Genossen« nachlesen kann. Im Gegensatz zu Faschisten fehle ihnen jedoch die Lust am misshandelten Anderen, an der Gewalt gegen Frauenkörper. Diese ist wesentlich bei Hamas, Incels, Anders Breivik. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs lässt, so Theweleit, die Erotikabwehr des Kaiserreichs nach. Gleichfalls entstehen neue Feindbilder durch die Faschisten wie etwa das der »syphilitischen Jüdin«. Anekdotisch erzählte Theweleit von der »Dauerdominanz« politischer Gruppen nach ’68, worunter zu seiner Zeit vor allem die Frauen in Beziehungen litten; dann ging es um »Projektionsrhythmen« der Männer, wonach mit jedem beendeten Vorhaben bei Künstlern auch Partnerschaften beendet werden müssten. Das große Problem: anerkannte Ebenbürtigkeit.

Luise Meier sprach von Gegenmodellen zu den Beziehungsformen, die aus solchen Angstfantasien entstehen. Dass Geschichte keine lineare Fortschrittsgeschichte ist, zeigt sich etwa an einer Figur wie der Tänzerin Valeska Gert, die in den 1920ern in Berlin berühmt wurde. Ihre Auftritte brachten verdrängte Körperlichkeit bis zur Schmerzgrenze auf die Bühne. Ihre Selbstbestimmtheit in der Sexualität und bei Vorlieben des Zusammenlebens vor 100 Jahren war schamlos revolutionär. Darüber hinaus geht es Meier jedoch um die radikale Einsicht, dass wir alle in Beziehungen leben und wie sich die Formierung von Körpern verändert, wenn wir in anderen »Beziehungsweisen« (Bini Adamczak) leben.

Das Publikum interessierte sich dafür, wie sehr Theweleits Männer-Theorien auch auf Islamisten und Putinisten zutreffen. Außerdem kam zur Sprache, welche Klassenherkunft es schwieriger oder einfacher macht, neue Lebensformen auszuprobieren, um sich zu befreien.

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