Kritik an Klima-Sondervermögen: Intransparent und ohne Expertise

Klimainitiativen fordern Berliner Senat auf, das Klima-Sondervermögen sinnvoll und transparent zu gestalten

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.
Schwer wiegt die Verantwortung für fünf Milliarden Euro. Klimaneustart Berlin und der BUND pochen deshalb auf externen Sachverstand.
Schwer wiegt die Verantwortung für fünf Milliarden Euro. Klimaneustart Berlin und der BUND pochen deshalb auf externen Sachverstand.

Mit einer Fünf-Milliarden-Euro-Münze steht die Aktivistin vor dem Roten Rathaus. Sie gehört zur Initiative Klimaneustart Berlin, aber hat an diesem Dienstagmorgen die Rollen getauscht: Sie repräsentiert den Berliner Senat, der das Geld für das Klima-Sondervermögen in der Hand hält. Ihre Mitstreiter*innen übergeben Davis einen an den Senat gerichteten offenen Brief. Einen Tag bevor das Abgeordnetenhaus über den Entwurf des sogenannten Errichtungsgesetzes für das Sondervermögen »Klimaschutz, Resilienz und Transformation« berät, fordern Vertreter*innen des BUND Berlin und der Initiative Klimaneustart Berlin damit die Landesregierung auf, die Verteilung der veranschlagten fünf Milliarden Euro transparent zu gestalten und wissenschaftlich begleiten zu lassen.

45 Initiativen und Einzelpersonen haben den Brief unterzeichnet. Sie begrüßen die seit Juli geplanten Extragelder, denn »die Klimakrise einzudämmen ist eine der größten strukturellen Herausforderungen unserer Zeit«. Um das Berliner Klimaschutzgesetz zu erfüllen, brauche es zusätzliche finanzielle Mittel zum bestehenden Haushalt. »Jedoch fehlen bei der Ausarbeitung des zugrundeliegenden Gesetzes bisher Transparenz, wissenschaftliche Expertise sowie eine angemessene Beteiligung der Berliner*innen.«

»Wir stehen vor einem großen Koffer mit Geld, der für die Klimaschutzpolitik in Berlin eine große Wirkung erzielen könnte«, sagt Matthias Krümmel vom BUND Berlin. Doch zugleich bestehe die Gefahr, das Geld zu verschleudern und die Stadt mit Schulden zurückzulassen, ergänzt seine Kollegin Julia Epp – denn das Sondervermögen wird über Kredite aufgenommen und muss refinanziert werden. »Es müssen wirklich sinnvolle Maßnahmen damit finanziert werden, sonst haben wir dadurch Belastungen.«

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Wenig sinnvoll sei es beispielsweise, ursprüngliche Haushaltsausgaben stattdessen über das Sondervermögen zu finanzieren und damit die Ausgaben für Klimaschutz lediglich umzuschichten. Doch genau das hat SPD-Innensenatorin Iris Spranger bereits angekündigt: Weil der Senat für den nächsten Doppelhaushalt keine Mittel für die Sanierung maroder Polizeiwachen einplant, will sie dafür das Sondervermögen nutzen. Krümmel würde eine schnelle energieeffiziente Sanierung sogar gutheißen. »Wenn wir allerdings anfangen, weitere polizeiliche Maßnahmen mit dem Klimageld zu fördern, sehen wir ein Problem.«

Doch um einen Missbrauch der Gelder zu verhindern, fehle es derzeit an Transparenz. So bliebe das Errichtungsgesetz bisher bei der Frage viel zu vage, nach welchen Kriterien die Maßnahmen ausgewählt und Fördersummen festgelegt werden sollten. Als einzige Voraussetzung wird die CO2-Reduzierung genannt – doch das reicht in Julia Epps Augen nicht aus. »Es gibt nicht die eine Methode zur CO2-Bilanzierung.«

Eine Berechnungsart, die sich nur auf das eingesparte CO2 konzentriert, könnte zum Beispiel dazu führen, dass aufwendige und ineffiziente Technologien wie Wasserstoff gefördert würden, wenn sie fossile Technologien ersetzen. Ob eine andere Technologie dieselbe Menge an CO2 effizienter und billiger ersetzen könnte, würde dann keine Rolle spielen. Für manche wichtigen Maßnahmen ließen sich zudem die eingesparten Emissionen nicht so einfach beziffern. »Es ist einfach ein Einfallstor, weil man viele skurrile Sachen berechnen kann.«

Reiner Wild, ehemaliger Geschäftsführer des Mietervereins, vermisst im Errichtungsgesetz jeglichen Hinweis auf soziale Verträglichkeit. Vor allem bei einer Anschubfinanzierung, etwa für Sanierungen, von denen auch Investoren profitieren könnten, brauche es die Garantie, dass nicht am Ende die Mieter*innen darunter litten. »Zurzeit wissen wir nicht, wie sicher sich die Berlinerinnen und Berliner im Hinblick auf das Sondervermögen fühlen können.« In seinen Augen brauche es außerdem eine vorausschauende Kooperation mit den Bezirken. Nur, wenn die Ämter personell gut ausgestattet seien, könnten sie die beschlossenen Maßnahmen auch tatsächlich umsetzen.

Wild und Epp sitzen beide im Klimaschutzrat, der eigentlich als zivilgesellschaftliche Beratungsinstanz das Sondervermögen begleiten könnte. »Aber wir wurden nicht in den Prozess eingebunden«, so Epp. Stefan Zimmer von Klimaneustart Berlin hält das für fatal: »Woher die Expertise kommen soll, ist bisher ein bisschen offen.« Die Unterzeichner*innen fordern deshalb eine Klima-Taskforce, die Maßnahmen beurteilt und priorisiert und den Senatsverwaltungen auf die Finger schaut. Bisher sieht das Errichtungsgesetz nur einen Lenkungsausschuss vor, der sich aus den beteiligten Senatsverwaltungen zusammensetzt.

Mit der notwendigen Begleitung durch Expert*innen könnte der Senat dann die »dicken Bretter« angehen: Rekommunalisierung der Fernwärme sowie dezentrale Energieversorung, Gebäudesanierung, Verkehrswende, aber auch Klimawandel-Anpassung und den Umbau zur Schwammstadt. So wirklich optismistisch klingt Krümmel vom BUND jedoch nicht. »Wir sehen, dass der Senat offenbar seine Klimaschutzpolitik noch finden muss.«

Die Grünen schließen sich am Dienstag der Kritik an: Die Fraktionsvorsitzenden Bettina Jarasch und Werner Graf fordern ebenfalls externen Sachverstand und einen Fokus auf die Wärme- und Mobilitätswende. Dafür sollte das Abgeordnetenhaus auf Vorschlag des Senats ein Expert*innengremium wählen, das seine Einschätzungen wiederum den Abgeordneten präsentiert. »So kann das Abgeordnetenhaus letztlich fachkundig über die Maßnahmen entscheiden, welche aus dem Sondervermögen zu finanzieren sind«, schreiben Jarasch und Graf in ihrer Mitteilung.

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