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Feministischer Generalstreik: Alle für eine bessere Pflege
Im spanischen Baskenland mobilisieren Gewerkschaften zu einem feministischen Generalstreik, um die Arbeit in der Pflege zu verbessern
Die VW-Arbeiter*innen, die wir im spanisch-baskischen Pamplona zum Gespräch treffen, geben sich motiviert, was den für Ende November geplanten feministischen Generalstreik angeht. Eine gewisse Nervosität können sie allerdings auch nicht verbergen. »Immerhin ist es das erste Mal, dass Gewerkschaften zu einem derartigen Streik aufrufen«, sagt Betriebsrat Raúl Portillo. »Zumindest meines Wissens.«
Die VW-Beschäftigten sind Mitglied des zweitgrößten baskischen Gewerkschaftsverbandes LAB und haben uns in die Räumlichkeiten eines Nachbarschaftsvereins in der Altstadt eingeladen. Schon die Ortswahl vermittelt einiges über die Hintergründe des Streiks. Offiziell ist Pamplona Hauptstadt der spanischen Autonomieregion Navarra, doch in den Innenstadtgassen dominieren die Bekenntnisse zur baskischen Sprache. Und auch die politischen Kräfteverhältnisse scheinen etwas anders: Zwar hat auch hier der Massentourismus Einzug gehalten, doch politische Transparente, feministische Fahnen und die Wimpel sozialer Bewegungen stechen ins Auge.
Betriebsrätin Izaskun Alzueta rechnet durch, was an Streikbeteiligung erwartet werden darf: »Bei uns im Werk arbeiten etwa 4500 Beschäftigte, davon 15 Prozent Frauen.« Da nur drei von sechs im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zum Streik aufrufen, könne man zufrieden sein, wenn sich 500 Beschäftigte beteiligen. »Es ist schwer, die Kolleg*innen zu aktivieren, wenn es nicht um unmittelbare Belegschaftsangelegenheiten geht.«
Obwohl auch mit dieser Beteiligung ganze Bänder stillgelegt werden könnten, werde die Werksleitung größere Produktionsausfälle zu vermeiden wissen. »Die können sich ungefähr ausmalen, wer streikt«, erklärt Betriebsrätin Alzueta. »Also werden sie Kollegen aus anderen Abteilungen einsetzen.« Der Einsatz von Streikbrecher*innen ist zwar auch in Spanien illegal, doch bei Volkswagen und anderen Unternehmen übliche Praxis. »Wir könnten im Nachhinein dagegen klagen«, sagt Alzueta, »aber das nützt ja nichts für den Streik.« Und Betriebsratskollege Raúl Portillo ergänzt: »Die Mobilisierung der Gesellschaft ist bei diesem Streik wichtiger als der ökonomische Druck.«
Mit ihrem feministischen Generalstreik betreten die aufrufenden Organisationen – neben der feministischen Bewegung vor allem die Kleinbauernverbände sowie die beiden größten baskischen Gewerkschaften ELA und LAB (die etwa 60 Prozent der Betriebsräte in der Region stellen) – politisches Neuland. In den Jahren vor der Corona-Pandemie hatten feministische Protesttage zum 8. März regelmäßig Millionen Frauen in Spanien auf die Straße gebracht und die Gesellschaft weitgehend lahmgelegt.
Mit dem Aufruf zu einem Generalstreik wird im Baskenland nun versucht, einen Schritt weiterzugehen: Da die Beschäftigten des Pflegesektors selten streiken können – die Arbeitsverhältnisse sind vereinzelt, und pflegebedürftige Kranke, Alte und Kinder können nicht einfach sich selbst überlassen werden –, sollen jetzt alle Beschäftigten gemeinsam Druck für Verbesserungen im Pflege- und Fürsorgesektor erzeugen. Zentrale Forderungen des Generalstreiks sind der Ausbau eines nicht profitorientierten öffentlichen Pflegesektors, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigen sowie die 30-Stunden-Woche als Voraussetzung für die Umverteilung von Sorgearbeit.
Unter anderen Umständen ist der monatliche Podcast von Felicia Ewert. Gespräche zu politischen Ereignissen, über die sie unter anderen Umständen nicht sprechen müsste. Schonungslos intersektional: Feminismus für alle. Jeden Monat neu auf dasnd.de/umstaende
Dass man es mit einem Generalstreik versucht, finden die VW-Kolleg*innen nicht weiter verwunderlich. Generalstreiks mit politischen Forderungen sind im Baskenland keine Seltenheit: Seit 1979 gab es 25 in der Region, von denen allerdings nur wenige zu einem echten Stillstand der Industrieproduktion geführt haben. Und auch Arbeitsniederlegungen sind im Baskenland populärer als anderswo im spanischen Staat. Fast zwei Drittel der dieses Jahr im Land registrierten Streiks fanden im Baskenland statt, obwohl dort nur 6 Prozent der spanischen Bevölkerung leben.
»Das wichtigste Ziel ist die Entkommerzialisierung der Pflege-, Gesundheits- und Sorgeinfrastrukturen«, erläutert Alzueta. »In der Corona-Pandemie haben wir ja gesehen, wie katastrophal die Versorgung der Alten in Pflegeheimen und Krankenhäusern war.« Bei der Mobilisierung wollen die Gewerkschafter*innen deshalb die persönliche Betroffenheit in den Mittelpunkt stellen. »Jeder von uns braucht irgendwann im Leben Pflege, jeder muss sich irgendwann um kranke Eltern oder Kinder kümmern«, sagt Betriebsrat Portillo. »Deswegen ist das genauso ein gemeinsames gewerkschaftliches Anliegen wie etwa die Anhebung des Mindestlohns.«
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Im Mercedes-Werk im 100 Kilometer entfernten Gasteiz/Vitoria, wo der deutsche Automobilkonzern Transporter herstellen lässt, sehen die Kollegen das ähnlich. Hier sind von der Aktivengruppe der Gewerkschaft LAB nur Männer zum Interview erschienen, doch auch sie sprechen recht selbstbewusst von einem »feministischen Streik«. Alberto Txasko, seit 1996 bei Mercedes beschäftigt, macht sich Gedanken um die richtige Ansprache der Kolleg*innen: »Streikmobilisierung ist immer schwierig, wenn es nicht um Tarifforderungen geht. Aber dass wir im Leben alle irgendwann Pflege brauchen, sollte jeder verstehen können.«
Ibai Intxaurrondo, hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, hebt noch einen zweiten Aspekt hervor: »Im Pflegesektor arbeiten vor allem Migrantinnen unter oft katastrophalen Bedingungen. Es sind Frauen, die wegen ihres Aufenthaltsstatus auf dem geregelten Arbeitsmarkt keine Chance haben. Der Streik ist eine Form, um Solidarität mit ihnen zu zeigen.«
Insgesamt ist die Ausgangslage für die Gewerkschafter*innen bei Mercedes etwas besser als bei VW in Pamplona. Nach einem mehrmonatigen Arbeitskampf 2022 gegen die Verlängerung der Nachtschichten auf einen Sechs-Tage-Turnus haben die baskischen Gewerkschaften ELA, LAB und ESK, die deutlich weniger sozialpartnerschaftlich orientiert sind als ihre spanischen Pendants UGT und Comisiones Obreras, bei den Wahlen deutlich zugelegt. Zusammen stellen sie nun 18 von 29 Delegierten im Betriebsrat.
Auf die Frage, ob die Existenz miteinander konkurrierender politischer Richtungsgewerkschaften die Lage nicht deutlich erschwere, antworten die Kollegen abwägend. Einerseits erschwere die Konkurrenz unter den Gewerkschaften natürlich ein geschlossenes Vorgehen von Belegschaften, andererseits jedoch ermögliche sie den Beschäftigten eine bewusste Wahl, welche Art von Gewerkschaftsarbeit sie sich im Betrieb wünschen: konfliktbereiter oder sozialpartnerschaftlicher.
Im Fall des geplanten Generalstreiks würden sich die unterschiedlichen Herangehensweisen auf jeden Fall deutlich zeigen: »Die sozialdemokratische UGT traut sich natürlich nicht, die Forderung nach einem gemeinwohlorientierten öffentlichen Pflegesektor abzulehnen«, erklärt Mercedes-Arbeiter Txasko. »Sie verhält sich deshalb so, als wisse sie von nichts. Comisiones Obreras dagegen haben den Forderungskatalog unterschrieben, aber rufen nicht zum Streik auf.«
Die Konflikte zwischen den Gewerkschaften sollten beim Generalstreik aber nicht weiter thematisiert werden, ergänzt der hauptamtliche Gewerkschafter Intxaurrondo, der deutlich jünger ist als die versammelten Mercedes-Kollegen. »Bei diesem Streik trifft die feministische Bewegung alle wichtigen Entscheidungen. Es war eine ihrer zentralen Forderungen, dass sich die Gewerkschaften nicht in den Vordergrund spielen. Und daran sollten wir uns auch halten.«
Ein Großteil der Streikaktionen werde deshalb, ähnlich wie bei den Protesttagen am 8. März, außerhalb der Betriebe und im öffentlichen Raum stattfinden. »Wahrscheinlich werden zum Beispiel Supermärkte und Geschäfte blockiert«, erläutert Betriebsrat Txasko. »Es geht um eine politische Mobilisierung, die Druck auf die Regierung ausübt.« Und trotzdem sei ein Industriestreik natürlich mehr als nur Symbolik.
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Für Zuzene Erro, Mutter von drei schulpflichtigen Kindern, stellt der Generalstreik noch einmal eine ganz andere Herausforderung dar. Erro lebt auf dem Land – in der ziemlich genau in der Mitte zwischen Pamplona und Gasteiz gelegenen 7000-Seelen-Gemeinde Altsasu. Hinter der Ortschaft erheben sich malerische Bergmassive, die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt.
Erro arbeitet seit 20 Jahren bei einem Automobilzulieferer mit etwa 100 Beschäftigten und ist dort ebenfalls Betriebsrätin. »Im September hatten wir ein landesweites Treffen mit 250 gewerkschaftlichen Vertrauensleuten, alles Frauen aus Betrieben. Die Stimmung war motivierend – und sehr emotional«, erzählt die junge Baskin. »Aber jetzt habe ich schon ein bisschen Höhenangst.« Sie lächelt. »Bei uns im Betrieb kennen wir uns alle. Ich weiß, wer sich am Streik beteiligen könnte, und wir haben auch eine linke Betriebsratsmehrheit ... Aber trotzdem würden nur wenige Kolleg*innen kommen, wenn wir eine Vollversammlung ansetzen. Die wäre nämlich außerhalb der Arbeitszeit.«
Erro setzt darauf, sich in den nächsten Tagen mit allen infrage kommenden Kolleg*innen zum Kaffeetrinken zu verabreden. »Das Thema Pflege ist in der Betriebsratsarbeit auch immer wieder präsent – wenn über Freistellungen gesprochen wird, zum Beispiel.« Der Tarifvertrag erlaubt nämlich die Reduktion der Wochenarbeitszeit, wenn Angehörige gepflegt werden müssen. Doch weil der Arbeitgeber die Arbeitszeitverkürzung individuell genehmigen muss, kommt es regelmäßig zu Konflikten.
Auch für Erro steht der Solidaritätsgedanke beim Generalstreik sehr weit oben. »In den baskischen Altersheimen gibt es seit Jahren eine Welle von Arbeitskämpfen, weil die Pflegebedingungen so schlecht sind. Die Arbeitgeber, darunter viele internationale Konzerne, sitzen diese Kämpfe in der Regel einfach aus, weil die Frauen nur begrenzt streiken können.«
Selbstverständlich würden manche Kollegen abwehrend reagieren, wenn von Feminismus die Rede ist. »Die spanische Rechte versucht Machismus und Feminismus gleichzusetzen«, erläutert die Gewerkschafterin. »Andererseits wird der Streik gesellschaftlich breit getragen.« So ruft etwa auch die Rentner-Bewegung zum Generalstreik auf, die seit Jahren wöchentlich für eine Mindestrente von 1080 Euro demonstriert.
Dass die baskische Linke im ländlichen Raum stärker ist als in den großen Städten, kommt Erro natürlich entgegen. Zumindest die politisch Interessierten in der Gemeinde würden verstehen, warum Gewerkschaften, Feminismus und soziale Bewegungen an einem Strang ziehen müssen. Erros Mann, ebenfalls Fabrikarbeiter und Betriebsrat in einem Presswerk, ist jedenfalls Feuer und Flamme: »Ein feministischer Generalstreik für das kollektive Recht auf Pflege und Fürsorge – ich finde das toll! Ist so etwas irgendwo schon einmal probiert worden?«
Michael Knopp ist Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall. Raul Zelik ist freier Autor.
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