Uferloser Plastikmüll

Neue Studien kritisieren die ungleiche Lastenverteilung durch umweltschädliche Kunststoffe

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

Ab Montag tagt in Kenias Hauptstadt Nairobi der Verhandlungsausschuss der Vereinten Nationen über die globale Plastikverschmutzung. Ziel der mittlerweile dritten Zusammenkunft ist es, bis 2024 ein rechtsverbindliches internationales Abkommen zur Bekämpfung des umweltschädlichen Kunststoffmülls zu schließen. Dabei werden den teilnehmenden Regierungsvertreter*innen zwei aktuelle Veröffentlichungen zum Thema Plastik vorliegen. Die beiden Naturschutzorganisationen Greenpeace und World Wide Fund for Nature (WWF) haben diese Woche Berichte zur weltweiten Plastikverschmutzung vorgelegt.

Während Greenpeace in der Studie vor der drohenden Vergünstigung von europäischen Plastikexporten nach Lateinamerika warnt, kritisiert der WWF die ungleiche Lastenverteilung durch die Umweltverschmutzung. »Das derzeitige Plastiksystem wälzt den Großteil der Kosten auf diejenigen ab, die am wenigsten in der Lage sind, die Last zu bewältigen, ohne diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die die Produkte überhaupt erst herstellen und verwenden«, bemängelt Alice Ruhweza vom WWF.

In ihrer Studie analysiert die Umweltschutzorganisation die strukturellen Ungleichheiten in der Plastik-Wertschöpfungskette, von der Gewinnung der Rohstoffe über die Produktion, die Verwendung, die Entsorgung bis hin zur Umweltverschmutzung durch Plastikmüll. Aufgeschlüsselt werden dabei auch die sogenannten wahren Kosten dieser Wertschöpfungskette und wer sie hauptsächlich zu tragen hat. Als wahre Kosten bezeichnet man die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten, ohne dass sich diese Folgen unmittelbar in Preisen niederschlagen, wie die Heinrich-Böll-Stiftung erklärt. Es handelt sich demnach um Schäden, die vom Verursacher, etwa den Produzenten von Plastik, nicht berücksichtigt werden.

Der WWF-Bericht zeigt, dass die Kosten der Plastikverschmutzung in ärmeren Ländern weit höher sind als in reichen Ländern. »In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen liegen die wahren Kosten von Plastik acht- bis zehnmal höher, obwohl dort pro Kopf fast dreimal weniger Plastik verbraucht wird als in Ländern mit hohem Einkommen«, heißt es in der Veröffentlichung. Die Länderfallbeispiele Brasilien, Kenia, Indonesien geben dabei einen konkreten Einblick in die Situation vor Ort und bieten Vorschläge für gerechtere Lösungsansätze.

»Ein starkes UN-Abkommen mit verbindlichen, harmonisierten Regeln für Produktion und Verbrauch kann ein gerechteres System schaffen und ärmere Länder im Kampf gegen Plastikmüll stärken«, unterstreicht etwa Laura Griestop, Expertin für Plastik und Verpackungen beim WWF Deutschland.

Doch dieser Kampf hat einen schweren Stand, wie auch die aktuelle Greenpeace-Studie zeigt, die sich mit dem momentan zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten verhandelten Abkommen befasst. Der internationale Zusammenschluss Mercosur bildet einen Binnenmarkt der wirtschaftlich größten Länder Lateinamerikas, darunter Brasilien, Venezuela, Argentinien und Uruguay. Greenpeace zufolge würde das Abkommen zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken den Handel mit Einwegkunststoffen steigern und stehe damit in krassem Gegensatz zu den laufenden Verhandlungen über ein globales Plastikabkommen, das die Plastikproduktion gerade deutlich reduzieren und die Müllverschmutzung beenden soll.

Zudem würde das Abkommen mit den Mercosur-Staaten der EU-Gesetzgebung widersprechen, die darauf abzielt, den Plastikverbrauch zu reduzieren und Plastikmüll zu vermeiden, kritisiert Greenpeace. So zeigt die Studie der Umweltschutzorganisation, dass das geplante Freihandelsabkommen die Zölle auf Kunststoffexporte aus der EU nach Südamerika beseitigen würde. Und auch Zölle auf Kunststoffartikel, deren Handel und Verwendung innerhalb der EU untersagt sind, würden abgeschafft.

Das betrifft etwa Plastik-Einwegbesteck, das seit 2021 EU-weit verboten ist, aber mit einem Zollaufschlag von bis zu 18 Prozent in die Mercosur-Länder weiterhin verkauft wird. Die würden laut Greenpeace im Rahmen des Freihandelsabkommens schrittweise wegfallen. Plastikbesteck, das vorwiegend zum einmaligen Gebrauch bestimmt ist, gehöre zu den am häufigsten in der Umwelt vorkommenden Plastikverschmutzungen.

Und auch die Zölle für Lebensmittel- und Getränkebehälter aus Polystyrol würden mit dem Abkommen abgeschafft. Die sind ebenfalls seit 2021 in der EU verboten, können mit einem Einfuhrzoll in die Mercosur-Länder jedoch weiterhin verkauft werden. Ähnlich verhält es sich mit PVC, dessen Verbot die EU derzeit erwägt. In beiden Fällen gilt noch ein Einfuhrzoll von bis zu 14 Prozent.

Laut einer Greenpeace-Analyse der UN Datenbank Comtrade stammten im Jahr 2022 knapp über 20 Prozent aller Plastik-Importe der Mercosur-Staaten aus der EU. Danach ist Deutschland der drittgrößte Exporteur der umweltschädlichen Kunststoffe in die lateinamerikanischen Länder, hinter den USA und China. Es sei deshalb heuchlerisch, auf internationalen Konferenzen Reden über die gute europäische Umweltpolitik zu schwingen, wenn gleichzeitig ein Handelsvertrag vorangetrieben werde, der die negativen Folgen der europäischen Wirtschaft auf die Umwelt und die Gesundheit in andere Länder verlagere, kritisiert die internationale Umweltorganisation.

Denn auch wenn es derzeit noch schwierig sei abzuschätzen, wie stark sich die Abschaffung der Zölle auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit auswirken würde, sicher ist, dass sie »neue Anreize für die Kunststoff- und petrochemische Industrie in Europa bieten würde, weiterhin umweltschädliche Kunststoffe für den Export in Drittländer zu produzieren.«

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