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9. November: Was heißt »Nie wieder«?
Eine Nachbetrachtung der Gedenkveranstaltungen zum 9. November
85 Jahre nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 ist offenes jüdisches Leben in Deutschland wieder massiv in Gefahr. In den vergangenen Wochen wurden Synagogen und jüdische Friedhöfe angegriffen, Häuser mit Davidsternen markiert und Poster mit den Namen und Gesichtern der nach Gaza verschleppten Geiseln abgerissen und beschmiert. Jüd*innen vermeiden es, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen und Orte jüdischen Lebens aufzusuchen.
Das Versprechen »Nie wieder!«, das alljährlich am 9. November erneuert wird, galt nie absolut. Das offizielle Gedenken war eher eine Pflichtveranstaltung für den guten Ruf im Ausland als eine tatsächliche Auseinandersetzung mit antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Tendenzen.
Diesmal hat der Jahrestag der Reichspogromnacht eine besondere Bedeutung. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel, bei dem 1400 Menschen ermordet wurden, war erst gut einen Monat her. 240 Geiseln hat die Hamas seitdem in ihrer Gewalt, darunter auch Kleinkinder. Israel wird weiterhin täglich mit Raketen beschossen, wegen der andauernden Gefahr mussten bislang über 250 000 Israelis ihr Zuhause verlassen.
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Raketen auf Israel? In der Berichterstattung spielt das kaum eine Rolle; das Interesse hat sich auf den Krieg im Gazastreifen und die dortigen Opfer verlagert. Viel zu häufig wird Israel dabei als Aggressor dargestellt. Die Zäsur, die das Pogrom des 7. Oktober bedeutet, scheint bereits in den Hintergrund zu gleiten. An keinem anderen Tag seit der Shoah wurden so viele jüdische Menschen ermordet. Das Land, das Jüd*innen Zuflucht vor Pogromen und Angriffen verspricht, fühlt sich nicht mehr sicher an. Israels Recht auf Selbstverteidigung wird angezweifelt und relativiert.
Und auch das Gedenken an die von Nazis und Mitläufer*innen ermordeten Jüd*innen des 9. November und der Shoah wird gestört und instrumentalisiert. Anschläge auf Gedenkstätten, beschmierte Stolpersteine, abgerissene Mobilisierungsplakate für Veranstaltungen, sogar ein Angriff in Berlin-Kreuzberg auf Leute, die diese plakatierten. Bei den Kundgebungen und Demonstrationen zum Gedenktag kam es zu Störungen, Eierwürfen auf die antifaschistische Demonstration durch Moabit, begleitet von »Free Palestine«-Rufen, ein Steinwurf aus einem Haus traf eine Person in der Demonstration an der Schulter.
Zudem musste man aufpassen, dass man sich nicht auf Gedenkveranstaltungen mit Leuten wiederfand, die mit der antisemitischen und mittlerweile verbotenen Samidoun zusammenarbeiten und den palästinensischen Befreiungskampf als legitim bezeichnen, ohne ein Wort des Bedauerns für die Opfer der Hamas zu finden. Die Rede ist von der »Young Struggle«-Kundgebung auf der Sonnenallee. Wenn solche Leute Stolpersteine putzen, ist das eine Farce.
Harmlos ist es hingegen nicht, sondern der Versuch, sich gegen Antisemitismusvorwürfe zu immunisieren. Israel wird in der Ideologie dieser Gruppen zum Täter, der selbst für den zunehmenden Antisemitismus verantwortlich ist; die Bevölkerung von Palästina und die mit Demonstrationsverboten belegte Palästina-Solidarität werden zu den wahren Opfern einer neuen faschistischen Gefahr, gegen die sich das am 9. November so zentrale »Nie wieder!« richtet.
»Nie wieder!« sollte dagegen heißen, solche Gruppen aus linken Bündnissen und Strukturen zu drängen.
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