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Studie nach Corona-Pandemie: »Impfen wurde etwas Politisches«
Laut neuer Studien beeinflusst die Impf-Identifikation die Erinnerung
Erinnerungen sind eine komplizierte Sache. Angehende Historiker lernen das früh im Studium und sind deshalb ausgesprochen kritisch gegenüber allem, was Menschen ihnen aus dem Gedächtnis erzählen. Das betrifft auch die Corona-Panedemie, die ab dem Frühjahr 2020 Menschen überall auf der Welt fast drei Jahre lang massiv einschränkte. Mehrere aktuelle Studien von Wissenschaftlern der Universitäten Bamberg, Chicago, Erfurt und Wien können nachzeichnen, dass bei vielen Menschen die Erinnerung an diese Pandemie-Zeit erheblich verzerrt ist. Und die Wissenschaftler prognostizieren, dass diese Pandemie das Zusammenleben in Deutschland noch sehr lange prägen wird.
Für ihre Studien haben die Hochschulen über 10 000 aus insgesamt 10 Ländern befragt. Im Kern haben die Forschenden dabei zu den Erinnerungen an die Sars-CoV-2-Pandemie herausgefunden: »Je nachdem, wie sehr sich Geimpfte beziehungsweise Ungeimpfte mit ihrem Impfstatus identifizieren, sind die Erinnerungen in unterschiedliche Richtungen verzerrt.« So steht es in einer gemeinsamen Mitteilung der vier Universitäten zu den Forschungsergebnissen, die vor wenigen Tagen auch im renommierten Forschungsmagazin »nature« veröffentlicht worden sind. Besonders bemerkenswert dabei: Egal, ob jemand geimpft oder ungeimpft ist, der entsprechende Effekt tritt immer dann auf, wenn der eigene Impfstatus nicht nur als medizinisches Merkmal wahrgenommen wird.
Die Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch, die für die Universität Erfurt an den Studien beteiligt war, hatte Zeitungen erst vor Kurzem gesagt, in der Pandemie habe es »eine extreme Politisierung von Gesundheitsverhalten« gegeben. Vor der Pandemie sei Impfen insbesondere im Osten etwas gewesen, worüber sich die allermeisten Menschen keine Gedanken gemacht hätten. »Dann hat sich das völlig gedreht«, sagt Betsch, und folgert: »Impfen wurde etwas Politisches«.
Laut den Studien tendieren Ungeimpfte, die sich stark über ihren Impfstatus definieren, nun dazu, die Ängste herunterzuspielen, die sie am Beginn der Corona-Pandemie sehr wohl empfunden hatten. Bei Geimpften, die stolz darauf sind, gegen Covid-19 immunisiert zu sein, ist es genau anders herum, wenngleich in einem ähnlich starken Ausmaß. Sie hätten die Gefahren, die ihnen und der Gesellschaft durch Sars-CoV-2 drohen, damals deutlich stärker empfunden, als sie das tatsächlich waren.
Beide Gruppen versuchen also, ihre damals getroffenen Entscheiden gegen oder für eine Corona-Impfung nachträglich dadurch zu legitimieren, dass sie ihre Erinnerungen an die Vergangenheit anpassen. Ausweislich ihrer früheren Einschätzungen waren aber beide Gruppen in der Vergangenheit zumindest am Anfang der Pandemie ähnlich stark besorgt.
Um diesen Effekt zu messen, haben die Forscher den Angaben nach ein relativ simples Studiendesign verwendet. Sie befragten um den Jahreswechsel 2022/23 herum Menschen zu ihren Einschätzung zur Pandemie, die schon 2020 dazu befragt worden waren. Nun sollten sie Auskunft geben, wie sie sich an ihre Wahrnehmungen und Verhaltensweisen im ersten Jahr der Pandemie erinnern. Im Ergebnis zeigte sich dann, dass diejenigen, die sich stark über ihren Impfstatus definierten, sich besonders falsch an die Antworten erinnerten, die sie selbst etwa drei Jahre zuvor gegeben hatten.
Dass diese Verzerrung der Erinnerung in beiden Gruppen damit zusammenhängen könnte, dass die entsprechenden Menschen schlicht und ergreifend vergessen haben könnten, wie sie sich im ersten Jahr der Pandemie fühlten, halten die Forscher in diesem Zusammenhang für zumindest für einen Teil von ihnen für nicht plausibel. Denn, so heißt es in der Mitteilung der Universitäten, wenn Studienteilnehmern Geld für »für besonders akkurate Erinnerungen« an ihre eigenen Angaben aus der Vergangenheit geboten wurde, seien Erinnerung messbar korrekter. Die Verzerrung der Erinnerung sei also aus einer bestimmten Motivation heraus geschehen und könne »nicht allein durch bloßes Vergessen erklärt werden«, steht in der Mitteilung der Hochschulen.
Ebenfalls wenig überraschend haben diese verzerrten Erinnerungen Auswirkungen sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Zukunft. Und zwar sowohl für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland, als auch dafür, wie das Land auf eine weitere mögliche Pandemie vorbereitet ist oder wäre.
Für das Miteinander in Deutschland ist es ein Problem, dass die zumindest teilweise bewusst veränderte Sicht dazu führt, dass die durch Corona katalysierte Spaltung der Gesellschaft weiter fortgeschrieben wird. Die verzerrte Erinnerung führe zu einer polarisierten Wahrnehmung der Vergangenheit, die das Potenzial habe, die aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Polarisierung aufrechtzuerhalten. So formuliert es der Wirtschaftswissenschaftler Luca Henkel, der zurzeit an der University of Chicago forscht und ebenfalls an den Studien mitgearbeitet hat. Zudem behindere diese Polarisierung die Vorbereitung Deutschlands auf kommende Krisen.
Konkret bedeutet das den Studien zufolge zum Beispiel: Ungeimpfte, die sich heute einreden, sie hätten schon immer gewusst, dass Covid-19 »nur eine Grippe« sei, wären nur in einem geringen Maße bereit, beim Auftreten einer weiteren Pandemie staatlichen verordneten Schutzmaßnahmen zu folgen. Der Studie zufolge sei bei diesen Befragten auch der starke Wunsch zu finden, Politiker und Wissenschaftler für ihr Handeln in der Pandemie zu bestrafen und die gesamte politische Ordnung zu zerschlagen. Auch im internationalen Vergleich ist deshalb die Zahl derer in Deutschland ziemlich gering, die heute sagen, sie würden die im Falle einer neuen Pandemie Vorschriften einhalten.
Von den in den Studien befragten Deutschen gaben nur etwa zwei Drittel an, sie würden sich solchen Maßnahmen unterordnen. Ähnlich gering war die Vergleichszahl unter den US-Amerikanern, in deren Heimatland seit Jahren ein Kulturkrieg tobt, der durch die Corona-Pandemie massiv befeuert worden ist. Unter den befragten Menschen aus Großbritannien, Italien und Spanien dagegen würden – Stand heute – jeweils etwa drei Viertel von ihnen Pandemie-Schutzmaßnahmen folgen. Für Südkorea lag der Vergleichswert bei fast 80 Prozent.
Weitere Studien sollen nun untersuchen, wie sich die Verzerrung von Erinnerungen und die gesellschaftliche Polarisierung im Laufe gegenseitig beeinflussen und wie diese Dynamik in verschiedenen Ländern variiert. Dabei sollen auch andere Krisen wie etwa die Klimakrise in den Blick genommen werden.
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