Chaotische Zustände in den Kliniken des Gazastreifens

Heftige Kämpfe rund um größtes Krankenhaus im Gazastreifen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Krankenhäuser im Norden des Gazastreifens können Verletzte nicht mehr versorgen. Wegen der schweren Gefechte zwischen der israelischen Armee und Hamas-Kämpfern herrschen dort chaotische Zustände. Sollten die Kämpfe nicht gestoppt oder zumindest die Patienten evakuiert werden, »werden diese Krankenhäuser zu Leichenhallen«, sagte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Sonntag. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) sind 20 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen »nicht mehr funktionsfähig«. Die Lage in der Al-Schifa-Klinik, dem größten Krankenhaus, sei »katastrophal«, erklärte Ärzte ohne Grenzen.

Ein Chirurg, der für Ärzte ohne Grenzen im Al-Schifa-Krankenhaus arbeitet, berichtete über den Tod zweier Frühgeborener aufgrund von Stromausfällen. Auch ein erwachsener Patient sei wegen des Ausfalls seines Beatmungsgeräts gestorben. Es gebe kein Wasser, keinen Strom und keine Lebensmittel für die Patienten, unter ihnen dutzende Babys. Auf dem Krankenhausgelände suchten außerdem zahlreiche Zivilisten Zuflucht.

Das Krankenhaus sei »vollkommen umzingelt« und es gebe Bombardements in der Nähe, erklärte der Direktor des Krankenhauses, Mohammad Abu Salmija. Das medizinische Team könne nicht arbeiten und dutzende Leichen könnten nicht fortgeschafft und beerdigt werden. Zeugen in dem Krankenhaus berichteten der Nachrichtenagentur AFP am Telefon, es gebe ununterbrochen Schüsse, Luftangriffe und Artilleriefeuer in der Nähe des Krankenhauskomplexes.

Die israelische Armee dementierte Angriffe auf das Krankenhaus. »In den vergangenen Stunden wurden Falschinformationen verbreitet, wir würden das Al-Schifa-Krankenhaus umzingeln und angreifen. Dies sind falsche Berichte«, sagte Armeesprecher Daniel Hagari am Samstagabend.

Der Armeesprecher betonte, es gebe weiterhin »eine festgelegte Passage, um das Krankenhaus zu betreten oder zu verlassen«. Die Armee werde zudem die Evakuierung von Säuglingen aus der Klinik unterstützen. Ein weiteres Krankenhaus, die Rantisi-Kinderklinik, sei bereits »evakuiert« worden, nachdem »ein Terrorist« der dort tausend Menschen festgehalten habe, ausgeschaltet worden sei, sagte Hagari.

Israel wirft der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas immer wieder vor, Krankenhäuser als Verstecke und Kommandozentralen zu nutzen und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, was die Hamas bestreitet. Israel vermutet unter dem Al-Schifa-Krankenhaus eine Kommandozentrale der Hamas.

Nach israelischer Darstellung hat die Hamas die Kontrolle über den Norden des Küstenstreifens verloren. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, Hamas-Kämpfer hätten »keinen sicheren Ort mehr, um sich zu verstecken«. Auch das Militär hatte zuvor mitgeteilt, die Hamas kontrolliere den Norden nicht mehr.

Unterdessen mehren sich Anzeichen für eine schleichende Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen, zumindest aus dem nördlichen Teil. So hat Israels Landwirtschaftsminister Avi Dichter die Massenevakuation von Palästinensern aufgrund der israelischen Angriffe und der Landinvasion als »Gazas Nakba 2023« bezeichnet. Damit bezog er sich auf die Vertreibung der Palästinenser während und nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg von 1948.

Dichter legte seine Sicht im israelischen TV-Sender N12 dar, wie die Nachrichtenwebseite Middle East Monitor und die Tageszeitung Haaretz übereinstimmend berichten. Auf die Frage, ob die Flucht der Menschen vor israelischen Bombardements ein Ziel des Krieges oder nur vorübergehend sei, bezeichnete Dichter die Situation am Samstag als »Nakba des Gazastreifens« und wollte sich nicht dazu äußern, ob die Menschen jemals zurückkehren dürften.

Der Landwirtschaftsminister argumentierte, dass die israelische Armee nur schwerlich in dem dicht besiedelten Gebiet inmitten all der Zivilisten gegen die Hamas vorgehen könne. Mit anderen Worten: Diese behinderten die Kampfhandlungen und sollten deshalb den nördlichen Gazastreifen räumen. Wie ernst man diese Aussagen nehmen muss und ob sie durch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gedeckt sind, ist schwer einzuschätzen. Avi Dichter ist zwar ein Mitglied des Sicherheitskabinetts und ehemaliger Direktor des Inlandsgeheimdiensts Shin Bet, aber als Landwirtschaftsminister dürfte ihm in dieser Frage keine direkte Kompetenz zukommen.

Die Arabische Liga und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) forderten bei einem Treffen am Samstag in Riad ein Ende der »brutalen Aggression« Israels im Gazastreifen. Sie betonten in einer gemeinsamen Erklärung, das israelische Vorgehen im Gazastreifen könne nicht als Selbstverteidigung bezeichnet »oder unter irgendeinem Vorwand gerechtfertigt« werden.

Außenministerin Annalena Baerbock tourt in Friedensmission erneut durch den Nahen Osten. Diesmal schaute sie auch bei der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah im Westjordanland vorbei und sagte weitere 38 Millionen Euro humanitärer Hilfen für die Palästinensergebiete zu. Für den Gazastreifen forderte Baerbock, die »humanitären Pausen« der Kämpfe auszubauen, damit Wasser, Medikamente und Lebensmittel die Menschen erreichen könnten. Mit Agenturen

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