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Katalonien: »Ohne Fortschritt gibt es keine Unterstützung«
Der katalanische Unabhängigkeitspolitiker Josep Rius erklärt, warum seine Partei Pedro Sánchez ins Amt des Premiers verhilft
Josep Rius ist Vizepräsident und Sprecher von »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat). »nd« sprach mit dem Anwalt und Parlamentarier im katalanischen Parlament über das Abkommen zur Amtseinführung des Sozialdemokraten Pedro Sánchez heute, das auch ein Amnestiegesetz umfasst.
Wie bewerten Sie das Abkommen mit den spanischen Sozialdemokraten (PSOE)?
Es ist ein wichtiges Abkommen, das einen Wendepunkt im politischen Konflikt zwischen Katalonien und Spanien markiert. Sind wir vollkommen zufrieden? Nein! Aber es benennt sehr klar die Ursachen des Konflikts, der 300 Jahre zurückreicht, und es schließt die nationale Anerkennung Kataloniens ein. Wir mussten keine der Forderungen aufgeben, die Präsident Carles Puigdemont im September in Brüssel aufgestellt hatte. Er hatte die Elemente definiert, um Verhandlungen zu beginnen, und sie finden sich im Abkommen: nationale Anerkennung, internationale Vermittlung und ein Amnestiegesetz. Es kann sich nun eine Tür öffnen, um den Konflikt zu lösen.
Viele hatten es so verstanden, dass die Forderungen, darunter ein neues Unabhängigkeitsreferendum, Vorbedingen für Verhandlungen über die Regierungsbildung waren. Jetzt sollen Verhandlungen erst danach beginnen?
Sie haben Recht, aber es gab zwei Phasen. Zunächst die Bildung des Parlamentspräsidiums, wo wir sofort erreicht haben, dass Katalanisch im Parlament gesprochen werden kann. Die Zeit ist vorbei, in der Sánchez gratis unterstützt wird, wie bisher von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). In der zweiten Phase wurden Bedingungen für Verhandlungen geschaffen, das Amnestiegesetz wurde ins Parlament eingebracht. Auch die Ursachen des Konflikts werden wie die Tatsache anerkannt, dass eine große Mehrheit der Katalanen über ihre Unabhängigkeit abstimmen will. Das rückt nun auf die Tagesordnung. Deshalb werden wir die Amtseinführung ermöglichen. Das ist zunächst alles. Danach beginnen reale Verhandlungen. Im Abkommen wurde anerkannt, dass das in den vergangenen vier Jahren im Dialog mit der ERC nicht funktionierte. Sánchez hat das nur genutzt, um in Europa mit einem Lösungsweg hausieren zu gehen, den es nicht gab. Der Konflikt besteht weiter und muss gelöst werden. Er muss von der juristischen auf die politische Ebene kommen, die nie hätte verlassen werden dürfen.
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Das ehemalige Mitglied der Puigdemont-Regierung Clara Ponsatí, die wie Puigdemont im Exil ist und für JxCat im Europaparlament sitzt, spricht von »Demütigung«. Die große zivilgesellschaftliche Organisation ANC meint, das sei kein »Abkommen, sondern eine Kapitulation«. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?
Mit Respekt vor diesen Meinungen glaube ich, dass dahinter eher wahltaktisches Interesse steht.
Dass sich der ANC mit einer eigenen Liste bei den kommenden Wahlen in Katalonien präsentiert?
Diese Möglichkeit wird der ANC nicht negieren. Natürlich können alle ihre Zustimmung oder Ablehnung äußern. Innerhalb von JxCat haben aber 67 Prozent aller Mitglieder abgestimmt, also mit hoher Beteiligung. Davon haben 86 Prozent das Abkommen ratifiziert.
Wie können acht Parteien, die nun für die Amtseinführung stimmen, später zusammenarbeiten, wenn die ERC mit JxCat nicht einmal eine Koalitionsregierung in Katalonien zusammenhalten konnte?
Das sollten Sie Sánchez fragen. Er hat die Verantwortung dafür. Aber es ist klar, dass sich hier etwas verändert hat. Früher regierten Parteien wie die PSOE mit absoluter Mehrheit. Wie im Rest Europas müssen auch hier nun Bündnisse geschmiedet werden. Das ist gut so. Wir hinken nach 40 Jahren Diktatur den Entwicklungen hinterher. Aber auch hier ist nun klar, dass man Abkommen schließen muss.
Was wurde sonst noch vereinbart? Wie stehen Sie zu Punkten anderer Bündnispartner, die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnkürzung, ein Wohnungsgesetz oder die Reform der Unternehmenssteuer vereinbart haben?
Diese Fragen sind unter anderem die Ursache dafür, dass es in Katalonien Unabhängigkeitsparteien gibt. Das gilt für ökonomische, soziale oder kulturelle Fragen. Es ist bekannt, dass wir im vergangenen Jahr ein Defizit von mehr als 20 Milliarden Euro hatten. Anders als im Länderfinanzausgleich in Deutschland gibt es hier keine Grenze nach oben. Bisher hörten wir stets bei Änderungsversuchen: Nein! Wir haben in Katalonien diverse Gesetze zu sozialen oder ökologischen Problemen verabschiedet – zum Schutz vor hohen Mieten, zu Energiearmut, Geschlechtergleichstellung oder Klimaschutz. Sie wurden vom Verfassungsgericht kassiert, da Katalonien derlei nicht beschließen dürfe. Wir haben eine Rezentralisierung erlebt. Doch nun haben wir diese Fragen wieder auf die Tagesordnung gesetzt, genauso wie marode Infrastruktur. Das Chaos im Schienennetz ist bekannt, da lange nicht investiert wurde.
Wo verlaufen rote Linien? An welchem Punkt hört JxCat auf, Sánchez zu unterstützen?
Wenn es keinen Fortschritt gibt, ist Schluss. Rote Linien bestimmen nicht wir, sondern die PSOE. Wir haben alles auf den Tisch gelegt und wollen Fortschritte. Klar werden nicht alle Fragen in der ersten Verhandlungsrunde gelöst, aber es sind klare Ziele und Phasen definiert. Wenn wir Fortschritt sehen, geht es mit der Legislatur weiter. Ohne Fortschritt gibt es keine Unterstützung für den Haushalt oder andere wichtige Gesetze.
Welche Mechanismen sind vorgesehen, damit Zusagen auch eingehalten werden?
Die ERC hat die Regierung bisher gratis unterstützt. Sánchez hat das auch gesagt. »Danke für die Unterstützung ohne Gegenleistung«, sagte er zur ERC im Parlament. Deshalb haben wir die internationale Vermittlung und Überprüfung durchgesetzt. Vermittler führen Protokoll über die Sitzungen und bezeugen, was beschlossen wurde. Danach wird die Umsetzung geprüft.
Wie bewerten Sie, dass die Rechte Sturm gegen das Abkommen läuft?
Die Proteste der vergangenen Tage, zu denen die rechte Volkspartei (PP) und die ultrarechte Vox aufrufen, sind sehr bedenklich. In Deutschland würde die Staatsanwaltschaft ermitteln, wenn Symbole der Diktatur und Hitlergrüße gezeigt würden und es zu Krawall käme. Das ist Politik im Trump-Stil. Angesichts dieses antidemokratischen Kurses sollten christdemokratische Parteien in Europa auf Distanz zur PP gehen. Amnestiegesetze gab es in diversen Ländern, auch in Spanien, wo sogar die Verbrechen der Diktatur genauso amnestiert wurden wie Steuerhinterziehung.
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