- Wirtschaft und Umwelt
- Klimapolitik
»Ökologisches Grundgesetz«: Juristische Blütenträume
Der Jurist Jens Kersten plädiert für ein ökologisches Grundgesetz im Kampf gegen den Klimawandel – und offenbart damit bürgerliche Ideologie
Das Jahr 2023 war das heißeste seit 125 000 Jahren. Die Folgen des Klimawandels sind mittlerweile unverwechselbar zu spüren, sogar ohne die weltweit zahlreichen Dürren, Waldbrände oder Überschwemmungen zu bemühen. Nur heiße Luft zu diesem Thema kommt leider von Jens Kersten, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Autor des Buches »Das ökologische Grundgesetz. Plädoyer für eine ökologische Transformation«.
Bereits 2022 legte der Jurist den kommentierten Entwurf eines geänderten Grundgesetzes vor, in dem er weite Teile um die Zusätze »ökologisch«, »Natur« und »Umwelt« ergänzt: Beginnend bei der Präambel des Grundgesetzes (»Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen und für die Natur«) über die Grundrechte (»Jeder hat hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt, nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt und das ökologische Wohl der Allgemeinheit achtet«) bis zum sogenannten Staatsorganisationsrecht (»Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages, durch den Bundesrat oder durch den Rat für ökologische Entwicklung eingebracht«).
Ideologische Taschenspielertricks
Wie er darauf kommt, erklärt der Autor in den Vorüberlegungen zu seinem Buch. Jens Kersten zufolge ist die Welt, in der wir leben, Ergebnis von drei Revolutionen. »Der Mensch« (oder zumindest die Menschen des globalen Nordens) habe eine beherrschende Rolle gewonnen und sei so faktisch selbst zu einer Naturgewalt geworden. Diese blindwütige Gewalt richte sich aber leider gegen die Natur selbst, dies stellt sich dem Professor gar als ein einziger »Bürgerkrieg« gegen diese dar. Für diesen vermeintlichen Krieg und die damit einhergehenden Umweltkatastrophen seien allerdings weder »›die‹ Wirtschaft, ›der‹ Kapitalismus, noch ›die‹ Politik« verantwortlich, so Kersten, sondern einfach »wir«: die Menschen. »Unser Plastik« schwimme in den Meeren, »unser« Konsum verursache das Artensterben. Daher treffe uns alle gleichermaßen die Verantwortung, diesen grausamen Zustand zu beenden. Wir sollen uns in einer ökologischen Transformation mit der Natur »vertragen«.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Da der Mensch der Natur offensichtlich ein Wolf ist, folgt bei Kersten nun (beinahe zwingend) der Verweis auf Thomas Hobbes – mit dem gleichen Fehler, der übrigens alle bürgerlichen Vertragstheorien prägt: Der Professor imaginiert einen gesellschaftlichen Naturzustand, der in Wirklichkeit bloß ein Abbild des jetzigen Zustandes der Welt ist, also keineswegs natürlich ist, sondern schon Resultat der staatlichen Ordnung der Verhältnisse.
Voraussetzung für diese Sichtweise ist, dass der bürgerliche Staat als Akteur gänzlich weggedacht wird. Ausgerechnet die Instanz wird ausgeblendet, die die gesellschaftlichen Regeln festschreibt und damit auch festlegt, wer im Kapitalismus welche Interessen auf welche Weise zu verfolgen hat. Nimmt man diese vollständig durch staatliche Herrschaft geprägte Weltordnung mit allen (daraus erst folgenden!) Konflikten als natürlich an und stellt sich dann vor, es gäbe diese Herrschaft nicht mehr, muss man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Wie sähe dann die Welt bloß aus! Überall Diebe, aber keine Polizei, überall umweltverschmutzende Unternehmen, aber keine Grenzwerte für Schwermetalle im Boden.
Wird in der Weise von allen strukturellen Gründen für das hiesige Gegeneinander und die Gewalt abstrahiert – was für Kerstens Buch bedeutet, von den Gründen für die Naturzerstörung zu abstrahieren –, bleiben eben nur »die Menschen« übrig, die sich als Täter wechselseitig einfach so die Köpfe einschlagen oder eben immerzu die Umwelt schädigen. Glücklicherweise ist aber ein Ausweg in Sicht: Das taschenspielermäßig kurz hinter einem Vorhang versteckte staatliche Gewaltmonopol wird vom Professor als Lösung des Problems wieder auf die Bühne gebeten – leicht verkleidet, in Form des ökologischen Grundgesetzes, für dessen Durchsetzung es selbstverständlich den Staat braucht.
Es mag dem Zeitgeist entsprechen, »die Menschen« in Verantwortung zu nehmen. Richtig wird es dadurch nicht. Es sind nämlich nicht einfach »die Menschen«, die tonnenweise Kohle zur industriellen Fertigung einer ungeheuren Warensammlung verfeuern lassen, darunter viele Waren, die dann ihrerseits noch einmal die Umwelt schädigen, so wie Autos, Turbinen oder Rest- und Verpackungsmüll. Und es entscheiden auch nicht »die Menschen« darüber, ob die für die Herstellung all dessen benötigte Energie besser mit Solar- oder Windkraft oder eben Öl und Kohle erzeugt wird – oder ob diese Produkte eigentlich überhaupt gebraucht werden.
Eine Klassengesellschaft, kein Kollektiv
Verantwortlich für all diese Weichenstellungen sind vielmehr die vom Staat per Gesetz eingerichteten, kapitalistischen Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass umweltschonende Produktionsverfahren nicht als vernünftige Entscheidung erscheinen, sondern stets als negative Kostenfaktoren für die Privateigentümer der Kraftwerke oder Fabriken, eben der Produktionsmittel. Deshalb müssen Vorgaben für Umweltschutz »der Wirtschaft« grundsätzlich als Regel aufgezwungen werden. Und dass der Staat dabei abwägt, wie sehr er seine Wirtschaft beschränken will, lässt sich aktuell der Debatte um den »Industriestrompreis« entnehmen. Gerade die energieintensivsten Industrien, darunter Stahl-, Zement- und Aluminiumproduktion, sollen von radikal billigen Strompreisen profitieren, um ihre – vermutlich ebenso wenig umweltfreundlichen – Erzeugnisse bestmöglich auf den weltweiten Märkten abzusetzen. So jedenfalls lautet die von den Gewerkschaften bis zum Wirtschaftsminister breit geteilte Forderung. Wäre das Anliegen einfach die Reduktion des CO2-Ausstoßes, müsste ein hoher Strompreis doch gerade in diesen Industrien wünschenswert sein!
Die Menschen, die als Lohnarbeiter*innen beispielsweise in den entsprechenden Fabriken die Öfen zu befeuern haben, treten dennoch erst nach Abschluss aller Produktionsprozesse wieder in Erscheinung: als Konsument*innen nämlich, welche die – mit allen umweltschädlichen Begleiterscheinungen – fertig produzierten Waren erstehen können. In dieser Rolle dürfen sie abwägen, wie viel ihnen das zweifelhafte Öko-Siegel auf dem Waschmittel wert sein kann, wenn sie vielleicht bald noch die neue, umweltfreundliche Heizungsanlage finanzieren müssen. Ein Professor des öffentlichen Rechts aus München mag in diesen Entscheidungen finanziell etwas mehr Spielraum haben als besagte Ofenbefeuer*innen. Gemeinsam haben beide allerdings, dass sie nur ausgeben können, was sie zuvor verdient haben und dass sie nur das zur Auswahl haben, was von der Privatwirtschaft angeboten wird. Mitentscheiden, was überhaupt und unter welchen Bedingungen produziert wird, können sie beide nicht.
Bemerkenswert an »Das ökologische Grundgesetz« sind die wiederkehrenden Anleihen an die gesellschaftskritischen Teile der Ökologiebewegung. Kersten ist gut informiert über Forderungen nach »globaler Gerechtigkeit« oder die Diskussion um den vermeintlichen Widerspruch von Sozial- und Umweltbelangen. Jedoch ist der Fluchtpunkt seiner Überlegungen stets klar: Es sei notwendig, diese Impulse in die Form des Rechts zu verwandeln, sprich den formellen Ausgleich konfligierender privater und öffentlicher Interessen. Was schon in Bezug auf den gesellschaftlichen Klassenkonflikt, in dem die Lohnabhängigen regelmäßig den kürzeren ziehen, materiell nur leidlich funktioniert, wird schlicht absurd, wenn es auf die Natur übertragen wird. Die Notwendigkeiten der auf ständiges Wachstum zielenden Kapitalverwertung können nicht mittels juristischer Dogmatik »verhältnismäßig« mit den Grenzen des Ökosystems Erde in Einklang gebracht werden.
Wachstum vs. Ökologie
Der Professor besteht dennoch auf der Verrechtlichung und entwirft analog zur »juristischen« Person die »ökologische Person«, die ebenso mit Rechten und Pflichten bedacht werden soll wie erstere. Denjenigen, die das für allzu esoterisch halten, hält er entgegen, dass, wenn schon »totes Kapital« Rechte habe, es nur eine Frage der Gewöhnung sei, dasselbe auch für ein Naturschutzgebiet umzusetzen. Bei Konflikten zwischen den verschiedenen Interessen soll dann – wie üblich im bürgerlichen Recht – eine Abwägung nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit stattfinden. (Irgendwie scheint der Professor sich dann doch zu sehr an seine eigene Idee gewöhnt zu haben und fabuliert humorig über Tiere, die darüber entscheiden, sich selbst in die freie Wildbahn zu entlassen.)
Hier drängt sich die Frage auf: Warum sollten die Rechte eines Waldes zum Zug kommen, wenn sie dem Interesse des Kapitals und seines Staates im Wege stehen? Das Recht auf Freiheit der Person hält den Staat doch nicht davon ab, Straftäter einzusperren und selbst das Recht auf Eigentum hat die eine oder andere Dorfbevölkerung nicht davor bewahrt, einem emissionsschleudernden Tagebau weichen zu müssen. Gesetze dienen den Interessen des Gesetzgebers – welche Überraschung. Und hier schließt sich die nächste Frage an, die in der gesamten Debatte völlig abwesend ist: Wenn der Staat sich den Schutz der Natur selbst zu eigen macht, wie es die Bundesregierung ja behauptet, warum muss dieses Ziel erst über den Umweg der juristischen Auseinandersetzung mit ihm erreicht werden?
Kersten selbst kritisiert, dass das Grundgesetz nicht ausreiche, um der Klimakrise zu begegnen, begründet das aber mit dem Mangel an Möglichkeiten, das dort festgelegte Staatsziel Umweltschutz auch gerichtlich durchzusetzen. Auch die mit großer medialer Aufmerksamkeit bedachte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz und andere Klimaklagen bewegten sich in viel zu engen Grenzen, als dass sie der Zerstörung der Natur effektiv entgegenwirken könnten. Laut Kersten liegt dies an der Abwesenheit von ökologischen Rechten. Tatsächlich ergibt sich diese staatliche Zurückhaltung aber nicht aus den fehlenden ökologischen Modifikationen des Grundgesetzes. Sie ergibt sich schlicht daraus, dass Umweltschutz für den Staat nur so weit geht, wie dieser dem Zweck des Wirtschaftswachstums mehr nützt, als die Zerstörung seiner natürlichen Grundlagen ihm schadet. Diese wirklichen Gründe für die Umweltzerstörung zu beseitigen, verlangt ganz andere »Transformationen« als ein neues Öko-Grundgesetz.
Jens Kersten: Das ökologische Grundgesetz. C.H.Beck 2022, 241 S., geb., 34,95 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.