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Nahost-Konflikt: Ein Krieg mit vielen Akteuren

Milizen aus dem Irak und Jemen sowie die Hisbollah mischen sich in den Nahost-Konflikt ein. Das hat auch Folgen für künftige Verhandlungen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 7 Min.

Wenn er morgens zur Arbeit fährt, dann hält Mohammed Manar als allererstes die Luft an. »Ich bete, dass heute nichts passiert; dass niemand auf dumme Ideen kommt«, sagt der ägyptische Minister für zivile Luftfahrt, dessen Behörde unter anderem für die Flugsicherheit zuständig ist.

Doch momentan können er und seine Leute nur zuschauen und hoffen: Aus dem Gazastreifen werden mittlerweile zwar weniger, aber immer noch dutzende Raketen abgeschossen. Ausschließen, dass sich ein solches Geschoss in den ägyptischen Luftraum verirrt und vielleicht einen Urlaubsflieger oder einen Jet auf dem Weg nach Fernost trifft, kann niemand.

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Aber vor allem gerät Israel nun auch unter Beschuss aus weiter Ferne. Mindestens vier Mal wurden nun Raketen und Drohnen abgefangen, die wahrscheinlich im Norden des Jemen abgeschossen wurden. Diese Raketen und Drohnen sollen in einer Art Konvoi fliegen, entlang einer sehr stark genutzten Luftverkehrsstraße. Denn seit Beginn des Ukraine-Kriegs, der Verhängung der Sanktionen gegen Russland, gibt es nur noch zwei Korridore für den Flugverkehr zwischen Europa und Südostasien: Der eine führt über die Türkei und den Irak entlang des Persischen Golfes. Die andere über Ägypten und dann entlang des Roten Meeres.

Und auch im Irak nehmen die Spannungen nun zu: Mehrfach griffen von den iranischen Revolutionsgarden unterstützte Milizen Einrichtungen des US-Militärs mit Drohnen und Sprengstoffen an. US-Diplomaten in Bagdad rechnen damit, dass auch Raketen zum Einsatz kommen könnten. Den riesigen Botschaftskomplex, in dem bis zu 8000 Menschen gleichzeitig Platz finden, hat man deshalb mittlerweile noch stärker gesichert.

Der Gaza-Krieg ist offiziell ein Krieg zwischen Israels Militär und der Hamas sowie dem kleineren Islamischen Dschihad, das betonen auch militante, bewaffnete Gruppierungen in anderen Ländern immer wieder. Doch tatsächlich mischen mittlerweile sehr viele Akteure an vielen verschiedenen Orten mit und rauben so wohl allen Regierungen im Nahen Osten den Schlaf.

In nahezu allen Ländern der Region und ganz besonders in den Krisenstaaten hat die Führung der Revolutionsgarden in den vergangenen Jahrzehnten militante Gruppen bewaffnet, ausgebildet, indoktriniert. Wie ein Netz ist dieses Schattenheer nun über die gesamte Region verteilt, bis an die Zähne bewaffnet. Aber auch jederzeit einsatzbereit? Dem Ajatollah treu ergeben?

Das doppelte Spiel der iranischen Führung

Nach dem Massaker am 7. Oktober, dem Beginn der israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen begann die iranische Führung ein doppeltes Spiel zu spielen. Während Yahya Sinwar, Hamas-Chef in Gaza, und Vertreter des in Katar ansässigen Politbüros der Organisation, mehrfach die Unterstützung aus dem Iran lobten, erklärte man in Teheran, man habe damit doch gar nichts zu tun. Gleichzeitig riefen Präsident Ebrahim Raeissi und Hossein Salami, Oberkommandeur der Revolutionsgarden, die »Kräfte des Widerstands«, also die vom Iran unterstützten Gruppen, dazu auf, Hamas und Islamischem Dschihad zur Seite zu stehen.

Nur: Bisher geschah das nicht. Weshalb Beobachter und Regierungsvertreter überall in der Region nun darüber rätseln, wie groß der Einfluss der Revolutionsgarden tatsächlich ist und ob der große Schlag vielleicht noch kommen könnte – der Moment, in dem Hisbollah im Libanon, die Vielzahl von Milizen im Irak, die Houthi im Jemen, die Muslimbrüder in Ägypten und bewaffnete Gruppen in Libyen den Krieg auf die gesamte Region ausweiten. Undenkbar? Das ist seit dem 7.Oktober ein verbotenes Wort. Absolut jeder Regierungsvertreter in der Gegend spricht nur noch über die Extremität des Möglichen.

Dabei schaut man auch auf die feinen Details: Die Zahl der Raketen, die vom Jemen aus abgefeuert wurde, ihre Langstreckenfähigkeit haben viele in der Region aber auch das US-Militär aufgeschreckt. Im Pentagon in Washington sagen Sprecher, es sei bekannt gewesen, dass die Houthi auch Ziele in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten treffen können; mehrfach sind dort in den vergangenen Jahren Raketen eingeschlagen. Nun jedoch wird deutlich, dass die Houthi über moderne Langstreckenraketen verfügen, was Anlass zu der Vermutung gibt, dass das auch bei der Hisbollah der Fall sein könnte.

Bislang blieb die große Eskalation aus

Nach dem Kriegsausbruch war damit gerechnet worden, dass die Hisbollah ebenfalls in den Krieg eintreten könnte. Doch bislang gibt es zwar immer wieder Raketenabschüsse aus dem Libanon und israelische Angriffe auf Ziele im Nachbarland, bei denen Menschen starben. Doch die große Eskalation ist bislang ausgeblieben, bis jetzt.

Warum das so ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ein Faktor dabei dürfte jedoch die öffentliche Stimmung sein. Die Nachrichten aus dem Gazastreifen, nahezu in Echtzeit von den arabischen Nachrichtensendern in der Region verbreitet, lassen die Emotionen hochkochen. Massendemonstrationen gibt es in vielen Städten, aber am Ende stehen dann doch die eigenen Probleme im Vordergrund. Der Libanon befindet sich in einer tiefen, existenzbedrohenden wirtschaftlichen Krise. Ein Krieg zwischen Israel und der Hisbollah samt Massenflucht aus dem Südlibanon ist das Letzte, was die Menschen brauchen können. Hinzu kommt: Der Libanon ist gesellschaftlich gespalten; die Hisbollah mit ihrer streng islamischen Ausrichtung deckt nur einen Teil der Bevölkerung ab, dem eine große Gruppe gegenübersteht, die säkular denkt und mit den Repressionen der Hamas überhaupt nichts anfangen kann.

Im Jemen wird derweil seit Monaten versucht, den extrem zerstörerischen Krieg zwischen den vom Iran unterstützten Houthi, die den Norden kontrollieren, und der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützten Regierung zu beenden. Hunderttausende sind getötet worden oder an Hunger oder Krankheiten gestorben. Das Land liegt in Trümmern. Dass nun ausgerechnet von dort Raketen auf Israel abgeschossen werden, hat bei den Verhandlern der Vereinten Nationen für Verärgerung gesorgt. »Die Houthi haben kurz nach Kriegsbeginn vor der Tür gestanden, und mit einer Kriegsbeteiligung gedroht, wenn sie nicht mehr Zugeständnisse bekommen«, sagt ein Uno-Vertreter, der offiziell nicht mit den Medien sprechen darf. Was macht man da? »Das ist dann schwierig, weil sie ja Jahre lang gezeigt haben, dass sie tausende Tote und extreme Zerstörung nicht zum Kurswechsel bringen.«

Auch im Irak dürften die Angriffe auf US-Militärs auf irakischen Militärbasen nur vordergründig am Gaza-Krieg liegen. Das Land befindet sich in chronischem Chaos, hangelt sich von einer Regierungskrise zur anderen. Dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Einer davon sind die ständigen Versuche Teherans, im Nachbarland an Einfluss zu gewinnen. Grund: Die US-Sanktionen haben die Islamische Republik vom internationalen Geldverkehr abgeschnitten. Die Revolutionsgarden haben deshalb ein sehr komplexes Schmuggelsystem aufgebaut, in dem der Irak eine wichtige Rolle spielt.

Doch im Irak ist die öffentliche Meinung ambivalent: Die Nachrichten über den israelischen Militäreinsatz in Gaza haben auch hier die Emotionen geweckt. Doch Kontakte im Land erzählen auch, wie ihnen das Massaker am 7. Oktober, dessen extreme Brutalität bekannt vorkam. Mehrfach fielen Terroristen des »Islamischen Staat« in Dörfer und Städte im Irak ein und metztelten Menschen nieder. Denn der IS, der Jahre lang große Teile des Irak und Syriens kontrollierte und Terroranschläge in Europa verübte, war nie weg: Die Terroristen haben Zuflucht in der Wüste gefunden, schlagen immer wieder zu.

Auch Terroristen verfügen über moderne Waffen

An den von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkten Raketen aus dem Jemen und ihren Hintergründen zeigt sich aber auch, dass die Welt vor einer völlig neuen Herausforderung steht. Nun wird klar: Es sind nicht mehr nur Staaten, die über modernste Waffentechnologie verfügen. Militante, terroristische Organisationen haben sie auch.

Im Jemen-Krieg beklagten die Verhandler schon vor Jahren, dass man es nicht mit einem einzigen Verhandlungspartner, sondern mit Dutzenden zu tun hat: Gruppen, Organisationen, die mal miteinander, mal gegeneinander kämpften. Und bei denen die iranischen Revolutionsgarden im Hintergrund nicht der einzige Faktor waren: Auch einige arabische Staaten, westliche Mächte, die Türkei oder Russland halfen mit Waffen aus, gerne auch in Syrien, in der Hoffnung, den Krieg in die eine oder die andere Richtung zu lenken.

Und nun hat man eine schwierige Situation: Modernste Waffen, große Emotionen, noch größere Erwartungen. Der Krieg im Gazastreifen ist das Ereignis, das das Schlaglicht darauf gelenkt hat, aber nicht ausgelöst hat. »Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir künftig nicht mehr nur mit Regierungen in einem Konferenzsaal zusammenkommen, um ein Ergebnis zu erzielen, sondern mit extrem vielen Gruppen und Organisationen sprechen müssen,« sagt Yussef al Oteiba, Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA: »Wie man das macht, ist völlig offen. Aber die wichtigste Lehre muss sein, dass Regierungen aufhören müssen, allen eine Waffe in die Hand zu geben.«

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