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  • Kunstgeschichte der DDR

Lothar Lang: Vordenker des globalen Kunstbegriffs

Eine Arbeitsbiografie würdigt den DDR-Kurator Lothar Lang, lässt aber wunde Punkte unberührt

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.
Umtriebiger Kurator, bevor es das Wort im Osten gab: Lothar Lang
Umtriebiger Kurator, bevor es das Wort im Osten gab: Lothar Lang

Kassel 1977. Auf der sechsten Documenta bekam die internationale Kunstwelt Bilder zu sehen, die nach Meinung mancher Kritiker besser dort geblieben wären, wo sie herkamen: aus der DDR. Dazu gehörte etwa der deftig zulangende Realismus von Bernhard Heisig. Oder Werner Tübkes virtuose Rückwendung zu den alten Meistern.

1977 war das Jahr des eskalierenden RAF-Terrors, allerorts im Westen kochten antikommunistische Ressentiments hoch. Für seine Entscheidung, Kunstschaffende ›von drüben‹ einzuladen, wurde Documenta-Chef Manfred Schneckenburger hart angegangen. Heute wissen wir: Der wiedergefundene Respekt für den Osten schlug eine Bresche in die ideologische Trennwand, die noch zwanzig Jahre später den Vertretern der Neuen Leipziger Schule zum Welterfolg verhalf.

Der Regisseur hinter dem Kasseler Auftritt von Tübke und Co hieß Lothar Lang. Willi Sitte, Präsident des DDR-Künstlerverbandes, hatte den studierten Kunsthistoriker gegen ministerialen Widerstand als fachlichen Betreuer der DDR-Delegation durchgeboxt. Der Kurator aus Ost-Berlin war zu diesem Zeitpunkt vielleicht der Einzige, der die Kunstproduktion beider deutschen Staaten souverän überblickte.

Nun erinnert Lothar Langs zweite Ehefrau Elke Lang in einer materialreichen Arbeitsbiografie an das vielfältige Engagement ihres verstorbenen Mannes. »Kalkulation und Wagnis« überschreibt sich der Band, der Lang vor allem als nimmermüden Möglichmacher würdigt.

Eine Dozentur am Institut für Lehrerweiterbildung in Berlin-Weißensee bot ihm eine Chance, die ästhetische Theorie mit der Praxis zu verbinden. 1962 eröffnet sein legendäres Kunstkabinett: Eine Galerie, deren Programm sich abseits etablierter Positionen bewegt. Auf kleinem Raum und mit bescheidenstem Budget organisiert Lang in Weißensee (nach dem Umzug 1965 dann in Pankow) wegweisende Präsentationen. Quer zur realsozialistischen Hauptströmung zeigt er die expressive Mystik Gerhard Altenbourgs ebenso wie die feinstrichigen Beschwörungen Max Uhligs. Doch der Blick geht auch über den Tellerrand: Das Kunstkabinett empfängt HAP Grieshaber, den knorrigen Holzschneider von der Schwäbischen Alb, und sogar die ausgemergelten Figuralexistenzen des Weltstars Alberto Giacometti.

Dass dergleichen in der Kulturbürokratie aneckte, steht außer Frage. Ob aber persönliche Rivalität oder institutionelles Misstrauen 1968 zum Ende des Ausstellungsexperiments führte, darüber kann Elke Lang nur spekulieren. Die Autorin verbindet ihre Darstellung mit ausgiebigen Zitaten aus den Tagebüchern ihres Mannes. Illustrationen und tabellarische Zusammenstellungen runden das Ganze ab. Dabei entsteht einerseits eine Kunstchronik der späten Ulbricht- wie der Honecker-Jahre, andererseits das Charakterporträt eines geistigen Arbeitstiers. Kreativität, Leistungsstärke, Flexibilität – Lothar Lang vereinigte all die Eigenschaften, die es nach kapitalistischer Logik im real existierenden Sozialismus gar nicht hätte geben dürfen. Ein Beitrag von Sabine Tauscher beleuchtet die Rolle Langs beim Entstehen des DDR-Kunstmarkts. Um 1960 ist das Berufsbild Galerist/Galeristin im Osten Deutschlands nahezu unbekannt.

Man merkt dem Buch an, dass es aus Perspektive der Witwe geschrieben ist. Die Vorwürfe über die mutmaßliche Stasi-Tätigkeit Langs als IM »Schreiber« etwa fallen unter den Tisch. Wohl, weil es vorwiegend um Langs kuratorisches Engagement in der DDR gehen soll, rollt die Autorin keine West-Ost-Geschichten auf. Etwa die Affäre um die Ausladung A.R. Pencks von der Documenta 1977.

Trotzdem können Lesende viel aus der Lektüre mitnehmen. Die Kunstszene der DDR war widerständiger und bunter als es offizielle Kunstgeschichtsschreibungen (in West wie Ost) darstellen. Lang selbst hat es nie auf ästhetische Radikalopposition angelegt. Er sträubte sich lediglich gegen den Trend, Formalismus prinzipiell zu verdammen. Er respektierte die Eigengesetzlichkeit künstlerischer Werke. Das machte ihn zum Pionier jenes globalen Kunstbegriffs, der mittlerweile nationalstaatliche Betrachtungsweisen abgelöst hat.

Bei all dem war Lang nicht nur ein geübter Bildererklärer, der ganze Lebenswerke mit wenigen gut sitzenden Worten zu fassen bekam, sondern auch ein unbarmherziger Kritiker, der nicht einmal die bei ihm Ausstellenden schonte. Der prosaischen Gegenstandsmalerei von Harald Metzkes, so liest man in Langs privaten Papieren, fehle die »geistig erhöhte Sinnlichkeit«. Auch über Vertreterinnen anderer Kulturdisziplinen urteilte er streng. »Inge Keller las miserabel Hölderlin«, heißt es 1967 nach einem Abend im Kunstkabinett.

1980 übernahm er die Leitung des thüringischen Museums Schloss Burgk. Dort erschloss er sich das unterschätzte Themenfeld Exlibris. Vorgegeben durch äußere Umstände, lag schon in Langs Kunstkabinett der Fokus auf kleineren Formaten. Er selbst sprach gern von »Meisterstücklein«. Schließlich hat Bedeutung nichts mit Maßen zu tun.

Elke Lang (Hg.): Kalkulation und Wagnis. Eine neue Künstler-Generation wird geboren. Faber & Faber, 224 S., geb, 34 €.

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