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Die Linke in Berlin reitet auf der Eintrittswelle
Vor dem Landesparteitag treten Hunderte der Linkspartei bei, Brychcy hofft auf »spannendes Experiment«
Wechsel in die Opposition, maue Umfragewerte, Spaltung – für die Linkspartei in Berlin könnte es besser laufen. Gute Nachrichten nimmt man da gerne: 470 Neueintritte habe es seit der Ankündigung von Sahra Wagenknecht gegeben, gemeinsam mit ihren Anhängern aus der Partei auszutreten, erklärte Landesgeschäftsführer Sebastian Koch am Dienstag bei einer Pressekonferenz vor dem Landesparteitag am Freitagabend. Dem stünden 114 Austritte gegenüber. »Unser selbstgesetztes Ziel, 1000 neue Mitglieder zu erreichen, haben wir so schon zur Hälfte erreicht«, sagte Koch.
Woher kommen die vielen Neuen? Ein Blick auf die zeitliche Verteilung der Neueintritte verrät mehr: Allein 269 Eintritte habe es am Montag gegeben, berichtete Koch. Zuvor war ein Aufruf unter zivilgesellschaftlichen Initiativen und außerparlamentarischen Politgruppen herumgegangen, zu diesem Stichtag in die Linkspartei einzutreten. Von dem Masseneintritt profitieren vor allem Kreisverbände in der Innenstadt: 100 Eintritte habe es allein in Neukölln gegeben, dicht gefolgt von Friedrichshain-Kreuzberg. Aber auch in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg sei das Saldo positiv, sagte Koch. Nur im Problembezirk Tempelhof-Schöneberg, wo das Abgeordnetenhausmitglied Alexander King und mehrere Mitglieder des Kreisvorstands angekündigt haben, sich Wagenknecht anschließen zu wollen, überwiegen die Austritte.
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»Das ist ein spannendes Experiment«, sagte Landesvorsitzende Franziska Brychcy mit Blick darauf, wie die Neumitglieder die Partei prägen könnten. Dass es auch zu Konflikten kommen könnte, dürfte wahrscheinlich sein: In Berlin ist Die Linke traditionell vergleichsweise stark regierungsorientiert, in dem Aufruf zum Masseneintritt heißt es dagegen, man brauche »eine Partei der Opposition«. Der rot-grün-rote Senat, der Berlin bis zum April regierte, wird in dem Schreiben scharf kritisiert: Die Linkspartei habe sich dort an Abschiebungen und dem Verschleppen des Enteignungsvolksentscheids beteiligt. »Die Linke hat sich für eine Koalitionsfähigkeit verbogen und sich zur Komplizin des rot-grünen Mitte-Extremismus gemacht«, schreiben die Eintrittswilligen.
Für Brychcy ist das nicht unbedingt ein Widerspruch. »Wir stehen für rebellisches Regieren«, sagte sie bei der Pressekonferenz. Auch in der Regierung habe die Partei immer Kontakt zu Bewegungen gehalten. Wenn sich diese Bewegungen jetzt auch in der Partei fänden, profitierten davon alle Seiten. »Wir brauchen dieses Korrektiv ja auch«, so Brychcy. Sie hofft, auf die Erfahrung der sozial bewegten Neumitglieder bauen zu können.
Größer als die inhaltliche sei ohnehin die organisatorische Herausforderung. Man wolle den Neumitgliedern eine »Willkommenskultur« bieten, so Brychcy. Mehrere Kreisverbände hätten daher bereits zu außerplanmäßigen Mitgliederversammlungen eingeladen. Um zu verhindern, dass sich nach der Eintrittswelle die politische Arbeit Richtung Innenstadt verschiebt, sollen »solidarische Partnerschaften« mit Kreisverbänden im Osten entstehen. »Man kann auch in Marzahn an Haustüren klopfen, wenn man selbst in Neukölln wohnt«, so Brychcy.
Bei dem Landesparteitag am Freitagabend – nur eine Woche nach dem Bundesparteitag – will die Linkspartei vor allem inhaltlich arbeiten. Wahlen sind nicht vorgesehen. Nachdem der jahrelange Streit um Wagenknecht nun beendet sei, solle der Parteitag ein »Moment des Aufbruchs« werden, so Brychy.
Diskutiert werden soll auch über die Energieversorgung für die Hauptstadt. »Heizen darf nicht zum Luxus werden«, sagte Ko-Landesvorsitzender Maximilian Schirmer bei der Pressekonferenz. Daher will die Linkspartei das Fernwärmenetz vergesellschaften. Ähnliches hatte bereits die SPD bei ihrem Landesparteitag beschlossen. Die Linke geht noch einen Schritt weiter und will auch das Gasnetz in kommunalen Besitz überführen – um es »kontrolliert abzuwickeln«, wie es im Antrag heißt. Vermieter sollen verpflichtet werden können, Förderprogramme zu nutzen. »Energetische Sanierungen dürfen nicht vom Preissegment abhängen«, so Schirmer.
Für die angespannte Versorgungssituation im Gesundheitsbereich präsentiert die Linkspartei eine kreative Lösung: Leerstehende Kaufhäuser sollen als sogenannte Medizinische Versorgungszentren genutzt werden, heißt es in einem anderen Antrag. Nach Bekanntwerden der drohenden Pleite der Firma Signa, die mehrere Karstadt-Filialen in Berlin betreibt, gab es Diskussionen, was mit den leerstehenden Gebäuden passieren soll. Der dafür nötige Ankauf der Immobilien solle aber von einer Wirtschaftlichkeitsprüfung abhängen. »Wir werden keine Mondpreise bezahlen«, so Landesvorsitzende Brychcy.
Für den strauchelnden kommunalen Krankenhausbetreiber Vivantes soll es einen »Sanierungsfahrplan« geben. »Wir stellen uns auf lange Kämpfe ein, um Vivantes zu stabilisieren«, sagte Brychcy.
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