Parteitag der Grünen: Stoppschilder für die Führung

Die Grünen-Basis wehrt sich gegen Asylrechtsverschärfungen und schlappe Klimapolitik

Eigentlich will man bei den Grünen von heute Abend an nachträglich das 40-jährige Jubiläum der Partei an einem der Gründungsorte Karlsruhe feiern. Dafür kommt man zur Bundesdelegiertenkonferenz zusammen, wie Parteitage bei den Grünen heißen. Liste und Programm für die Europawahl sollen bestimmt werden, Wahlen für den Parteivorstand finden statt. Große Überraschungen sind dabei nicht zu erwarten.

Eine harmonische Feier zum 40. Geburtstag dürfen die Grünen trotzdem nicht erwarten. Dafür läuft zu viel anders, als es viele Mitglieder der Partei wollen. Schlechte Umfrage- und Wahlergebnisse sind dabei für manche Grüne das kleinste Problem. Vielmehr geht es um die Entscheidungen der Ampel-Koalition,die die Partei mitträgt. Das Werbeverbot für Abtreibungen ist gefallen, Cannabis soll entkriminalisiert werden und eine Form von Kindergrundsicherung soll kommen. Viel mehr ist vom Versprechen, für gesellschaftlichen Fortschritt zu sorgen, mit dem die Ampel angetreten ist, jedenfalls nicht übrig geblieben. Alles nicht, wie sich die Grünen es vorgestellt haben, aber in Form von Kompromissen, mit denen die Partei in ihrer Mehrheit leben kann.

Bei anderen Themenfeldern, die dem grünen Herz teilweise noch viel näher sind, ist das nicht so. Und das sorgt für Unmut. Mehrere hundert Mitglieder haben einen offenen Brief mit dem Titel »Zurück zu den Grünen« unterschrieben. werden zahlreiche Entscheidungen der Ampel wie die Abbaggerung Lützeraths oder das Sondervermögen für die Bundeswehr aufgezählt, die von den Mitgliedern kritisch gesehen werden. Sie erkennen zwar an, dass man in einer Koalition Kompromisse finden müsse, was sie aber wirklich stört, ist, wie die Parteiführung diese Entscheidungen vermittelt. »Manchmal erscheint es uns, als ob die Grünen von einer Partei für echte Veränderung zu einer Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden sind«, heißt es in dem offenen Brief. Die Verfasser*innen kritisieren auch den innerparteilichen Umgang mit Kritik. Debatten gäbe es kaum, stattdessen die Aufforderung, Kompromisse zu schlucken. Wenn eine Debatte nicht zu verhindern sei, fänden moderierte Videokonferenzen statt, deren Ergebnis »beschwichtigende Worte« seien.

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Vor allem werfen die Kritiker*innen der Parteiführung vor, sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck nicht in den Weg zu stellen. »Statt die Narrative der Rechten zu entkräften, machen wir das, wofür wir die CDU und SPD immer kritisiert haben.« Eine der Initiator*innen des Briefs ist die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling aus Thüringen. Im Gespräch mit dem »Münchner Merkur« kritisiert sie, dass es »deutschland- oder sogar europaweit« eine Anti-Asyl-Debatte gebe, »die den Diskurs wöchentlich weiter nach rechts verschiebt«. Die Grünen kämen dem ein Stück weit entgegen. Die eigene Parteispitze übernehme Begriffe von rechts, die Henfling für »problematisch« hält. Der Landtagsabgeordneten geht es dabei um Begriffe wie »irreguläre Migration« und »Rückführungsabkommen«, bei denen sie sich an das Verschieben von Gegenständen erinnert fühlt. Doch Henfling will nicht vor allem über Begrifflichkeiten streiten, ihr geht es um inhaltliche Grundsätze. Das Problem seien doch weniger die Geflüchteten, sondern wie der Staat mit ihnen umgeht, so Henfling.

Die Spitze der Grünen weiß um das Konfliktpotenzial und will das Thema gleich zu Beginn des Parteitags mit einem eigenen Antrag unter dem Titel »Humanität und Ordnung« ausräumen. Auch daran spart Henfling nicht mit Kritik. Den Ordnungsbegriff hält sie »für großen Unsinn«. Die Grüne Jugend hat einen Änderungsantrag gestellt und fordert, dass Politiker*innen der Grünen keinen Asylrechtsverschärfungen mehr zustimmen. Restriktivere Regelungen für Abschiebungen fallen für die Parteijugend genauso darunter, wie die Kürzung von Leistungen oder Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen.

Katharina Stolla, Ko-Sprecherin der Grünen Jugend, erklärt im »Spiegel«, dass dieses Stoppschild auch für Prozesse gelten soll, die bereits angelaufen sind. Annalena Baerbocks Ja zu einer Reform des EU-Asylsystems solle demnach im Verfahren so entschärft werden, dass sie keine Asylrechtsverschärfung mehr beinhaltet. Stolla sagt unmissverständlich: »Uns geht es darum zu sagen: bis hierhin und nicht weiter. Und alles, was noch nicht entschieden ist, kann man ändern.«

Sorge, dass die Koalition zerbricht, wenn die Grünen ihrer Jugend folgen, hat Katharina Stolla nicht. Alle Parteien hätten in der Vergangenheit »mal ihre Grenzen gezogen«, und das könnten die Grünen auch tun. Es ginge darum, effektiv etwas gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck zu unternehmen. Für die Ko-Chefin der Grünen Jugend liegt die Lösung vor allem darin, Ängste abzubauen. Höherer Mindestlohn, Auszahlung des Klimagelds und niedrige Mieten – nur eine soziale Politik könne den Rechten »ihren Nährboden entziehen«, ist sich Stolla sicher.

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