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Schließung von Goodyear: in Fürstenwalde überwiegt der Schock
Belegschaft will Schließung des Goodyear-Reifenwerks nicht tatenlos zusehen
Eine Woche ist es her, seit die Beschäftigten des traditionsreichen Reifenwerks in Fürstenwalde von den Plänen ihres Arbeitsgebers, des US-Konzerns Goodyear, erfuhren. Die Reifenproduktion soll bis 2027 schrittweise eingestellt, 750 Stellen sollen abgebaut werden. Seitdem wurde bundesweit bereits viel geschrieben, denn auch ein Werk im hessischen Fulda ist betroffen. Die Lokal- und Landespolitik hat sich geäußert, die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), der Betriebsrat und vereinzelt auch Beschäftigte.
Am Donnerstagmittag kam es zur ersten Betriebsversammlung nach Bekanntwerden der Pläne, auf der die Lage innerhalb der Belegschaft erörtert werden sollte. Die Öffentlichkeit war von der Versammlung ausgeschlossen. Im Anschluss sagte Rolf Erler, Bezirksleiter der IG BCE Berlin-Mark Brandenburg, zu »nd«: »Nachdem die letzte Woche der Schock dominiert hat, wird die Stimmung der Belegschaft langsam kämpferisch.«
Die Schließungspläne zum Stellenabbau hatte Goodyear in erster Linie mit der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens begründet. Die IG BCE hingegen kritisierte die Politik des Managements, sprach von »Gewinnmaximierung« und Unverständnis für fehlende Betriebsbeziehungen mit Blick auf die geographische Nähe zum Autobauer Tesla.
»Ich habe hier 27 Jahre gearbeitet, brauchte mir nie Sorgen machen. Das Gefühl jetzt ist wie ein freier Fall ohne Aufprall«, sagte einer der Beschäftigten zu »nd«. »Die Leute selbst brauchen sich nichts vorwerfen lassen. Es ist auch ein Ergebnis der jahrelangen Politik, insbesondere der Umweltpolitik«, sagt ein weiterer Angestellter. »Damit die Produktion weitergehen kann, soll hier eine zwölf Millionen Euro teure Luftfilteranlage installiert werden, die die Abluft aus dem Werk filtert, die wir drinnen einatmen.« Die Stimmung sei bedrückt, die Entscheidung habe ihn kalt erwischt. Doch sie seien auch hier, um zu kämpfen. Er spricht von Solidarität und davon, dass sie sich nicht gegen die anderen Goodyear-Standorte ausspielen lassen wollten.
An der Versammlung selbst nahm auch Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) teil. Er sagte danach, dass er bereits mit Unternehmensvertreter*innen gesprochen habe. »Wir haben uns über einen kontinuierlichen Dialog verständigt«, sagte Steinbach. Für ihn komme momentan nur Plan A in Frage: Erhalt des Reifenwerks und der Arbeitsplätze. Es sei ihm ein Anliegen, »im besten Fall die Entscheidung umzukehren«, hatte er bereits am Dienstag der dpa gesagt. Er habe sich mit einem Fragenkatalog zur wirtschaftlichen Verfassung an den Reifenkonzern gewandt. Auf Grundlage der Antworten wolle er weitere Maßnahmen ins Auge fassen.
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Erler bekräftigte sein Unverständnis über die Pläne von Goodyear. »Ich habe schon einige Kürzungs- und Schließungsmaßnahmen erlebt, aber so etwas wie hier, dass man die Schließung so lange streckt, noch nicht.« Offensichtlich werde der Standort noch gebraucht, sagte Erler. Den Demonstrierenden rief er zu: »Wir brauchen den Druck der Straße, um für den Standort zu kämpfen.« An einem anschließenden Demonstrationszug vor dem Werkstor nahmen nach Angaben der IG BCE etwa 600 Personen teil.
Die Fraktion der Linken im Brandenburger Landtag schlug die Gründung einer Stiftung mit staatlicher Beteiligung an Goodyear vor. Diese Stiftung könnte sich dann an dem zur Disposition stehenden Unternehmen beteiligen oder dieses auch kaufen. Solch eine »Industriestiftung« könnte auch andere schwächelnde Betriebe wie die PCK-Raffinierie in Schwedt stützen, um Arbeitsplätze zu retten, sagte Fraktionschef Sebastian Walter.
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