Bangladesch: 99 Prozent unter Wasser

Am härtesten trifft der Klimawandel jene, die kaum für ihn verantwortlich sind. Zum Beispiel die Menschen in Bangladesch

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Klimawandel gilt zwar als Bedrohung für die Menschheit. Die Bedrohungslage ist allerdings nicht für alle Menschen die gleiche. »Diejenigen, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, sind zugleich jene, die von dieser Krise besonders bedroht sind«, sagte Saber Hossain Chowdhury kürzlich bei einer Veranstaltung auf dem Gelände der Stamford University in Dhaka. Der Satz des Politikers war die tragende Botschaft der diesjährigen Climate Justice Assembly in Bangladeschs Hauptstadt. Sie gehört zu den vielen regionalen Events vor dem Weltklimagipfel COP28 in Dubai. In Dhaka unterstrichen insbesondere Aktivist*innen der Zivilgesellschaft die Notwendigkeit stärkeren Handelns.

Chowdhury war da auch als Vermittler präsent. Als Sonderbotschafter von Premierministerin Sheikh Hasina Wajed in Sachen Klimaschutz bringt er länderspezifische Anliegen in die Diskussionen auf internationaler Ebene ein. Allein 33 Vorschläge und Forderungen wurden an den zwei Tagen der Climate Justice Assembly unterbreitet. Zum Beispiel die nach Kompensationszahlungen für die davon am stärksten Betroffenen: »Diese Kompensation ist keine Spende, sondern das ihnen zustehende Recht«, wurde Lidy Nacpil, die Koordinatorin des Asian People’s Movement for Debt and Development, von der Zeitung »The Daily Star« zitiert.

Erst im August hatten massive Regenfälle im Südosten des südasiatischen Landes zu großflächigen Überschwemmungen geführt. Betroffen waren besonders die Distrikte Chattogram, Cox’s Bazar, Bandarban und Rangamati. Während in Bandarban bis zu 90 Prozent der Fläche unter Wasser stand, bedrohten in Cox’s Bazar die Erdrutsche auch die über eine Million aus dem benachbarten Myanmar stammenden Rohingya-Flüchtlinge, die seit Jahren in riesigen Lagern hausen. Die Zelte und Hütten hatten den Naturgewalten noch weniger entgegenzusetzen als feste Häuser. Insgesamt waren 1,2 Millionen Menschen betroffen, auch wenn sich die Zahl der Todesopfer in Grenzen hielt. Viele der Überlebenden haben kein Zuhause mehr, in das sie zurückkehren könnten. Noch weitaus schlimmer war die Flutkatastrophe Mitte des vergangenen Jahres, als über vier Millionen Menschen mindestens temporär entwurzelt wurden und viele ihre wirtschaftliche Existenz verloren.

In der Monsunzeit von Juni bis September fällt in Südasien fast der komplette Jahresniederschlag. Überflutungen sind in dieser Periode zwar nicht ungewöhnlich. Doch extreme Regenfälle nehmen durch den Klimawandel an Stärke und Häufigkeit zu. Sie treffen zudem auf ein Gebiet, das verletzlicher denn je ist: Das Meer und die Arme des Deltas von Ganges und Brahmaputra nagen beständig an den Uferstreifen. Und ein Großteil Bangladeschs liegt nur einen Meter über dem Meeresspiegel. Schon heute gibt es zuhauf Binnenvertriebene infolge des Klimawandels, und ihre Zahl nimmt stetig zu. Von 13 Millionen solchen Entwurzelten allein in diesem Land bis 2050 geht die Weltbank in ihrer Prognose aus, die sich mit anderen Schätzungen deckt.

Gute Ideen gibt es, doch es fehlt das Geld

Das Umwelt- und Klimaministerium hat vor einem Jahr einen Anpassungsplan ausgearbeitet, der eine Strategie für den Zeitraum 2023 bis 2050 darlegt. Gleich zu Anfang des mehr als 260 Seiten starken Dokuments findet sich die Aussage von Sheikh Hasina beim Klimagipfel COP26 im schottischen Glasgow 2021, als die Premierministerin an ein bis heute nicht eingelöstes Versprechen erinnerte: die Zusage der Industrienationen, den ärmeren Ländern im Globalen Süden jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen den Klimawandel zur Verfügung zu stellen. 50 Prozent davon sollen in Anpassungsmaßnahmen fließen, die anderen 50 Prozent in die Beseitigung von Schäden. Was das Ministerium 2022 zusammengestellt und erweitert hat, baut auf ersten Aktionsplänen auf, die teils bis 2005 zurückreichen. So ist inzwischen eine Freiwilligenschar von 76 000 Menschen kurzfristig verfügbar, um bei Flutkatastrophen sofort mit Evakuierungs- und Hilfsmaßnahmen zu beginnen. Diese Personalstärke und bestehende Nothilfezentren zeigen bereits darin Wirkung, dass zumindest die Zahlen der Todesopfer sinken. In Bangladeschs Landwirtschaft, von zunehmender Versalzung küstennaher Böden und Erosionsverlusten geplagt, wird teilweise erfolgreich mit angepassten Pflanzensorten experimentiert. Die Umsetzung aller Maßnahmen bis 2050 würde aber rund 203 Milliarden US-Dollar kosten.

An klugen Ideen und innovativen Projekten mangele es nicht, hatte »The Daily Star« bereits im Februar in einem Beitrag festgestellt. Wohl aber noch an der integrativen Umsetzung der Pläne im nationalen Maßstab und einem Bewusstseinswandel, der die ganze Gesellschaft mitnehme. Und letztlich am Geld. Denn die Bedrohungen sind vielfältig: Derzeit wird das Land von einer der schlimmsten Denguewellen seiner Geschichte gebeutelt. Die Gefahr, dass sich solche von Moskitos übertragenen Krankheiten ausbreiten, steigt mit fortschreitendem Klimawandel ebenfalls beständig. Von beinahe 300 000 Dengue-Infizierten, die es dieses Jahr in Bangladesch bereits gab, sind laut offiziellen Statistiken über 1400 gestorben, ein trauriger neuer Rekordwert.

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