Schwimmhalle Thälmannpark: In Lehmanns Wäldchen

Über Wasser: Kolumnistin Anne Hahn begibt sich in das vor kurzem sanierte Bad an der Greifswalder Straße

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.
Obenrum Lenin: das Thälmann-Denkmal im Plattenbau-Wohngebiet an der Greifswalder Straße
Obenrum Lenin: das Thälmann-Denkmal im Plattenbau-Wohngebiet an der Greifswalder Straße
Über Wasser

Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.

Es duftet intensiv. Tanne, Kiefer? Irgendwas mit Wald. Ich schließe die Augen. Es ist ein paar Minuten still, bis die Tür aufgeht und jemand durch den Nebel tapst. Zwei Jahre hat die Sanierung der Schwimmhalle Ernst-Thälmann-Park gedauert, seit einigen Monaten ist auch die Sauna geöffnet. Selten quetscht man sich so gern auf so wenig Platz (drei Stunden zwölf Euro). Blockhaussauna mit Liegewiese draußen, Sanarium, finnische Sauna und Dampfsauna, alle aromatisiert. Die Dampfsauna ist groß und mit echten Steinplatten ausgekleidet. Bottichdusche und Tauchbecken sowie zwei Fußbecken in einer Sitznische haben auch noch hineingepasst, in die einstige Lieblingssauna der späteren Kanzlerin – hier erlebte Angela Merkel den Abend des 9. November 1989 und pilgerte mit ihren Badesachen nachts über den Grenzübergang Bornholmer Straße.

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Anderthalb Jahrzehnte nach dem Mauerfall wurde der Abriss des Denkmals im gleichnamigen Park diskutiert. Ernst Thälmann durfte bleiben. Schließlich sei eine Denkmalvernichtung kein Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte, sagte 2013 Berlins oberster Denkmalschützer. Glück gehabt, die Gasometer der zuvor hier befindlichen Berliner Gasanstalt wurden 1981 gegen den Protest der Bevölkerung und trotz schöner Ideen für die Umnutzung zum Beispiel als Badelandschaft gesprengt. Auch das geplante Riesenrad blieb Skizze. Ein Ensemble aus Plattenbauten, Planetarium, Schule, Schwimmbad und Kulturzentrum sowie Galerie und Theater im ehemaligen Gaswerksgebäude entstand bis 1986.

Das Schwimmbad ist in Blautönen gehalten, das blanke Metallbecken blitzt, gedämmte Wände schlucken Geräusche. Ich flutschte durch vielfaches Beingewirr bis zu den beiden geleinten Bahnen, fliege die 25 Meter hin und zurück und kollidiere nur einmal in 30 Minuten. Ringsherum sind weiße Plastikliegen aufgestellt, wo sich abends die »Bahnenstreber*innen« von ihren Anstrengungen erholen. Sagt meine Freundin Annett, die meist zu später Stunde herkommt. Die Leute drängeln dann und durchpflügen das Wasser, als wollten sie Rekorde brechen. Oft mit Uhr am Handgelenk und einer letzten halben Bahn im Schmetterlingsstil, Riesenwellen obenauf.

Das bleibt mir zur Mittagszeit erspart. Ich nehme noch ein wenig Schwallduschen beziehungsweise Rückenmassage im Nichtschwimmerbecken mit und trolle mich in die Sauna. Minimalistisch optimierter Genuss, vier Frauenduschen reichen, die Sammelumkleide ist überfüllt, Föhne funktionieren und schon lande ich draußen im Flurfoyer. Schließfächer, Drehkreuz, Getränke- und Gummibärchenautomat, Jobanzeigen, Schwimmabzeichen-Tafel, Novembergrau und Thälmannpark.

Ich laufe los, leichtfüßig und ein wenig nach Wald duftend. Sehe den riesigen Kopf mit halbem Oberkörper an der Greifswalder Straße thronen. Er ballt die Faust, schaut mit gerunzelter Stirn über Bäume, die schon fast so hoch sind wie er. Bei der Einweihung des 50 Tonnen schweren Denkmals im April 1986 sollen 100 000 Menschen dabei gewesen sein, ein Meer von Blumen umgab es und schneeweiße Hochhäuser. »Lehmann«, wie die Büste Ernst Thälmanns im Volksmund genannt wurde, steht inzwischen wie der umgebende Park unter Denkmalschutz, bekam einordnende Kunstwerke beigestellt und wird regelmäßig gereinigt. Er bleibt ein Lehmann, halb Lenin, halb Thälmann: Der Bildhauer Lew Kerbel soll an einem überdimensionalen Lenin-Kopf gearbeitet haben, als man bei ihm einen Thälmann nachfragte. Also schuf er die untere Hälfte des Kopfes (ab der Nase) als Abbild Thälmanns.

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