Frankreichs Nahostpolitik: Angst vor innenpolitischen Folgen

Mit einem Zickzackkurs riskiert Frankreich unter Macron seine traditionelle Vermittlerrolle im Nahen Osten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Gemäß der Verfassung der Fünften Republik, die sich Charles de Gaulle 1958 auf den Leib schreiben ließ, und des damit begründeten Präsidialregimes sind die Außen- und die Verteidigungspolitik exklusive Domänen des Präsidenten. Er muss dafür weder Expertenrat einholen noch Beschlüsse des Parlaments respektieren oder gar vor diesem Rechenschaft ablegen.

Wie problematisch das in Zeiten ernster internationaler Krisen werden kann, zeigt einmal mehr der gegenwärtige Konflikt im Nahen Osten. Als die Hamas am 7. Oktober aus dem Gazastreifen kommend Siedlungen in Israel angegriffen, mehr als 1000 Menschen ermordet und rund 250 als Geiseln verschleppt hat, verurteilte Frankreich das sofort als »terroristische Aktion«.

Nur Tage später gehörte der französische Präsident Emmanuel Macron zu den ersten Staatsmännern, die nach Israel gereist sind, um dem Land Solidarität zu bekunden und zu versichern, dass es das Recht hat, sich an den Terroristen der Palästinenserorganisation zu rächen. Vor Ort sorgte der französische Präsident allerdings für einige Irritation, als er – offenbar spontan einem Augenblickseinfall folgend – eine »internationale Koalition« gegen die Hamas vorschlug – nach dem Muster der gemeinsamen Front gegen das islamistische Daesh-Kalifat. Doch die Idee wurde von niemandem aufgegriffen und schnell vergessen.

Als dann die israelische Armee damit begann, den Gazastreifen zu bombardieren und das dicht besiedelte Gebiet nicht nur ein Trümmerfeld verwandelte, sondern auch bereits mehrere tausend tote Zivilisten hinterlassen hat, gehörte Frankreich wiederum zu den ersten Ländern, die eine »humanitäre Waffenruhe« forderten. Außerdem wurde in Paris eine internationale Konferenz abgehalten, um Spenden für den Wiederaufbau des Gazastreifens zu sammeln.

Trotzdem bleibt unterm Strich der Eindruck, dass sich Frankreich unter Macron ungewohnt stark Israel zuneigt. Denn erst als sich die Situation für die palästinensischen Bewohner von Gaza so weit zuspitzte, dass sogar die Uno unverblümt und wenig diplomatisch von einem »Horror-Gemetzel« sprach, wurde auch der Präsident im Ton etwas schärfer. In einem Fernsehinterview, das er allerdings keinem französischen Sender, sondern der britischen BBC gab, forderte er Israel auf, die Bombardierung von Zivilisten zu beenden. Erstmals nahm der Präsident dabei sogar das für Tel Aviv heikle Wort »Waffenstillstand« in den Mund.

Doch nur Stunden später rief er seinen israelischen Amtskollegen Isaac Herzog an, um ihm zu versichern, dass Frankreich natürlich weiter voll hinter Israel stehe. Kritiker sehen darin nicht zuletzt eine Legitimierung für die Art und Weise, wie die israelische Armee den Krieg gegen Hamas führt und dabei doch vor allem die Zivilbevölkerung trifft.

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Die französische Nahostpolitik ist heute nicht klar und eindeutig, stellten rund ein Dutzend amtierender oder ehemaliger Botschafter in Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens in einer gemeinsamen internen Note fest. Diese brachte das Unbehagen im Außenministerium zum Ausdruck, war aber nur für Macron und die Regierung bestimmt.

Trotzdem gelangte der Text auch zur Zeitung »Le Figaro« und wurde von dieser der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Frankreich habe es über Jahrzehnte verstanden, heißt es darin, im Nahen Osten verständnisvolle Nähe und zugleich emotionsfreien Abstand sowohl zu Israel als auch zu den Palästinensern zu halten. Das ermöglichte konstruktive Beziehungen zu beiden Seiten, schätzen die Botschafter ein. Diese vermittelnde und ausgleichende Rolle, die eigentlich für ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates selbstverständlich sein sollte, drohe durch den aktuellen Zickzackkurs ruiniert zu werden.

Zu denken geben auch die fast 2000 antisemitischen Schmierereien oder Morddrohungen an die Adresse von französischen Juden, die seit dem 7.Oktober registriert wurden, während es im ganzen Vorjahr 400 waren. In diesem Zusammenhang fanden vor zwei Wochen im ganzen Land Märsche gegen den Antisemitismus statt.

In Paris, wo mehr als 100 000 Menschen auf die Straße gingen, wollte zunächst auch Emmanuel Macron mitmarschieren. Doch dann sagte er seine Teilnahme kurzfristig ab und erklärte, als Präsident habe er alle Franzosen zu vertreten. Wenn er geglaubt hat, das wirke ausgleichend, hat er sich allerdings getäuscht und nur neue Kritik ausgelöst.

Kommentatoren schätzen ein, dass Präsident Macron wohl noch mehr als seine Amtsvorgänger besorgt ist, dass der Nahost-Konflikt auf französischen Boden überschwappen und hier zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen radikalen und gewaltbereiten Kräften unter den vier Millionen Muslimen und den 400 000 Juden Frankreichs führen könnte. Rechtsradikal-ausländerfeindliche Kräfte nutzen das Thema bereits längst propagandistisch für ihre Ziele aus.

Der Anschlag eines mutmaßlichen Islamisten am Samstagabend in Paris unweit des Eiffelturms, bei dem ein deutscher Tourist mit einem Messer getötet und zwei weitere Menschen verletzt wurden, dürfte das Klima in Frankreich weiter aufheizen.

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