- Berlin
- Ersatzfreiheitsstrafe
Freiheitsfonds kauft 26 Berliner Inhaftierte frei
Gegen die Kriminalisierung von Menschen in Not: Bündnis zahlt Geldstrafen für ticketloses Fahren
Zum sechsten Mal hat am Dienstag der vom Freiheitsfonds veranstaltete »Freedom Day« stattgefunden, an dem Menschen, die ohne Fahrschein gefahren sind, aus dem Gefängnis freigekauft werden. Ziel des Freiheitsfonds ist es, ticketloses Fahren als Strafbestand abzuschaffen und sich damit selbst überflüssig zu machen.
Im Dezember 2023 werden 73 Menschen in Deutschland freigekauft, 26 von ihnen aus Berliner Gefängnissen. Zusammengerechnet hätten sie ingesamt 3470 Tage im Gefängnis verbringen müssen. Das entspricht neuneinhalb Jahren Haft. In Berlin saßen im ersten Halbjahr 2023 wegen Ersatzfreiheitsstraßen rund 1600 Menschen in Haft, weil sie eine Geldstrafe wegen kleiner Delikte wie Diebstahl oder ticketloses Fahren nicht zahlen konnten.
Die Auslöse der Inhaftierten wird ausschließlich mit Spendengeldern von Einzelpersonen finanziert, über 700 000 Euro wurden seit Dezember 2021 dafür ausgegeben. Der Fonds fordert von der Bundesregierung die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein und langfristig die kostenlose Nutzung des ÖPNV. Bisher wird das in deutschen Städten nur selten umgesetzt. Die Bestrafung, die der Paragraf 265a StGB vorsehe, treffe oft Menschen, die sich ohnehin in einer Notlage befänden, kritisiert der Freiheitsfonds. Erhöhte Beförderungsentgelte sei für armutsbetroffene Menschen nicht bezahlbar, wodurch sie sich mit einer Ersatzfreiheitsstrafe konfrontiert sehen.
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Bei einer Kundgebung zum »Freedom Day« am Ostkreuz in Friedrichshain lesen Unterstützer*innen des Freiheitsfonds am Dienstagvormittag Briefe aus der Haft vor. »Ich leide unter PTBS. Ein Symptom davon ist der soziale Rückzug«, schreibt etwa Herr K.. Im Stress, den Menschenmassen bei ihm auslösen, hatte er vergessen, ein Ticket zu ziehen und wurde erwischt.
Ein Großteil der Betroffenen ist laut dem Freiheitsfonds arbeitslos. Viele seien vor häuslicher Gewalt geflohen, obdachlos oder auf Drogenentzug. Um nicht im Freien übernachten zu müssen oder Arztbesuche zu erledigen, müssten sie weite Strecken innerhalb der Großstädte überwinden. Von Kontrolleur*innen würden sie als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Insbesondere mehrfach marginalisierte Personen berichteten von Machtmissbrauch bei Fahrkartenkontrollen, erwähnt Anna-Rebekka Helmy, die als Vertreterin der Petition »BVG weil wir uns fürchten« an der Kundgebung teilnimmt. Arne Semsrott, Gründer des Freiheitsfonds, bestätigt, dass »eine Gefängnisstrafe die Situation der Menschen in Not nur verschlimmert. Anstatt Menschen in die Gesellschaft wieder einzugliedern, bewirkt der Staat damit das Gegenteil.« Für die Freiheit, sich in einer Stadt zu bewegen, sollte niemand ins Gefängnis gehen müssen.
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