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Im Plusbus von Oranienburg nach Bernau
Brandenburg bekommt am 10. Dezember mit der Linie 825 seine 41. Plusbus-Verbindung
Die Schneeflocken fallen an diesem Mittwochmorgen ohne Unterlass. Mit einem roten Regenschirm lässt sich die Landtagsabgeordnete Nicole Walter-Mundt (CDU) neben dem neuen Bus fotografieren, der ab 10. Dezember von Oranienburg über Wandlitz nach Bernau verkehren wird. Andere Politiker suchen derweil in einem Zelt Schutz, das der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) zur Feier der neuen Busverbindung aufbauen ließ. Aber auch dort schneit es schräg herein, und die aufgestellten Heizröhren helfen nur denen, die in unmittelbarer Nähe stehen.
Angesichts dieser Verhältnisse haben sich alle verabredet, ihre Ausführungen kurz zu halten. Würden Politiker das versprechen, sei es meistens gelogen, gibt Oranienburgs Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) unumwunden zu.
Die neue Linie 825 gehört zu den sogenannten Plusbus-Verbindungen. Diese speziellen Busse fahren stündlich und auch am Wochenende; ihre Ankunft an Bahnhöfen ist auf die Abfahrtszeiten der Züge abgestimmt, damit die Fahrgäste bequem umsteigen können. Oberhavel bekommt nun auch einen – und damit gibt es dann insgesamt 41 Plusbus-Linien in 13 von 14 brandenburgischen Landkreisen.
Das zu ermöglichen, hat drei Jahre gedauert. Bürgermeister Laesicke hat das extra noch einmal in seinen Unterlagen nachgeprüft. Damals seien die Bürgermeister von Wandlitz und Bernau mit der Idee zu ihm gekommen. »Ich bin wirklich, wirklich glücklich«, bekennt Laesicke. Die Querverbindung beendet einen Misstand: dass Einwohner immer erst nach Berlin hinein- und von dort wieder herausfahren müssen, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Nachbarstadt wollen. Denn im Berliner Umland ist alles auf die Hauptstadt ausgerichtet. Bürgermeister Laesicke träumt deswegen davon, dass es neben dem Berliner Innenstadtring der S-Bahn irgendwann auch einmal einen Plusbus-Ring durch die Städte und Gemeinden im brandenburgischen Speckgürtel der Hauptstadt gibt. Der Plusbus von Oranienburg im Landkreis Oberhavel nach Bernau im Kreis Barnim wäre ein Anfang.
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»Drei Jahre bis zur Realisierung sind im öffentlichen Nahverkehr Lichtgeschwindigkeit«, meint der Wandlitzer Bürgermeister Oliver Borchert (Freie Wählergemeinschaft). Die beiden Landkreise finanzieren die Linie 825 mit je 300 000 Euro. Die Städte Oranienburg und Bernau geben jeweils 100 000 Euro, und so hält es auch die Gemeinde Wandlitz. »Es war nicht einfach, das in der Gemeindevertretung durchzubringen, aber wir gehen diesen Weg mit«, sagt Borchert. Drei Jahre wird das Angebot zunächst getestet. Wird es angenommen, soll es weiterlaufen. Für Borchert steht das beinahe schon fest: »Ich bin überzeugt, dass der Bus auch nach drei Jahren noch fahren wird.«
Immerhin leben im Einzugsgebiet knapp 100 000 Menschen, wie Holger Winter vorrechnet. Er ist Geschäftsführer der Oberhavel-Verkehrsgesellschaft und spricht für den verhinderten Chef der Barnimer Busgesellschaft gleich mit. Oranienburg ist gemessen an den Einwohnerzahlen die fünftgrößte Stadt Brandenburgs und wird voraussichtlich im kommenden Jahr die Marke von 50 000 knacken. Bernau ist die siebtgrößte Stadt. Beide wachsen schnell – nicht zuletzt durch Berliner, die herziehen und dann zur Arbeit in die Hauptstadt pendeln.
Im Barnim macht sich das bemerkbar. Vor 15 Jahren zählte dieser Landkreis nur noch 155 000 Bewohner. Das sei der Tiefstand gewesen, erinnert sich Landrat Daniel Kurth (SPD). Nun seien es 192 000. Was es deswegen jetzt brauche, sind nicht allein zusätzliche Busse, sondern unbedingt Busfahrer. Die fehlen neben Krankenschwestern und Fliesenlegern, weiß Kurth. Er beschreibt den Vorlauf für die Buslinie mit einem Vergleich: »Drei Tesla hat es gedauert.« Die in atemberaubendem Tempo in Grünheide (Oder-Spree) hochgezogene Tesla-Autofabrik wird in Brandenburg gern zum Vorbild genommen. Leider klappt sonst eigentlich nichts derart schnell.
Von den drei Jahren Anlauf bis zum Start der Plusbus-Linie zieht Andreas Ernst anderthalb Jahre wegen der Corona-Pandemie ab. Die habe das Projekt gebremst, wirbt er um Verständnis. Ernst ist Geschäftsführer der Oberhavel-Holding. Die Oberhavel-Verkehrsgesellschaft gehört zu deren Tochtergesellschaften. Nach der Rechnung von Ernst blieben so anderthalb Jahre übrig. Das sei zwar keine Lichtgeschwindigkeit, aber schneller als die Deutsche Bahn dergleichen bewätigt. Den Anwesenden ist allerdings klar: Für Busse müssen anders als für Züge oder Straßenbahnen keine Schienen verlegt werden. Buslinien lassen sich unkomplizierter einrichten. Die Linie 825 nutzt eine vorhandene Bundesstraße und stoppt unter anderem an der Hochschule der Polizei in der Nähe der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen.
»Mobilität kostet«, macht Staatssekretär Uwe Schüler bewusst, der für seinen mit dem Coronavirus infizierten Brandenburger Infrastrukturminister Rainer Genilke (CDU) eingesprungen ist. »Wir wollen natürlich die Angebote weiter ausbauen«, versichert er. Doch der Haushalt setzt da Grenzen – zumal nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die ursprünglich vom Bund zur Bewältigung der Coronakrise eingeplanten Mittel des Jahres 2021 nicht einfach für den Klimaschutz verwendet werden dürfen. Schüler wünscht dem neuen Plusbus »viele Fahrgäste, unfallfreie Fahrten«. Spontan fügt er hinzu: »... dass wir auch den Rettungsdienst nicht brauchen.« Denn im selben Moment saust ein Einsatzfahrzeug mit lautem Tatütata vorbei.
VBB-Geschäftsführerin Ute Bonde nennt die Idee eines Plusbus-Ringes um Berlin ein »schönes Ziel«. Sie sagt: »Das nehmen wir gerne mit.«
Dass einstweilen die Linie 825 gut angenommen wird, hofft Oberhavel-Landrat Alexander Tönnies (SPD). Man habe weitere Ideen für Plusbusse, etwa eine Querverbindung ins Havelland. Damit das nicht zu lange dauert, meint Tönnies: »Es sollte nicht die Richtgeschwindigkeit sein – drei Jahre für einen Plusbus.« Er selbst beeilt sich angesichts des Wetters mit seinen Ausführungen und beginnt sie im Scherz gleich mit dem Satz: »Ich komme zum Ende meiner Ausführungen.«
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