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Der (gute) Glaube an die Erneuerbaren
Für Jörg Staude kann Deutschland seine Klimaziele nur noch sehr schwer erreichen
Schlechte Nachrichten, sagen Medienmacher oft, will niemand lesen. Sie ziehen die Menschen doch nur herunter, sind lähmend – und so etwas ist gar nicht gut für die große Aufgabe, das Klima noch kurz vor den Kipppunkten zu retten. Deswegen lasst uns, lautet der aktuelle Imperativ, gute Beispiele verbreiten. In Wahrheit führt da weniger die Sorge um die Zukunft die Feder, sondern eher die hintergründige Annahme in vielen Medien, die Verbreitung des Glaubens, dass es vorangehe und alles noch gut werde, sei besser für die Auflage und die Klicks und zahle sich am Ende auch bei den Werbeeinnahmen aus.
In der Klimakrise gibt es nur das leidige Problem: Die guten Nachrichten sind rar gesät. Und so werden die wenigen hoffnungsmachenden Storys inzwischen wiederholt und wiederholt. Eine, die am meisten strapaziert wird, ist die, dass die erneuerbaren Energien kurz davorstehen, Kohle, Öl und Gas quasi von heute auf morgen aus dem Markt zu kippen.
Das liest sich wirklich wie eine Glaubensgeschichte: Erneuerbare sparen nicht nur Treibhausgase ein, sie sind auch noch billiger und bezahlbarer als fossile Energien. Sie können überall auf der Welt eingesetzt werden, locken die Investoren und Startups in Scharen an. Der Erneuerbaren-Boom hat sogar das Zeug zu einem sozialen Kipppunkt, der unsere Klimaprobleme quasi automatisch löst. So spricht das beliebte Narrativ.
Jörg Staude ist freiberuflicher Journalist und schreibt für die Portale Klimareporter° und bizz energy.
Wie immer kollidieren solche Heilsversprechen mit der unnachgiebigen Wirklichkeit. Schauen wir mal nach Deutschland. Ab 2010 ging der Boom der Ökoenergie so richtig ab. In dem Jahr lieferten die Erneuerbaren rund 318 Terawattstunden an Strom, Wärme und Antriebsenergie. 2020 waren es dann 475 Terawattstunden.
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Der gesamte deutsche Endenergieverbrauch stagnierte in dem Zeitraum um die Marke von 2500 Terawattstunden. Entsprechend stieg in dem Jahrzehnt der Anteil der Erneuerbaren an der Endenergie von 12,5 auf 20 Prozent. Das wiederum steigerte auch die mit dem Ausbau der Erneuerbaren erzielte Einsparung an CO2-Emissionen. Die legte von 130 Millionen auf 217 Millionen Tonnen jährlich zu. Tatsächlich aber sanken die deutschen CO2-Emissionen in den zehn Jahren, berücksichtigt man auch den Corona-Effekt, nur um etwa 170 Millionen – der Effekt der Erneuerbaren schlug sich also nicht hundertprozentig in der gesamten CO2-Senkung nieder.
Die Ursachen dafür sind vielfältig. Eine bestand darin, dass in der Zeit munter neue fossile Kraftwerke gebaut wurden. Das war so lange egal, bis Deutschland 2015 das Pariser Klimaabkommen unterzeichnete und sich damals verpflichtete, bis 2050 weitgehend klimaneutral zu werden. Dazu reicht es aber eben nicht, allein die Erneuerbaren zu pushen. Unabdingbar ist zugleich, die fossilen Emissionen zu stoppen.
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Mittlerweile muss die ganze Welt etwa bis 2040 aus allen fossilen Energiequellen aussteigen, soll das 1,5-Grad-Limit noch eine Chance haben. Das ist selbst mit einem Superbooster bei den Erneuerbaren nicht zu schaffen. Null Emissionen heißt zuallererst null Fossile.
Aus den deutschen Zahlen lässt sich noch eine zweite Bedingung ablesen, damit Erneuerbare wirklich ihre Rolle als Emissionsfreie erfüllen können: Der Energieverbrauch insgesamt muss runter. Verglichen mit Kohle, Öl und Gas haben Wind, Sonne, Biomasse und Geothermie natürlich viel geringere Umweltauswirkungen, aber diese sind nicht bei null.
Eine gern ausgemalte Welt, in der billige grüne Energie im Überfluss verfügbar sein wird, ist in keiner Weise nachhaltig. In Deutschland muss, sagen die Experten, der Energieverbrauch etwa um die Hälfte gesenkt werden.
Das muss genauso gehypt werden wie die Erneuerbaren. Aber dass es dazu kommt, daran fehlt mir seit Jahren der Glaube.
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