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Die Deutschen starten im Biathlon so erfolgreich wie nie zuvor
Viele Veränderungen in der Vorbereitung verschaffen dem deutschen Biathlon-Team einen Traumstart. So gut begann einen Saison noch nie
Benedikt Doll lächelt entspannt, wenn er an die zurückliegende Saisonvorbereitung denkt. Im Frühherbst meinte der Oldie im Team der deutschen Biathleten zwar auch schon mal leicht kokettierend, er werde langsam alt, und manchmal mache es ihm Mühe, sich zu motivieren. Doch zwischen den Momenten, in denen immer wieder der Wunsch aufkommt, seine Frau Miriam und den 16 Monate alten Sohn Julius häufiger zu sehen, war Doll im Grunde sehr einverstanden mit dem langen Aufgalopp in den Winter.
»In diesem Jahr fiel es mir sogar wieder relativ leicht, muss ich ehrlich sagen«, erklärt er im Gespräch mit »nd«. »Und das lag sicherlich auch daran, dass ich einige Sachen verändert habe, wo ich Lust und Motivation hatte, das auszuprobieren.« Bei Doll war es vor allem die Gewöhnung an eine neue Waffe, die ihn über den Sommer hinweg beschäftigte. Doch auch sonst gab es für den Schwarzwälder und die anderen Skijäger des Deutschen Skiverbandes (DSV), die ihren unerwartet fulminanten Saisonstart in Östersund nun in Hochfilzen bestätigen wollen, einige Neuerungen.
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So steht dem nach dem Rücktritt von Bundestrainer Mark Kirchner zum Chef aufgestiegenen Slowenen Uroš Velepec mit dem früheren Weltklasselangläufer Jens Filbrich ein neuer Assistent für die Bereiche Lauf und Athletik zur Seite. Velepec selbst führte bei der Arbeit mit dem Gewehr viele neue Trainingsformen ein, ließ viel im Wettbewerb gegeneinander schießen. Mit Livigno und dem Lavazè-Pass, jeweils auf 1800 Metern gelegen, und Herzogenaurach wurden zudem Lehrgangsorte ausgewählt, in denen selbst der erfahrene Doll zuvor noch kein Trainingslager absolviert hatte. Zwischendurch trainierten Deutschlands Skijäger dann auch erstmals in einem Windkanal. Bei der Erinnerung an diesen Trainingsbaustein durchfährt Doll ein lautes Lachen: »So ein Riesenwindkanal für uns Biathleten, von dem man weiß, dass er Wind von 300 km/h erzeugen kann. Und wir stehen da mit 25 km/h drin – das war schon leicht überdimensioniert«, schmunzelt der 33-Jährige, betont aber zugleich: »Es war ein sehr cooles Erlebnis.«
Und richtig cool waren für Deutschlands Skijägerinnen und -jäger dann die ersten Einzelrennen in Östersund: Im klassischen Einzel, in Sprint und Verfolgung düpierten sie die internationale Konkurrenz, allen voran die scheinbar übermächtigen Norweger, ein ums andere Mal. Bei der Abreise von Storsjön-See standen acht Podestplatzierungen in sechs Einzelrennen auf den Konto des DSV. Dazu kamen jeweils dritte Plätze bei den Staffeln der Männer und Frauen.
Zehnmal mit Schwarz-Rot-Gold unter den Top drei – solch eine Startbilanz hatte es selbst in den Glanzzeiten des deutschen Biathlon nicht gegeben. Das Beste waren zuvor neun Podestplätze im Dezember 2001, damals noch beigesteuert von Frank Luck, Ricco Groß oder Uschi Disl. Schauplatz vor 22 Jahren war Hochfilzen – und dort im Pillerseetal soll die Erfolgsstory von Östersund nun fortgeschrieben werden. Los ging es am Freitag mit den Sprints der Männer und Frauen, ehe an diesem Wochenende die Verfolgungsrennen und Staffeln folgen.
»Wir haben viel richtig gemacht, das ist gut fürs Selbstvertrauen«, verweist Dolls Schwarzwälder Trainingskollege Roman Rees, in Östersund Sieger im Einzel, auf die Erfolgsrezeptur, in der Vorbereitung auf neuen Pfaden an zahlreichen Details geschraubt und so das große Ganze auf ein deutlich höheres Niveau gehoben zu haben. Besonders auffallend dabei: Neben der in Hochfilzen erkrankt pausierenden Franziska Preuß, die nach einer abgebrochenen Saison nun den Weg zurück in die Weltspitze gefunden hat, darf mit Philipp Nawrath ein echter Spätzünder in Tirol zunächst das Trikot des Weltcup-Führenden überstreifen. Dabei begann die Vorbereitung für den 30-jährigen Allgäuer eher schmerzhaft: Beim Fußballspielen brach er sich im Mai den Mittelfuß und riss sich die Bänder – ein Malheur, das ihn aber nicht daran hinderte, ein halbes Jahr später mit seinem Triumph im Östersunder Sprint und Platz zwei in der Verfolgung Spitzenplatzierungen in den schwedischen Schnee zu zaubern.
»Es ist Wahnsinn. Man hat schon so viele Rennen hinter sich, und dann passiert so was«, strahlte Nawrath nach seinem Premierensieg im Weltcup, sechseinhalb Jahre nach seiner Feuertaufe in der ersten Liga der Biathleten. Und Chefcoach Velepec genoss es, dass der gebürtige Füssener seine wichtigste Lehre des zurückliegenden Sommers – das schnelle Schießen mit einer ordentlichen Portion Wagemut – so eindrucksvoll beherzigt hatte. »Er hat«, lobte der 56-Jährige, »das Risikoschießen perfekt gemacht.«
Zusätzlichen Schwung verlieh den deutschen Biathletinnen und Biathleten in den zwei Wochen auf der ersten Weltcup-Station des Winters die gute Arbeit der eigenen Skitechniker. Nach dem Verbot der umweltschädlichen Fluorwachse erfordert die Präparation der Skier nun besonders viel Geschick. Woche für Woche muss angesichts der herrschenden Schnee- und Wetterverhältnisse neu getüftelt werden.
Fest steht allerdings auch: Das neu gewonnene Selbstvertrauen macht nicht allein die Güte des Materials. »Laufökonomisch haben wir Fortschritte gemacht, das haben wir über spezielle Analysen festgestellt«, betont zum Beispiel der neue Lauftrainer Jens Filbrich gegenüber »nd« und nennt das Gespann mit Chef Velepec und den beiden Frauen-Trainern Kristian Mehringer und Sverre Olsbu Röiseland »eine coole Truppe«.
Ausdrücklich eingeschlossen in diese lässige Führungsriege ist dabei Sportdirektor Felix Bitterling. Der 46-jährige Berchtesgadener, seit April 2022 beim DSV im Amt, beteuert angesichts der jüngsten Erfolge zwar, das deutsche Team sei »ohne jegliche Form von Arroganz« nach Hochfilzen gereist. Ein wenig Eigenlob darf es nach dem glorreichen Auftakt in Skandinavien aber schon sein. »Ergebnislisten lügen nicht. Schon vor dem Start in den Winter hat keiner von uns gezweifelt, dass wir auf dem richtigen Weg sind«, sagt Bitterling – und betont: »Wir haben da ein Team zusammengeschustert, das einzigartig ist, in dem sich jeder dafür interessiert, was der andere macht. Das ist etwas Besonderes, und das wollen wir weiter ausbauen.«
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