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FDP: Ein Haar in der Lindner-Suppe
Die FDP muss zu ihrem 75-jährigen Jubiläum einmal mehr um ihre Existenz bangen
Es ist bekannt, dass Christian Lindner dem Luxus nicht abgeneigt ist. Der Bundesfinanzminister und Vorsitzende der FDP besitzt einen Porsche-Oldtimer und erfreute die Klatschpresse, die im Sommer 2022 ausführlich über seine pompöse Hochzeit auf der Nordseeinsel Sylt berichtete. Zum teuren Tropfen genossen die Gäste unter anderem Hummer und Jakobsmuscheln.
Der Verdacht liegt nahe, dass Lindner dieses Fest auch zu seinen eigenen Ehren veranstaltet hat. Immerhin hat er die 2013 aus dem Bundestag geflogene FDP zu neuem Leben erweckt und dafür gesorgt, dass sie seit 2021 wieder Mitglied der Bundesregierung ist und mit SPD und Grünen koaliert.
Die Konstellation erinnert auf dem Papier an die Zeit der sozial-liberalen Regierungen, die seit dem Ende der 1960er Jahre bis zu Beginn der 1980er unter den sozialdemokratischen Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt die Politik der Bundesrepublik prägten. Doch die FDP von damals, die sich seit ihrer Gründung vor bald 75 Jahren auf einem Parteitag im südhessischen Heppenheim immer wieder gehäutet hat, ist heute kaum wiederzuerkennen.
Einer, der sich gerne an die Zeiten des sozial-liberalen Bündnisses erinnert, ist der inzwischen 91-jährige Gerhart Baum, früher Bundesinnenminister unter Helmut Schmidt. Der persönliche Kontakt zwischen Baum und Lindner begann mit einem Besuch des Jüngeren beim Älteren. Statt Hummer gab es Linsensuppe. Kein Luxus, sondern ein bodenständiges Essen. Baum bezieht sich in Interviews und politischen Diskussionen oft auf die Freiburger Thesen, das damals neue Grundsatzprogramm, das sich die FDP im Jahr 1971 in Freiburg im Breisgau gab. Auch Lindner dürfte bei seinem Besuch im Hause Baum in den Genuss dieser Geschichtsstunde gekommen sein.
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Die Partei versprach 1971, sich dafür einzusetzen, dass der Umweltschutz Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen habe. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass in dem Programm eine »Reform des Kapitalismus« gefordert wurde. Freiheit und Recht seien »bedroht durch die Tendenz zur Akkumulation von Besitz und Geld, die die Reichen immer reicher werden lässt, und die Tendenz zur Konzentration des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen«, analysierte die FDP.
Das Ziel der Partei war ein »breit gestreutes Eigentum«. In ihrem Programm trat sie unter anderem dafür ein, die Erbschaftsteuer durch eine Nachlassabgabe zu ersetzen. Kleinstvermögen sollten steuerfrei bleiben, die größeren Nachlässe mit 22 Prozent und sehr hohe mit 75 Prozent besteuert werden.
Obwohl die Freiburger Thesen nie umgesetzt wurden, bleibt zu konstatieren, dass sich die FDP in den 1970er Jahren mit finanzpolitischen Fragen beschäftigte, die heute im Mainstream als linke Utopien abgetan werden. Auch personell änderte die Partei im Unterschied zu den Jahren nach ihrer Gründung ihr Erscheinungsbild. Altnazis, die sich seit den 1950er Jahren der FDP angeschlossen hatten, verloren an Einfluss oder verließen die Partei.
Doch die linken Ideen in der FDP wurden seit den 1980er Jahren entsorgt. Der wirtschaftsliberale Flügel gewann die Oberhand. Seitdem steht die Partei für eine Klientelpolitik, die etwa Hoteliers und Sportwagenfahrer begünstigt. Eine bedeutende sozial-liberale Kraft gibt es in der FDP nicht mehr. Ernstzunehmende Vertreter dieser Richtung wie der frühere NRW-Innenminister Burkhard Hirsch und die einstige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher, sind längst tot.
Ihr Weggefährte Gerhart Baum ist zwar noch sehr umtriebig, aber seine Kritik an FDP-Chef Lindner kommt eher leise daher. Baum kennt den Zeitgeist und würde sich die Steuerforderungen aus dem Freiburger Programm heute nicht mehr zu eigen machen. Er ist weitgehend ein Befürworter der Politik der Ampel-Koalition, in der Lindner Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende blockiert. In Interviews plädiert Baum lediglich für einen ambitionierteren Umweltschutz und findet im Unterschied zur FDP-Spitze das Tempolimit auf Autobahnen sinnvoll. Baum fordert von Lindner, den er als »hochbegabten Politiker« schätzt, mehr »liberale Visionen und liberale Perspektiven«. So äußert sich ein älterer Herr, der immer mal wieder ein Haar in der Suppe findet. Die Linsensuppe, die Baum seinem jungen Parteikollegen einst aufgetischt hatte, wurde passenderweise in seinem Haushalt auf den Namen »Lindnersuppe« umgetauft.
Doch was Baum insgesamt als sein Erbe betrachtet, die Wiederaufnahme eines Bündnisses mit den Sozialdemokraten, ergänzt um die Grünen als Partner, könnte seiner Partei schweren Schaden zufügen. Bundesweite Umfragen sagen der FDP voraus, dass sie in ihrem derzeitigen Zustand darum bangen muss, mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen zu erhalten und erneut in den Bundestag einzuziehen. Die jüngsten Landtagswahlen haben gezeigt, dass viele bisherige Wähler der Freien Demokraten zu den Unionsparteien, zur AfD und zu den Freien Wählern weiterziehen.
Diese Parteien fordern Steuersenkungen, die Unternehmen zugutekommen sollen, und eine noch härtere Linie in der Asylpolitik. Damit sprechen sie zahlreiche einstige Unterstützer der FDP an, die mit den Kompromissen der Ampel-Koalition unzufrieden sind. Auch an der Basis rumort es. Die FDP steht vor dem Beginn einer Mitgliederbefragung über den Ausstieg aus der Bundesregierung.
Es ist nicht auszuschließen, dass diese Entwicklungen der Beginn eines neuen Rechtsrucks in der FDP sind. Dafür spricht, dass die Partei in ihrer 75-jährigen Geschichte stets flexibel war: Sie passte sich den neuen Machtverhältnissen an, um nicht von der Bildfläche zu verschwinden.
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