- Politik
- Nahost
Israel wähnt sich dem Sieg nahe
Der Krieg im Gazastreifen geht mit mehr Härte und Getöteten weiter
Die Situation für die Menschen im Gazastreifen ist hoffnungslos, anders lässt sich die Lage nicht beschreiben. Die Hilfsorganisationen können das Leid und Elend kaum mildern; es fehlt an allem, vor allem an Trinkwasser. Und selbst wenn Wasser oder Essen verfügbar sind, ist es für die Menschen zu gefährlich, überhaupt auf die Straßen zu gehen, weil weiter gekämpft und bombardiert wird.
Gegen das grauenhafte Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen sehen sich inzwischen auch Hilfsorganisationen machtlos. »Gegenwärtig bei all der Gewalt, den Angriffen und dem Beschuss können wir nicht hinausgehen und sicher liefern«, sagte die Präsidentin von Save The Children, Janti Soeripto, in der TV-Sendung »Face the Nation« des US-Fernsehsenders CBS.
Die Kinder würden aus Mangel an Trinkwasser verdrecktes Wasser trinken. Mit Beginn des Winters und starker Regenfälle spülten Abwässer auf die Straßen. »Es gibt kein Essen, keinen Strom, und die meisten Krankenhäuser funktionieren nicht mehr«, so Soeripto. »Es ist im Grunde unaussprechlich, was sich vor unseren Augen abspielt.« Während der einwöchigen Feuerpause habe man zumindest einige Güter bis in den Norden bringen können. Doch jetzt, da die Kämpfe sogar noch intensiver weitergingen, seien die Helfer nicht mehr sicher.
Den Vereinten Nationen zufolge hungert inzwischen die Hälfte der Bevölkerung im Gazastreifen. Vor Beginn des seit mehr als zwei Monaten tobenden Krieges lebten in dem Gebiet, das nur etwas größer als München ist, rund zwei Millionen Menschen. Davon waren rund die Hälfte Kinder und Jugendliche. Laut dem TV-Sender Al-Jazeera wurden mehr als 80 Prozent der Bevölkerung vertrieben.
Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Kriegsbeginn nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 18 205 gestiegen. Fast 50 000 weitere Menschen seien verletzt worden, sagte der Sprecher der Behörde, Aschraf Al-Kudra, am Montag. Die Zahlen lassen sich jedoch nicht unabhängig überprüfen. Israels Armee hat nach eigenen Angaben seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 432 Soldaten verloren. Beim Terrorüberfall der Hamas aus dem Gazastreifen heraus auf Wohngebiete in Südisrael wurden insgesamt 1200 Menschen ermordet.
Unterdessen ist eine Delegation des UN-Sicherheitsrats nach Ägypten gereist und hat dort ein Lagerhaus mit Hilfsgütern für Menschen im Gazastreifen besucht. Geplant sei auch ein Besuch des Grenzübergangs Rafah, teilte das ägyptische Außenministerium am Montag mit. Erst vor wenigen Tagen war ein Resolutionsentwurf für eine Waffenruhe am Veto der USA gescheitert. Der Besuch der UN-Delegation komme daher zu einer »sehr wichtigen Zeit«, sagte ein ägyptischer Ministeriumssprecher.
Man wolle der Delegation unter anderem die Abläufe zeigen bei der Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen, sagte der Sprecher des Ministeriums. Es gehe auch darum, die »von der israelischen Seite auferlegten Hürden« zu identifizieren, die es bei der Einreise von Lkw mit Hilfsgütern und der Ausreise von verletzten Palästinensern zur Behandlung in ägyptischen Krankenhäusern gibt.
Trotz der katastrophalen humanitären Situation und immer mehr getöteter Zivilisten ist die israelische Regierung entschlossen, den Krieg im Gazastreifen gegen die islamistische Hamas weiter zu verstärken – und verbreitet Siegesgewissheit. »Wir rücken an die Kommandozentralen der Hamas heran«, sagte Israels Nationaler Sicherheitsberater Zachi Hanegbi. Regierungschef Benjamin Netanjahu bekräftigte das Ziel, die Hamas zu zerschlagen und die Geiseln zu befreien. Der Krieg werde noch andauern, »aber das ist der Anfang vom Ende der Hamas«, prophezeite Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Video-Botschaft am Sonntagabend. »Zu den Terroristen der Hamas sage ich: Es ist aus. Sterbt nicht für Sinwar (Chef der Hamas im Gazastreifen). Ergebt euch – jetzt.«
Die lauthals verkündete Siegessicherheit dient wohl vor allem dazu, die Front der Unterstützer Israels für den Krieg nicht bröckeln zu lassen. Im Blick hat die israelische Regierung hierbei in erster Linie die USA, haben diese doch in den vergangenen Tagen die israelische Führung mehrfach angehalten, mehr für den Schutz der Zivilbevölkerung zu tun – ohne jedoch den Rückhalt für Israels Kriegsstrategie in Frage zu stellen. Die US-Regierung steht weiter unbeirrt hinter Israel, selbst Warnungen, dass das unerträgliche Leid nur noch mehr Palästinenser in die Arme der Hamas treibe, spielen in den Überlegungen offensichtlich keine Rolle. Auf eine Frage des US-Fernsehsenders CNN, wann Israel gedenke, diese intensive Phase der Kämpfe zu beenden, antwortete US-Außenminister Antony Blinken: »Das sind Entscheidungen, die Israel treffen muss.« Aber es liege auch an der Hamas. Statt sich hinter Zivilisten zu verstecken, könne sie sich einfach ergeben. »Sie könnte morgen ihre Waffen niederlegen, sie könnte sich morgen ergeben, und dann wäre alles vorbei«, sagte Blinken mit einer entwaffnend simplen Logik, die kaum die komplexen Verhältnisse widerspiegelt.
Unterdessen wird die Europäische Union mutiger in ihrer Kritik an Israels Krieg. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wirft Israel vor, Aufrufe von Partnern wie der Europäischen Union zu ignorieren. »Wir haben unter anderem bei den G7-Treffen gesagt, dass Israel im Süden von Gaza nicht die gleiche Taktik anwenden sollte, die es im Norden angewendet hat«, sagte der Spanier am Montag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Die Bombardierung gehe nun aber mit außerordentlicher Intensität weiter. »Es ist das Gleiche, wenn nicht sogar noch schlimmer«, sagte er. Sogar an den USA übte Borrell Kritik , weil diese im UN-Sicherheitsrat eine neue humanitäre Feuerpause mit einem Veto blockiert hatten. Der EU-Chefdiplomat bezeichnete diese Entscheidung als bedauerlich.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.