Sterbewilligen wird Zugang zum Medikament versperrt

Gerichtsurteil zum Kauf eines tödlichen Betäubungsmittels

Der aktuelleste Fall: Das Bundesverwaltungsgericht (Az. BVerwG 3 C 8.22 und Az. BverwG 3 C 9.22) verweigerte in einem Grundsatzurteil vom 7. November 2023 zwei sterbewilligen Männern den Zugang zum tödlichen Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital.

Da das Medikament in Deutschland nicht zu bekommen ist, muss das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Einfuhr, dem Erwerb und der Zuteilung zustimmen. Doch das lehnte das Bundesinstitut unter Verweis auf das Betäubungsmittelgesetz bislang ausnahmslos ab.

Nach Angaben des Instituts sind seit 2017 genau 244 Anträge auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital gestellt worden. In keinem Fall wurde ein Antrag bewilligt, acht Anträge wurden zurückgezogen, etliche Verfahren sind noch offen. In 36 Fällen sind die Antragsteller gestorben.

Die Kläger wollen zu Hause im Kreis der Familie sterben

Die zwei schwer kranken Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen klagen bereits seit 2017. Der eine von ihnen, Harald Mayer, leidet an Multipler Sklerose. Er kann sich kaum bewegen. Durch die Multiple Sklerose ist er nahezu komplett gelähmt und braucht rund um die Uhr Betreuung, selbst das Schlucken fällt ihm schwer und bereitet Schmerzen. Mit dem Betäubungsmittel möchte Mayer seinem Leben ein Ende setzen. Der andere Kläger hat schwere Krebserkrankungen durchgemacht.

Beide hatten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Erlaubnis verlangt, jeweils 15 Gramm Natrium-Pentobarbital käuflich erwerben zu dürfen, um sich zu Hause im Kreise ihrer Familie und ohne Hilfe eines Arztes selbst töten zu können.

Dieses Betäubungsmittel gilt zwar als das sicherste und sanfteste Mittel, um das eigene Leben zu beenden, aber das Bundesinstitut sieht darin auch erhebliche Risiken – sowohl für die Patienten selbst als auch für Dritte, etwa wenn eine tödliche Dosis Betäubungsmittel zu Hause aufbewahrt wird.

Für beide Kläger kommen aber andere Möglichkeiten der Sterbehilfe – etwa durch einen Arzt oder mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation – nicht in Frage. Zudem findet man keinen Arzt, der Mittel zur Selbsttötung verschreibt.

Nachdem beide Kläger bereits am nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben waren, zogen sie nun vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in der Hoffnung, dass ihnen nach einem sechs Jahre langen Weg durch die Instanzen nunmehr die gewünschte Hilfe zuteil wird. Doch ihre Revision wurde abgewiesen.

Begründet wird die Ablehnung damit, dass das Betäubungsmittelgesetz keine Erlaubnis zum Erwerb des Mittels Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung vorsieht. Das Betäubungsmittelgesetz habe den Zweck, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern und dem Schutz der menschlichen Gesundheit zu dienen. Medizinische Versorgung bedeutet, ein Medikament zur Heilung oder Linderung von Beschwerden einzusetzen. Die Beendigung des eigenen Lebens gehöre ausdrücklich nicht dazu.

Irrwitziger Hinweis des Gerichts
auf "zumutbare Alternativen"

Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben werde mit der Ablehnung nicht verletzt, betonte das Gericht. Es gebe andere Mittel und Wege für Sterbewillige, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen – etwa mit Hilfe eines Arztes oder einer Sterbehilfeorganisation, die zur Suizidhilfe bereit sind. Der Hinweis auf »zumutbare Alternativen« ist allerdings irrwitzig, wohlwissend, dass andere Arzneimittel mit höheren Risiken verbunden sind, dass viele Schwerstkranke keinen Arzt für eine Suizidbegleitung finden und deshalb auf Sterbehilfevereine und deren enorm kostenpflichtigen Angebote zurückgreifen müssen.

In der mündlichen Verhandlung räumte das Bundesverwaltungsgericht allerdings ein, dass die Ablehnung in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eingreife und die Freiheit einschränke. Dennoch stellten die Richter einen Verstoß gegen die Grundrechte nicht fest. In Abwägung mit anderen Gemeinwohlbelangen sei dieser Eingriff in Grundrechte gerechtfertigt und verletze auch keine persönlichen Rechte. Zudem sei es das legitime Ziel des Betäubungsmittelgesetzes, Medikamentenmissbrauch zu verhindern.

Selbstbestimmtes Sterben: Wird das Recht in der Praxis ausgehöhlt?

Hinsichtlich der Sterbehilfe in Deutschland gibt es ein grundlegendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020. Es postuliert das Recht des Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Sterben. Mit der Entscheidung wurde damals das Verbot der organisierten Sterbehilfe in Deutschland gekippt. Seither wird allerdings um konkrete Regelungen für die Sterbehilfe gestritten – bisher ohne Ergebnis. Dabei hatten viele Sterbewillige große Hoffnungen auf das aufsehenerregende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2020 gesetzt. Die uneingeschränkte Ablehnungspraxis des Bundesinstituts höhlt aber das postulierte Recht der Sterbewilligen praktisch aus.

»Das ist ein schwarzer Tag für die beiden Kläger und ein schwarzer Tag für alle suizidwilligen Menschen in Deutschland, die die Hoffnung hatten, sich mit dem Medikament Natrium-Pentobarbital suizidieren zu können, um ihr endloses Leiden zu beenden«, reagierte enttäuscht der Anwalt der Kläger, Robert Roßbruch, auf das aktuelle Urteil.

Er kündigte an, sich an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu wenden, wolle dazu aber erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, die dem Vernehmen nach Anfang des nächsten Jahres vorliegen soll. In Karlsruhe müsse geprüft werden, inwieweit der Abschnitt im Betäubungsmittelgesetz, der eine Erlaubnis unmöglich macht, verfassungsgemäß ist, so der Anwalt. »Das alles wird ein Zeitproblem. Das Ende werden meine Mandanten wohl nicht mehr erleben«, glaubt der Anwalt.

Patientenschützer: Arzneimittelrecht darf kein Tötungsrecht werden

Während viele Sterbewillige einmal mehr enttäuscht sind, verteidigt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, das Leipziger Urteil: »Die Stiftung spricht sich dagegen aus, dass der Staat schwerstkranken Menschen Medikamente zur Selbsttötung zuteilt. Medikamente sollen heilen oder lindern, aber nicht töten.«

Das Bundesinstitut habe demzufolge keinen Auftrag, die Zuteilung von Natrium-Pentobarbital zu regeln. Auch Brysch verweist auf ausreichend alternative Selbsttötungsmittel. Man brauche für die Selbsttötung kein Präparat aus der Schweiz. Auch mit sogenannten Tötungscocktails könnten Sterbewillige im Kreise ihrer Familie Suizid begehen.

Viele Verwaltungsgerichte hätten solche Methoden bereits ausreichend beschrieben und bei Sterbehelfern sei das heute geübte Praxis. Allerdings sei der Bundestag gefordert, ein Verbot der kommerziellen Hilfe zur Selbsttötung auf den Weg zu bringen und Klarheit zu schaffen, denn das Arzneimittelrecht darf kein Tötungsrecht werden.

Nach dem Scheitern einer notwendigen gesetzlichen Neuregelung im Sommer im Bundestag steht ein erneuter Anlauf in Aussicht. Der Gesetzgeber steht in der Pflicht und sollte die Sterbehilfe nicht weiter auf die lange Bank schieben und endlich handeln. (mit Agenturen)

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